Stolpersteine in Offenbach

Josef Kupczyk

August-Bebel-Ring 10

Josef Kupczyk

Josef Kupczyk wurde am 09. Mai 1883 als Sohn jüdischer Eltern in Breslau geboren. Im Alter von 2 Jahren übersiedelte er mit seinen Eltern und den beiden Schwestern nach Bremen. Im Jahre 1919 kam er nach Frankfurt, wo er die deutsche Einbürgerungerwarb und Teilhaber der Firma „FREDENHAGEN“ in Offenbach wurde. 1922 wurde er alleiniger Eigentümer der Firma. 1923 heiratete er die evangelische Christin Johanna Marie Caillé, geb. am 04.05.1895 in Offenbach. Mit seiner Ehefrau und 3 Kindern wohnte er ab 1924 im eigenen Haus im August-Bebel-Ring 10, der 1933 in Adolf-Hitler-Ring unbenannt wurde. 

Versammlung in der Firma Fredenhagen
Versammlung in der Firma Fredenhagen

Josef Kupczyk war ein über die Stadt hinaus geachteter Unternehmer und Offenbacher Bürger. Seine Firma „FREDENHAGEN“ produzierte wichtige Förderanlagen für ganz Deutschland. 1938 wurde er von der NSDAP massiv unter Druck gesetzt und gezwungen, seine Firma an einen „arischen Unternehmer“ weit unter Wert zu verkaufen.

Wohnhaus im August-Bebel Ring 10
Wohnhaus im August-Bebel Ring 10

Am 10. November 1938 wurde zudem das Wohnhaus von NSDAP-Parteigenossen gestürmt, die Familie bedroht und sämtliches Mobiliar zertrümmert. Josef Kupczyk wurde vor den Augen sei- ner Frau und den Kindern verhaftet und am

11.11.1938 in das KZ Buchenwald deportiert. Die Entlassung wurde ihm am 10.12.1938 nach der Zahlung von Geldern und der Übergabe seines BMW-PKW an die Lagerführung ge- währt. Josef Kupczyk konnte nur unter großen Schwierigkeiten und mit Unterstützung seines Schwagers ein Visum für Argentinien erhalten und am 03.Juli 1939 endlich nach Buenos Aires emigrieren.

Seine Ehefrau und die Kinder konnten ihm nicht folgen, da alle Bemühungen um ein Visum scheiterten. Das gesamte Vermögen, auch das der Ehefrau, wurde „für dem Reich verfallen er- klärt und von der Gestapo gesperrt“. Frau Kupczyk musste mit ihren Kindern das Haus im Adolf- Hitler-Ring 10 verlassen und in eine Wohnung in der Roonstraße 16 ziehen.

 Sie war in einer schwierigen sozialen und finanziellen Situation und wurde von der Gestapo überwacht, sowie wiederholt vorgeladen.

Ehefrau Johanna mit den Kindern Hermann, Werner und Edith 1940
Ehefrau Johanna mit den Kindern Hermann, Werner und Edith 1940

Die Kinder Hermann, Werner und Edith konnten als „Halbjuden“ ihre Ausbildung nicht – wie vorgesehen – weiterführen. Hermann durfte als ‚Halbjude‘ das von ihm angestrebte Studium für Ingenieurwissenschaften nicht aufnehmen und arbeitete zunächst in der Maschinenfabrik Schmalz. Sein jüngerer Bruder

Werner musste die Oberschule abbrechen und arbeitete dann als Hilfsschlosser bei Schneider & Helmecke. Tochter Edith war 1943 für 5 Monate mit der Kinderland- verschickung in Thüringen. Im Rahmen der Aktion gegen „Misch- linge und jüdisch Versippte“ wurden die Söhne ab Mai 1944 von der Organisation Todt in Frankreich als Zwangsarbeiter dienst-verpflichtet. Hermann musste anschließend in das Lager Clausthal-Zellerfeld im Harz.

 Josef Kupczyk versuchte unter schwierigen Umständen in Argentinien für sich und seine Familie, die ihm folgen wollte, eine neue Existenz aufzubauen. Er litt, fern von der Familie, unter der sehr belastenden Situation. Seine Schwestern aus Bremen wurden am 23.07.1942 nach Theresienstadt deportiert. Tinka (Erna) starb dort am 04.01.1943 und Nanny (Natalie) musste am 15.05.1944 ins Vernichtungslager Ausschwitz, wo sie zu Tode kam. Gesundheitlich ging es Josef Kupczyk ab 1943 immer schlechter und er verstarb aufgrund einer schweren Erkrankung am 12.12.1944 in Buenos Aires. «


Sali Lorch
Selma Lorch, geb. Feitler
Walter Ferdinand Lorch
Irmgard Johanna Lorch
Philippine Feitler

August-Bebel-Ring 19

Sali Lorch, 1887 in Bingen geboren, ließ sich 1912 in Offenbach als Kaufmann nieder und war seit dieser Zeit bei der Firma Rowenta tätig. Nach der Eheschließung mit Selma Feitler (geb. 1889) im Jahr 1913 lebte das Ehepaar zunächst in der Kaiserstraße 84, wo die Kinder Walter und Irmgard Johanna geboren wurden. Inzwischen Teilhaber der Firma Rowenta, erwarb Sali Lorch 1925 das Haus im August-Bebel- Ring 19.

Bis 1938 wohnte die Familie dort, war in der Offenbacher Gesellschaft bekannt und gut integriert. Als ehemaliger Frontkämpfer, wichtiger Exportunternehmer und Arbeitgeber in der Stadt, fühlte sich Sali Lorch selbst nach der Machtübernahme der Nazis noch sicher und zog eine Emigration ins Ausland nicht in Betracht.

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Geschäftlich war er ständig auf Reisen – vor allem nach England, wo in London eine Niederlassung eröffnet worden war. Walter, 1914 in Offenbach geboren, musste auf Druck der Nationalsozialisten seine Schule, ein Frankfurter Gymnasium, verlassen und ging 1937 nach London zur kaufmännischen Ausbildung bei der Firma Rowenta. Von England aus verfolgte er die zunehmende Diskriminierung der Juden in

Deutschland. Er bedrängte seinen Vater, Offenbach zu verlassen. Doch der konnte sich noch immer nicht zur Emigration der Familie entscheiden. Tochter Irmgard Johanna, geb. 1923 in Offenbach, musste ebenfalls das öffentliche Mädchen- gymnasium auf Druck der Nazis verlassen und besuchte danach die Bezirksschule, die 1934 für jüdische Schülerinnen und Schüler in Räumen der Synagoge eingerichtet worden war.

Vater Sali Lorch wurde 1938 nach seinem 25-jährigen Jubiläum bei Rowenta auf Druck der Nationalsozialisten aus der Firma ausgeschlossen und zur „Arisierung“ gedrängt. Durch den Verkauf seiner Geschäftsanteile an den in der Firma tätigen Prokuristen namens Heuckeroth wurde das Unternehmen – wie von den Nazis gefordert – „arisiert“.

In der Hoffnung, im Londoner Rowenta-Büro eine Anstellung zu finden, entschloss sich Sali Lorch nun zur Emigration. Hierfür musste er das Haus unter Wert verkaufen. Der Termin für die Flucht der Familie aus Offenbach wurde bis zum Schluss geheim gehalten.

 Großmutter Philippine Feitler (Jg. 1867) blieb allein in Offenbach zurück. Am 09.11.1938 erlebte sie dort den Überfall von SS-Leuten, die Sali Lorch noch im Haus versteckt vermuteten. Frau Feitler entging der Verhaftung durch Unterstützung der neuen Eigentümer. 1939 konnte sie der Familie nach Birmingham folgen, wo Sali Lorch, nach Verlust aller finanzieller Güter, Arbeit in einem Galanterieunternehmen gefunden hatte, da ihm im Londoner Büro der Firma Rowenta keine Anstellung gewährt worden war. Nach Kriegsbeginn litt die Familie Lorch in England unter der Einstufung als „feindliche Ausländer“. Sali Lorch behielt zum Glück seine Arbeit in dem zum Rüstungsunternehmen umgestalteten Betrieb, aber Walter Lorch wurde für ein Jahr auf der Isle of Man interniert. Irmgard Lorch, die sich nun Joan nannte, konnte trotz der Kriegswirren ihre Schulausbildung auf der „King Edward High School of Girls“ fortsetzen und sogar ein Studium der Biologie anschließen und 1944 beenden.

Nach der Haftentlassung aus dem Internierungslager trat Walter in die britische Armee ein. Er war so kein „enemy alien“ mehr und erhielt die britische Staatsbürgerschaft.

Nach Kriegsende setzte Joan ihre Studien fort und machte sich in der Folgezeit an der Universität in London mit verschiedenen biologischen Veröffentlichungen einen Namen.1947 nahm sie die britische Staatsbürgerschaft an, ebenso ihre Eltern und ihre Großmutter. Nach ihrer Eheschließung mit dem englischen Dentisten Peter Hugh Staple beendete Joan Staple 1952 ihre wissenschaftliche Tätigkeit in England und widmete sich der Kindererziehung. Mitte der sechziger Jahre wanderte sie mit ihrer Familie in die USA aus und setzte als Biologieprofessorin am Canisius College in New York ihre berufliche Karriere fort. Bis heute lebt Joan Lorch-Staple in Buffalo in New York. «

 

Firma Rowenta in Offenbach
Firma Rowenta in Offenbach

Robert Boley
Friederike Boley, geb. Neuhaus

Bahnhofstraße 20

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Quelle: Offenbacher Nachrichten vom 15.11.1938

Robert Boley (geb. am 09.06.1884 in Offenbach) und seine Ehefrau Friederike wohnten in der Bahnhofstraße 20. Friederike wurde am 25.08.1890 als Tochter von Wilhelm und Selma Neuhaus, geb. Simons, in Offenbach geboren.

Robert war eines von fünf Kindern des jüdischen Ehepaares Jakob und Amalie Boley, geb. Reinhardt. Seine Geschwister waren Selma (geb. 18.07.1877), Albert (23.11.1878), Julius (19.03.1882) und Jenny (28.05.1888). Gemeinsam mit seinen Brüdern führte Robert seit 1923 in der Domstraße 79 ein Familienunternehmen zur Herstellung und zum Vertrieb von Lederwaren. Laut Gewerberegister wurde das Unternehmen im Jahr 1932 abgemeldet. Danach war Robert Boley bis 1938 als Handelsvertreter tätig.

Am 09. und 10. November 1938 versetzten die Pogrome die jüdische Bevölkerung in große Angst. Auch in Offenbach wurde die Synagoge in der Goethestraße in Brand gesteckt und viele jüdische Geschäfte sind beschädigt und geplündert worden. Wohnungen wurden durchsucht, zahlreiche Menschen verprügelt und verhaftet.

Nicht wenige jüdische Menschen versuchten, sich in der folgenden Zeit das Leben zu nehmen, so auch Friederike und Robert Boley. Am Sonntag, 13.11.1938, vergifteten sich das Ehepaar zusammen mit Antonie Grosch und ihrer Schwiegertochter Elisabeth in der Parterrewohnung der Bahnhofstraße 20 mit Gas.

Am nächsten Morgen löste der Milchmann Adam Theobald Jakoby mit der Türklingel eine Explosion aus. Herabstürzende Mauerteile töteten ihn in der Toreinfahrt. Die anderen Bewohner des Hauses wurden von der Feuerwehr gerettet. Auch in den Nachbarhäusern gab es Beschädigungen und Verletzte. Nur zwei Tage später sprengte die Feuerwehr das unbewohnbare Haus. Zu den Aufräumarbeiten wurden Offenbacher Juden herangezogen. «


Antonie Grosch, geb. Fernkorn Elisabeth Grosch, geb. Lövi

Bahnhofstraße 20

Antonie Grosch, geb. Fernkorn wurde am 17.08.1871 in Offenbach geboren. Sie heiratete am 13.08.1892 Franz Bernhard Grosch. Die Eheleute wohnten lange Zeit in der Sprendlinger Landstraße 9. Sie hatten 2 Söhne. Gustav Ernst, am 29.05.1893 geboren, verstarb bereits am 08.08.1894. Robert wurde am 28.09.1895 in Offenbach geboren. Der Vater Franz Bernhard Grosch verstarb am 30.07.1922.

Robert heiratete am 24.03.1921 Elisabeth Lövi, die am 07.09.1894 in Heßloch/Krs. Worms geboren war. Das Ehepaar lebte ebenfalls in der Sprendlinger Landstraße 9. Antonie Grosch zog mit ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter am 31.03.1938 in das sogenannte Judenhaus in der Bahnhofstr. 20.

Im November 1938 verbreiteten die Pogrome gegen die Juden Angst und Schrecken unter der jüdischen Bevölkerung in ganz Deutschland. Es wurden Brände in Synagogen gelegt, jüdische Geschäfte zerstört, jüdische Bürger in Konzentrationslager gebracht, gedemütigt, verhöhnt, misshandelt, ja getötet. Auch in Offenbach gab es massive Angriffe auf jüdische Menschen und jüdisches Eigentum. Es war keine Seltenheit, dass sich jüdische Menschen nach den Pogromen vom 9. und 10. November 1938 das Leben nahmen.

In der Parterrewohnung des Hauses in der Bahnhofstraße 20 vergifteten sich Antonie und Elisabeth Grosch am 13. November 1938 zusammen mit den Eheleuten Friederike und Robert Boley mit Gas. Wie bereits im vorherigen Text beschrieben, löste der Milchmann mit der Türklingel eine Explosion aus, wobei auch er ums Leben kam.

Über das Schicksal von Robert ist nichts Näheres bekannt. «


Otto Baum
Henny Baum, geb. Wolff
Alice und Judis Baum

Bernardstraße 57

Otto Baum, geboren am 26.03.1879 in Schornsheim, Hessen, war der Sohn von Joseph und Babette Baum. Von Beruf war er Kaufmann, lebte zuerst mit seiner Familie in Straßburg, zog 1920 um nach Offenbach in die Goethestraße 86 und später in die Bernardstraße 57. In Offenbach arbeitete er anfänglich als Stoff- und Kleidungshändler und später als Eisenbahnangestellter.

Seine Frau Henny Baum geb. Wolff, geboren am 09.07.1887 in Hamburg Altona, war die Tochter von Waldemar und Emma Wolff.

Otto und Henny Baum hatten vier Kinder. Das älteste Kind war ihr Sohn Erwin, geboren am 05.11.1909, das zweite, die Tochter Erna, kam am 03.01.1911 in Straßburg zur Welt. Ihr drittes Kind war Alice, geboren am 29. Dezember 1913 in Straßburg, und ihr viertes Kind Anna, geboren am 07.01.1921 in Offenbach, lebte nur vier Tage. Erwin Baum starb 1934 in Frankfurt.

Alice Baum, die am 11.04.1939 ihre Tochter Judis Baum gebar, war Schneiderin und ledig. Zwischen den Jahren 1932 und 1939 zog sie zehn Mal zwischen Frankfurt und Offenbach hin und her.

Otto Baum wurde vom 16.11. bis zum 28.12.1938 in „Schutzhaft“ in das Konzentrationslager Dachau gebracht.

Nach der Offenbacher Meldekartei ist Alice am 01.10.1940 nach „unbekannt verzogen“. Aus der zentralen Deportationsliste aus Darmstadt geht hervor, dass Otto, Henny, Alice und Judis Baum am 30. September 1942 nach Polen deportiert wurden. Alle vier wurden vermutlich in Auschwitz ermordet. Erna Baum überlebte die Nazi-Zeit. «

Meldekarte von Alice Baum
Meldekarte von Alice Baum

Heinrich Stein
Selma Stein, geb. Stein
Ilse Stein

Bieberer Str. 35

Heinrich Stein, geb. am 02.11.1885 in Offenbach, war als Reisender tätig, seine Frau Selma, auch eine geborene Stein, und am 19.02.1894 in Büttelborn geboren, war Hausfrau. Sie wohnten in der Bieberer Straße 35 in Offenbach. Tochter Ilse wurde am 22.02.1922 in Offenbach geboren.

Während ihrer Schulzeit pflegte Ilse Stein regen Kontakt mit christlichen Schulkameradinnen und feierte mit ihnen ihren Geburtstag in der Wohnung der Familie. Der Kontakt ging verloren, als Ilse Stein die öffentliche Schule verlassen musste. Sie erlernte das Schneiderhandwerk und war in diesem Beruf tätig.

Mit ihren Eltern erlebte sie die Diskriminierung und Verfolgung der Juden in Offenbach. Ihr Vater wurde am 16.11.1938 verhaftet und in das KZ Dachau gebracht, wo er bis zum 29.12.1938 inhaftiert war. Nach seiner Entlassung verblieb die Familie in Offenbach. Eine Emigration ins Ausland war aus finanziellen Gründen nicht möglich, da der Vater Heinrich nunmehr nur noch als Hilfsarbeiter tätig war.

Im Dezember 1939 musste die Familie die Wohnung in der Bieberer Straße 35 verlassen und in die Luisenstraße 6 umziehen, wo noch weitere 24 Juden und Jüdinnen wohnten. Die Familie Stein lebte dort bis zum 30. September 1942, dem Tag, an dem sie mit den Hausbewohnern und vielen weiteren Offenbacher Juden über Darmstadt nach Polen deportiert worden sind.

In der Meldekarte der Familie Stein steht: Ab 09.10.1942 verreist. «

Meldekarte von Ilse Stein
Meldekarte von Ilse Stein

 


Georg Kaul

Bieberer Straße 269

Georg Kaul wurde am 11. August 1873 in Schlesien geboren. Er kam 1910 nach Offenbach, um für die sozialdemokratische Zeitung „Offenbacher Abendblatt“ zu schreiben. Bis 1932 blieb er in seinem Beruf aktiv.

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Gleichzeitig war er ein viel gefragter Redner in Volksversammlungen und Gewerkschaftsveranstaltungen.

Nach der November-Revolution von 1918 übernahm Georg Kaul den Vorsitz im Arbeiter- und Soldatenrat. Als erste Maßnahme des Rates verkündete Kaul die Einführung des 8- Stunden-Tages in Offenbach.

1919 wurde er in die Hessische Volkskammer gewählt. Bis zu seinem Ausscheiden aus dem Landtag führte er den Vorsitz der SPD-Fraktion.

Täglich warnte er in „seiner“ Zeitung vor dem Aufkommen des Faschismus. Die Machtübernahme der Nazis stürzte ihn in tiefe Verzweiflung.

Am 1. Mai 1933 machten bis dahin nicht verhaftete Offenbacher Gewerkschafter den großen Fehler: „… im vollen Bewusstsein ihrer Pionierdienste für den Maigedanken, für die Ehrung der schaffenden Arbeit und für die vollberechtigte Eingliederung der Arbeiterschaft in den Staat, sich allerorts an der von der Regierung veranlassten Feier festlich zu beteiligen“. Eine große Mehrheit der Offenbacher arbeitenden Bevölkerung fand sich am 1. Mai auf dem Wilhelmsplatz ein.

Als Georg Kaul erlebte, wie ehemals aktive Gewerkschafter mit der NS-Arbeitsfront im gleichen Zug zur Maifeier marschierten, brach für ihn eine Welt zusammen.

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In der Wohnung der Familie Brand in der Bieberer Straße 269, wo Kaul zuletzt zur Untermiete wohnte, führte er in der Nacht zum 2. Mai 1933 eine hitzige Debatte mit einigen seiner Genossen. Im Zustand höchster Erregung verabschiedete er sich.

Danach entschloss er sich zum Suizid durch Einnahme von Gift in seinem Tee. Er starb am 02. Mai im Offenbacher Krankenhaus. Die letzten Worte in seinem Abschiedsbrief: „Für so viel Gesinnungslumperei schäme ich mich. Ich werde versuchen zu gehen.“

Am 2. Mai 1933 wurden die Gewerkschaftshäuser auf Anweisung der DAF durch die NSBO, SA und SS besetzt. Die früheren Gewerkschaftsfunktionäre kamen in „Schutzhaft“. «


Dr. Manfred Weinberg

Bieberer Straße 282/Stadion

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Quelle: Mainzer Nachrichten

Dr. Manfred Weinberg, geb. am 21. April 1902, Sohn einer alten Offenbacher Beamtenfamilie, war Rechtsanwalt und lebte in der Straße der Republik 29, wie die Kaiserstraße von 1919 – 1933 hieß. Sein Vater war aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde in Bürgel.

Dr. Manfred Weinberg war bis 1932 Vorstandsmitglied der Offenbacher Kickers und konnte in dieser Eigenschaft in letzter Minute verhindern, dass Adolf Hitler am 16. Juni 1932 im Kickers-Stadion sprechen konnte. Die NS-Kundgebung mit

20.000 Besuchern fand dann auf dem benachbarten Sportplatz des SV Offenbach 02 statt. Eine später einberufene Mitgliederversammlung des OFC forderte Dr. Weinberg zum Rücktritt auf, nachdem bereits 200 Mitglieder aus Protest den Verein verlassen hatten. Nun waren die Kickers „frei von jüdischem Einfluss. Wir gratulieren!“ – so die Offenbacher Nachrichten vom 28.07.1932.

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Dr. Weinberg stand der SPD sehr nahe und trat mutig den Nazis entgegen. Nach der Machtübernahme bekam er deren Rache zu spüren. Im März 1933 kam Dr. Weinberg vorübergehend in „Schutzhaft“ ins KZ Osthofen (Rheinhessen). Ende April 1933 zwangen die Nazis, Dr. Manfred Weinberg, gemeinsam mit dem Kaufmann Ernst Oppenheimer, auf dem Wilhelmsplatz kommunistische Parolen zu entfernen – mit einer Zahnbürste. Die umstehenden Passanten protestierten nicht.

Im Mai 1933 erhielt er Berufsverbot. Angesichts der zunehmenden Pogromhetze gegen Juden emigrierte er, lebte im Exil in Frankreich und Afrika. Bereits 1946 kehrte Dr. Weinberg nach Deutschland zurück und wurde mit dem Wieder- aufbau des Mainzer Arbeits- amtes betraut.

Der Name Dr. Weinberg tauchte bis 2001 in keiner Chronik und in keiner Festschrift des Vereins auf. «


Otto Schönhof
Paula Luise Schönhof, geb. Löwenstein

Bismarckstraße 67

In der Gedenkstätte Auschwitz liegt in einer großen, mit Tausenden von Koffern gefüllten Vitrine auch ein Koffer, der mit einer Offenbacher Adresse beschriftet ist. Schon mehreren Offenbacher

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Quelle: „Die Glocke“, Oelde

Schulklassen, welche die Gedenkstätte besuchten, sowie der Krakau/Auschwitz- Reisegruppe der Geschichtswerkstatt Offenbach ist dieser Koffer aufgefallen und er veranlasste sie, nach dem Schicksal seiner Besitzer zu fragen. Hierzu sind allerdings nur spärliche Informationen zu finden.

Der Koffer gehörte dem Ehepaar Paula Luise und Otto Schönhof.

Quelle:vaikkos-archiv

Otto Schönhof wurde am 25.08.1870 in Offenbach geboren und ist dort aufgewachsen. Seine Frau Paula Luise, geb. Löwenstein, (geb. 06.01.1881) stammte aus Frankfurt. Die beiden heirateten um die Jahrhundertwende. Etwa zur selben Zeit übernahm Otto Schönhof die Offenbacher „Schuh- und Lederwarenfabrik Schönhof-Strauss“ von seinen Eltern.

Das Ehepaar Schönhof wohnte zunächst in der Sprendlinger Landstrasse 3; im Jahr 1929 zog es mit seinen beiden Töchtern Margarethe und Elsbeth in die Bismarckstraße 67. Die Töchter wanderten in den 30er Jahren in die USA aus.

1940 wurden Otto und Paula Schönhof gezwungen, in das Haus Ludwigstraße 28 zu ziehen. Am 27. September 1942 wurden Paula und Otto Schönhof nach Theresienstadt „evakuiert“. In diesem in Böhmen gelegenen, von den Nazis als „jüdisches Altersheim“ bezeichneten Konzentrationslager herrschten aufgrund von Überfüllung schlimmste hygienische Bedingungen und Hunger. Otto Schönhof war zu diesem Zeitpunkt 72 Jahre alt, Paula Schönhof 61 Jahre. Siebzehn Tage nach der Ankunft, am 14.10.1942, starb Otto Schönhof dort unter unklaren Umständen.

Seine Frau blieb in Theresienstadt und wurde in einem der letzten Massentransporte am 18.05.1944 nach Auschwitz deportiert, wohin sie den Koffer mitnahm. Den Deportierten wurden sofort nach der Ankunft alle Gepäckstücke abgenommen, sie durften keine persönlichen Gegenstände behalten. Kleidung und verwertbare Gegenstände aus dem Gepäck wurden nach Deutschland geschickt.

Paula Schönhof starb in Auschwitz, das genaue Datum und die Todesursache sind nicht bekannt. Denkbar ist, dass sie aufgrund ihres Alters gleich „ins Gas geschickt“ wurde. «


Samuel Augenblick

Dietesheimer Straße 40

Samuel Augenblick, geboren am 7. Mai 1885 in Tarnopol (damals K+K Österreich/Ungarn), war gelernter Tischler und kam im Jahre 1907 nach Offenbach. Am 31. Mai 1910 heiratete er die katholische Margaretha Lantz aus Bieber. Die beiden bekamen 3 Kinder. Seit 1907 war er ein engagiertes Mitglied der Offenbacher SPD. Zwei Jahre später, im Juni 1909 trat er aus der jüdischen Gemeinde aus und wurde freireligiös. Nach Ende des 1. Weltkrieges beantragte er die Aufnahme (Einbürgerung) in den Hessischen Staatenbund, die am 25. Februar 1919 vom Hessischen Kreisamt beurkundet wurde.

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Die gesamte Familie war radfahrbegeistert und sehr bald Mitglied des SPD-nahen Arbeiter-Radfahrer-Bundes „Solidarität“, in dem Samuel Augenblick das Amt des Kassierers innehatte.

Am 30.09.1935 wurde er nach 15-jähriger Tätigkeit für die Verbrauchergenossenschaft Frankfurt (späterer Konsum-Genossenschaft), zuletzt als Leiter der Konsum-Filiale in Bürgel, wegen seiner „nicht arischen Abstammung“ entlassen. In der Folgezeit versuchte er sich in Bieber mit einem Lebensmittelgeschäft selbstständig zu machen, auch hier wurde er wegen seiner politischen Zugehörigkeit von den lokalen Machthabern abgewiesen.

Im Zuge der „November-Aktion“ wurde er 1938 aufgrund seiner politischen Ausrichtung und seiner religiösen Herkunft vom 16.11.1938 bis zum 15.12.1938 im KZ Dachau interniert. Seine Frau erreichte seine Freilassung aufgrund seiner Kriegsteilnahme im 1. Weltkrieg von 1915 bis 1918 für Österreich, wo er als Unteroffizier 1. Klasse gekämpft hatte. Samuel Augenblick erkannte sofort die gefährliche Situation und versuchte Anfang 1939 vergeblich, unter anderem, mit Hilfe von jüdischen Hilfsorganisationen mit seiner Familie zu emigrieren.

Am 1. Mai 1943 wurde er zuhause im Beisein seiner Familie von der Gestapo verhaftet und blieb bis Oktober 1943 im Zwangsarbeitslager in Heddernheim/Frankfurt. Mitte Oktober 1943 wurde er in das KZ-Auschwitz überführt und befand sich dort bis zum Januar 1944. Den letzten Brief an seine Frau schrieb er am 31.12.1943, mit der Bitte um Lebensmittel. Ende Februar 1944 erhielt seine Familie die Sterbeurkunde, laut derer Samuel Augenblick am 27. Januar 1944 um 7.00 Uhr im KZ-Auschwitz verstorben sei.

Laut Angaben des Hessischen Statistischen Landesamtes war Samuel Augenblick 1941 der letzte Jude in Bieber. Aufgrund seiner politischen Haltung und Aktivität gilt er als Widerstandskämpfer. «


Leo Reinhardt
Siegfried Reinhardt
Hilde Reinhardt, geb. Sender

Domstraße 70

Siegfried Reinhardt mit seiner ersten Ehefrau und den drei Kindern
Siegfried Reinhardt mit seiner ersten Ehefrau und den drei Kindern

Siegfried Reinhardt wurde am 31.05.1906 als eines von 7 Kindern einer jüdischen Familie in Heusenstamm geboren. Wie sein Vater und Großvater arbeitete er als Bäcker. Im September 1928 zog er nach Offenbach und war wie sein Vater bei der Bäckerei Krebs am Wilhelmsplatz beschäftigt. Siegfried Reinhardt heiratete und hatte mit seiner ersten Frau Anna Schilling (geb. 05.05.1910), einer Christin, drei Kinder.

Nach der Scheidung heiratete er die Jüdin Hilde Sender (geb. 21.10.1912). Sie brachte den 1932 geborenen Jungen Leo mit in die Ehe.

Laut der Gestapolisten zur Deportation der Offenbacher Juden wohnte die Familie Reinhardt 1942 in der Domstraße, zusammen mit weiteren Verwandten.

In den Jahren davor waren nicht nur Siegfried und seine Familie, sondern auch seine geschiedene Frau und deren Kinder den Repressalien der Nazis ausgesetzt. Die Kinder, so genannte

„Halbjuden“, wurden u.a. in der Schule schikaniert und durften bei Luftangriffen nicht in die Bunker. In der letzten Phase der NS-Zeit mussten sie sich aus Angst, auch abgeholt zu werden, im Keller verstecken.

Stolpersteinverlegung am 07.07.2021
Stolpersteinverlegung am 07.07.2021

Siegfried Reinhardt, seine Frau Hilde und ihr zehnjähriger Sohn Leo wurden am 30. September 1942 zusammen mit ca. 180 anderen Offenbacher Juden deportiert. Auch Siegfrieds Eltern, Sally und Fanny Reinhardt, geb. Kahn, befanden sich in diesem Transport. Zunächst wurden sie von

Offenbach nach Darmstadt gebracht, von dort aus ging es weiter nach Polen, vermutlich nach Treblinka. Als Todesdatum für Siegfried und Hilde Reinhardt wurde vom Amtsgericht Offenbach der 8. Mai 1945 festgelegt. «

 


Dr. Erwin Stein
Hedwig Stein, geb. Herz

Domstraße 74

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Hedwig Stein wurde am 19.11.1898 in Gaulsheim geboren und war mosaischen Glaubens. Erwin Stein wurde am 07.03.1903 in Grünberg geboren und gehörte der evangelischen Kirche an. Sie heirateten 1931 in Offenbach und wohnten bald danach in Büdingen, wo Erwin Stein seine erste Stelle als Staatsanwalt antrat. Mit dem 30. Januar 1933 verdüsterte sich die Lage. Nach dem rassistischen Verständnis der Nationalsozialisten galt die Ehe als

„Mischehe“. Der von den Nationalsozialisten geforderten Scheidung von seiner jüdischen Frau kam er nicht nach. Das Ehepaar Stein war in der Folgezeit zahlreichen Repressalien ausgesetzt und wurde wegen der „Mischehe“ gemieden.

Erwin Stein gab, um einer Entlassung aus dem Staatsdienst wegen seiner jüdischen Frau nach dem sog. Arier-Paragraphen zu- vorzukommen, sein Amt auf und ließ sich in Offenbach als Rechtsanwalt nieder. Seine Kanzlei war für viele jüdische Offenbacher Bürger vor ihrer Emigration eine Anlaufstelle. Zum Teil konnte er nur heimlich mit loyalen Kollegen zusammenarbeiten.

Die schrittweisen Verschlechterungen, die das Regime den jüdischen Bürgern bereitete, bestimmten das Leben des Paares mehr und mehr. Immer wieder erwogene Pläne zur Auswanderung in die Schweiz oder in die USA ließen sich nicht realisieren.

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Als Hedwig Stein im März 1943 per Postkarte die Aufforderung erhielt, sich bei der örtlichen Dienststelle der Gestapo in Offenbach zu melden, ahnte sie wohl, was ihr bevorstand. Schon im Jahr zuvor, 1942, war ihre Schwester Lilly Herz nach dem Osten deportiert worden, monatelang hatte sie nichts von ihr gehört.

Hedwig Stein ist der Vorladung bei der Gestapo nicht gefolgt. In ihrer Verzweiflung nahm sie sich am 23.03.1943 in der Domstraße 74 das Leben.

Dr. Erwin Stein wurde kurz darauf von der Wehrmacht als Soldat eingezogen. Er kam 1945 in britische Kriegsgefangenschaft und kehrte im Frühsommer 1945 nach Offenbach zurück. Wohnung und Kanzlei waren komplett zerstört. Innerlich war er sich schon lange gewiss, dass nun „alles anders werden“ müsse. In den folgenden Jahren war er in der Offenbacher Kommunalpolitik, in der verfassungsgebenden Landesversammlung von Groß-Hessen, als Hessischer Kultusminister und schließlich als Verfassungsrichter in Karlsruhe tätig. Er engagierte sich für den Aufbau eines demokratischen und freiheitlichen Staates, sicher auch im Bewusstsein des traurigen Schicksals seiner Frau Hedwig. «


Albert Boley
Clara Boley, geb. Reichold

Domstraße 79

Albert Boley (geb. 23.11.1878) war der älteste Sohn des jüdischen Ehepaares Jakob und Amalie Boley geb. Reinhardt. Seine Geschwister waren Selma (geb. 18.7.1877), Julius (geb.19.3.1882), Robert (geb.9.6.1884) und Jenny (28.05.1888). Albert heiratete im August 1908 Clara Reichold, die am 07.04.1883 in Jugenheim geboren wurde. Das Ehepaar hatte drei Kinder: Marta (geb.13.10.1909), Lothar (geb.13.07.1915, gest. 01.08.1916) und Heinz (geb. 22. 02.1920), die alle in Offenbach geboren wurden.

Albert führte gemeinsam mit seinen Brüdern seit 1923 in der Domstraße 79 ein Familienunternehmen zur Herstellung und zum Vertrieb von Lederwaren. Laut Gewerberegister wurde das Unternehmen im Jahr 1932 abgemeldet. Gemäß der Emigrationsliste der Jüdischen Gemeinde konnte der Sohn Heinz im September 1938 in die USA emigrieren.

Albert und Julius Boley wurden im Rahmen der Novemberpogrome in Offenbach verhaftet und am 16.11.1938 in das KZ Dachau transportiert. Albert wurde am 28.11.1938 wieder aus dem KZ entlassen und Julius am 05.12.1938. Beide erhielten die Auflage, Deutschland umgehend zu verlassen. Julius konnte im Februar 1939 nach Schweden flüchten.

Vermutlich versuchte Alberts Sohn Heinz seine Eltern in die USA nachzuholen und das Ehepaar stellte einen Ausreiseantrag in die USA.

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Laut Meldekartei sollen Albert und Klara Boley am 07.05.1940 nach New York ausgewandert sein. Dies ist aber nicht gelungen und kann nicht zutreffen, da ihre Namen in der Deportationsliste vom 30. September 1942 unter

den Nummern 376 und 377 aufgeführt werden. Diese Liste war mit der zynischen Überschrift

„Wohnsitzverlegung nach dem Generalgouvernement“ (Polen) versehen.

In den Jahren 1942 und 1943 gab es vom Darmstädter Güterbahnhof drei Massentransporte nach Theresienstadt und Auschwitz. Die Nazis haben hier insgesamt 2.224 Menschen, die im ehemaligen Volksstaat Hessen lebten, in den Tod geschickt. Unter ihnen waren über 280 Offenbacher Juden. Wann und wo Albert und Clara Boley ums Leben kamen, bleibt unbekannt. In ihrer Meldekarte im Offenbacher Stadtarchiv ist vermerkt:

Todeserklärung des Amtsgerichts Offenbach/M. vom 21. November 1949 – Beschluß:

  1. Es wird festgestellt, daß der Fabrikant Albert Boley und Ehefrau Clara, geb. Reichold verstorben sind.
  2. Als Zeitpunkt ihres Todes wurde der 8. Mai 1945 festgestellt. «

Theodor Haas

Dreieichring 16

Theodor Haas wurde am 09.07.1883 als Sohn jüdischer Eltern in Bürgel geboren und wohnte mit ihnen bis zu seiner Heirat im Jahre 1934 in der Kreuzstraße 27. Danach lebte er mit seiner Ehefrau Maria Elisabeth im Dreieichring 16. In der amtlichen Meldekartei von 1938 wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die Ehefrau „arischer Herkunft“ ist und der jüdischen Gemeinschaft nie angehört hat.

Aus dem Adressbuch und der Kartei der Gewerbetreibenden von 1937/38 ist zu entnehmen, dass Theodor Haas 1924 mit einem Kompagnon eine Handelsgesellschaft gründete, die Lederwaren und Reiseartikel vertrieb. Bis 1938 hatte er diesen Betrieb in der Bernardstraße 63 inne.

Gemäß der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben von November 1938“ musste Theodor Haas das Unternehmen am 28.12.1938 zwangsweise schließen. In einem Zeitungsartikel der Offenbacher Nachrichten vom gleichen Tag ist vermerkt, dass das

„Geschäft nebst Firma nach Auflösung der Gesellschaft“ an die Fabrikanten Dinges & Keinath „veräußert“ worden ist. Nach der „Arisierung“ seiner Firma fristete Theodor Haas von 1940 bis 1942 sein Leben als Hilfsarbeiter in einer anderen Offenbacher Lederwarenfabrik.

Nach Aussagen eines Zeitzeugen, dem Sohn des damaligen Hausbesitzers im Dreieichring, waren Gespräche mit dem Juden Theodor Haas ab sofort in der Öffentlichkeit verboten, was dem Jungen in keiner Weise einleuchtete und bei ihm die Frage aufwarf, warum „Juden plötzlich böse“ sein sollten.

Im Mai 1941 musste das Ehepaar Haas die Wohnung im Dreieichring für einen NS-Arzt räumen und in das Haus Ludwigstraße 28 ziehen, in dem noch andere ausquartierte Juden wohnten. Das gesamte, noch vorhandene Sparvermögen wurde eingezogen.

Wegen des sog. „Mischehen-Status“ entging Theodor Haas im September 1942 noch der Deportation. Im März 1943 wurde er Opfer der von den Nationalsozialisten angeordneten „Beseitigung der jüdischen Partner in Mischehe“. Nach Aussagen von Elisabeth Haas wurde ihr Ehemann am 16.03.1943 zur Vernehmung bei der Gestapo in Offenbach einbestellt, von wo er nicht mehr heimkehrte. Auf Nachfrage erfuhr sie von Gestapo-Beamten Hedderich, dass sich ihr Ehemann im Polizeigefängnis in Offenbach befinde. Nach zweitägiger Haft wurde er mit zehn weiteren „Nichtariern“ in das Gestapo-Gefängnis nach Darmstadt gebracht und dort 50 Tage festgehalten. Während dieser Zeit durfte sich das Ehepaar nur einmal kurz sprechen. Den Grund für die Verhaftung wussten sie nicht und konnten ihn auch nach mehrfachen Anfragen an verschiedenen Stellen nicht in Erfahrung bringen.

Frau Haas erhielt nur noch einmal eine Postkarte von ihrem Mann aus einem Ort bei Auschwitz. Im September 1943 fand sie die Nachricht von seinem Tod in ihrem Briefkasten vor. Er sei in Auschwitz an Lungenentzündung gestorben und dort eingeäschert worden.

In der Offenbacher Meldekartei von Theodor Haas wurde dazu vermerkt: Gestorben am 24. August.1943 in Auschwitz. Die verwitwete Ehefrau Haas durfte ab September 1943 in das Haus am Dreieichring 16 zurückkehren und wohnte dort bis 1968. Danach lebte sie wieder im Geburtshaus ihres Mannes in der Kreuzstraße 27. «


Hugo Oppenheimer
Recha Oppenheimer, geb. Hess
Ernst Josef und Trude Oppenheimer

Frankfurter Straße 1

Hugo Oppenheimer, der am 17.02.1877 in Weinheim geboren wurde, wohnte nach seiner Heirat mit Recha Heß ( geb. 04.07.1885 in Frankfurt ) im Jahr 1906 in Offenbach in der Herrnstraße 30, wo er bereits 1904 ein Textilgeschäft eröffnet hatte. Um 1915 erweiterte er sein Geschäft durch den Umzug in das geräumige Haus an der Frankfurter Straße 1 / Ecke Marktplatz.

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Nach dem Kauf des stattlichen Hauses und beträchtlichen Umbauten in den Jahren 1927/1928 machte Hugo Oppenheimer das Geschäft zu einem der gefragtesten Kaufhäuser in Offenbach mit über 100 Angestellten.

Sein Sohn Ernst Josef, der am 27.06.1907 in Offenbach geboren wurde, arbeitete nach abgeschlossener kaufmännischer Ausbildung im Geschäft des Vaters mit, das als jüdisches Kaufhaus mit anderen Geschäften in der Frankfurter Straße erfolgreich konkurrierte.

Bereits am 31.03.1933 – ein Tag vor dem Judenboykott – wurde das Geschäft vor den Augen vieler Zuschauer von SS-Leuten nach angeblichen Quittungen des Sohnes für den Kauf von Instrumenten für die kommunistische Musikkapelle in Offenbach durchsucht. Ohne Erfolg. Ein Tag vor dem 01. Mai 1933 wurde dann Ernst Oppenheimer von SA-Leuten vom Geschäft abgeholt und zusammen mit dem Juden Dr. Manfred Weinberg dazu gezwungen, in aller Öffentlichkeit mit einer Bürste vom Boden des Wilhelmsplatzes kommunistische Parolen zu entfernen.

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Trotz der Boykottaufforderungen „Deutsche raus! Ihr sollt nicht bei Juden kaufen“ lief das Geschäft aufgrund der Unterstützung vieler Stammkunden noch gut, aber mit der Zeit brach es ein, da jüdische Geschäftsinhaber von „arischen“ Lieferanten immer weniger Waren erhielten. Noch wehrten sich die Oppenheimers, das Unternehmen an „arische“ Interessenten zu verkaufen und glaubten, dem Druck der Diskriminierung und der Kontrolle durch die Nazis standhalten zu können.

 

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Mit der Verkündung der „Nürnberger Gesetze“ im September 1935 änderte Ernst Oppenheimer seine Ansicht. Er beantragte nach seiner Heirat mit Margot Strauss ein Zertifikat für die Emigration nach Palästina. Nach Zahlung von 1.000 Pfund und der Verpflichtung, sich in Palästina auf dem Lande niederzulassen, hat er im Frühjahr 1936 Deutschland verlassen.

Hugo Oppenheimer konnte sich trotz der widrigen Verhältnisse noch nicht dazu entscheiden, mit seiner Ehefrau und der siebzehnjährigen Tochter Trude den Standort Offenbach aufzugeben. Unter dem Druck der Nationalsozialisten musste er dann aber am 01.05.1936 dem Verkauf des Geschäftshauses weit unter dem regulären Preis an den „arischen“ Käufer Kalberlah zustimmen.

Nach dem damit verbundenen Verlust der Wohnung in der Frankfurter Straße zogen die Eltern Oppenheim mit ihrer Tochter zu Verwandten nach Frankfurt.

In der Pogromnacht wurde Hugo Oppenheimer inhaftiert und nach Buchenwald deportiert, von wo er am 27.11.1938 wieder entlassen wurde, nachdem feststand, dass der Sohn Ernst Zertifikate für die Einreise der Eltern nach Palästina erworben hatte. Hugo und Recha Oppenheimer konnten dadurch im Frühjahr des Jahres 1939 in Palästina Aufnahme finden.

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Trotz aller Bemühungen ist es Ernst Oppenheimer nicht gelungen, von den Behörden für seine Schwester Trude aufgrund ihrer noch nicht abgeschlossenen Ausbildung eine Einreisebescheinigung zu erhalten. Sie floh daher im März 1939 in die Niederlande, wo sie bis 1942 lebte.

Trude wurde nach der Besetzung der Niederlande durch die deutsche Wehrmacht als Jüdin verhaftet und kam in das Lager Westerborg. Von dort wurde sie am 15.07.1942 ins Vernichtungslager Ausschwitz deportiert, wo sie am 26.08.1942 getötet wurde. «


Hermann Hirschen
Johanna Hirschen, geb. Levi

Frankfurter Straße 6

Der Kaufmann Hermann Hirschen war mit seinem Herrenkonfektionsgeschäft in der Frankfurter Straße 6, vor allem aber mit seiner originellen Werbung in den 1920er-Jahren eine stadtbekannte Offenbacher Persönlichkeit.

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Geboren wurde er am 16.12.1876 in der galizischen Stadt Kolbuszowa als Sohn des Kurzwarenhändlers Schoja Hirschen und seiner Frau Raisel, geb. Weil.

Als 13-jähriger begann er bei seinem Onkel Heinrich in München eine kaufmännische Lehre. Hier ist er um 1900 auch als „Gesangshumorist“ aufgetreten.

Mit 27 Jahren kam Hirschen nach Offenbach und eröffnete 1903 sein Herrenbekleidungsgeschäft. Drei Jahre später heiratete er Johanna Levi, die am 26.01.1887 geborene Tochter des Bekleidungshändlers Seligmann Bernhard Levi und seiner Frau Elisabeth, geb. Nathan. Am 11.06.1907 kam Kurt Bernhard, der einzige Sohn des Ehepaars, zur Welt.

Mit seinem Konfektionsgeschäft war Hirschen sehr erfolgreich. In den 20er- Jahren brachte er sein komödiantisches Talent in seinen Werbeannoncen zur Geltung. Aktuelle Ereignisse des Weltgeschehens, aber auch lokale Begebenheiten und stadtbekannte Offenbacher waren Gegenstand dieser Inserate, die bald zur begehrten Lektüre der Offenbacher Zeitungsleser wurden.

Seine Beliebtheit bewahrte ihn allerdings nicht davor, zum Opfer antisemitischer Aktionen zu werden. Am 1. April 1933 wurde auch sein Laden Ziel des Boykotts jüdischer Unternehmen. Ein Jahr nach Beginn der NS-Herrschaft, am 1. März 1934, gab Hirschen auf und schloss sein Geschäft.

Das Wohn- und Geschäftshaus in der Frankfurter Straße 6 musste das Ehepaar nach der Arisierung verlassen und zog 1937 in die Frankfurter Straße 10.

 Im Anschluss an den Novemberpogrom 1938 wurde Hermann Hirschen verhaftet und vom 16. bis 28. November im Konzentrationslager Dachau gefangen gehalten. Danach kam er wieder nach Offenbach zurück und musste mit seiner Ehefrau im April 1939 erneut umziehen. Von der Ludwigstraße 68 ist das Ehepaar Hirschen dann im September 1941 gezwungenermaßen in das„Judenhaus“ in der Luisenstraße 84 einquartiert worden.

Am 27. September 1942 wurden beide nach Theresienstadt deportiert.

In der Offenbacher Meldekarte ist dazu der Vermerk eingetragen: „02.10.1942 abgemeldet ohne genaue Angabe des neuen Wohnsitzes“.

Johanna Hirschen starb dort am 18.08.1943, „vor Gram und völlig entkräftet“, wie ihr Ehemann nach dem Krieg aussagte. Er selbst überlebte die Jahre in Theresienstadt und kam Ende Juni 1945 nach Offenbach zurück, wo er zusammen mit Chaim Tyson für kurze Zeit am Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde beteiligt war.

Im April 1946 zog er zu seinem Sohn Kurt nach Schenectady im US-Bundesstaat New York. Dieser war mit seiner Frau Margarethe, geb. Wolf, bereits im August 1938 nach Brüssel ausgewandert und nach dem deutschen Einmarsch in Belgien – auf abenteuerlicher Flucht durch Frankreich – schließlich 1941 in die USA gelangt.

Hermann Hirschen konnte sich in den Vereinigten Staaten nicht mehr einleben. Nach Aussagen seines Sohnes war es nicht mehr sein Leben, das er jetzt führte. Er starb am 30. Oktober 1963 als ein verbitterter Mann. « 

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Quelle: Aufbau. USA Friday, July 27, 1945

 

Jettchen Arnsberg, geb. Westheimer
Else Strauß, geb. Arnsberg
Liesel Strauß

Frankfurter Str. 40

Else Strauß, Tochter von Max und Jettchen Arnsberg, wurde am 31. August 1899 in Babenhausen geboren. Sie heiratete 1921 Moritz Strauß, einen Kaufmann aus Langen, der am 20. Mai 1888 geboren wurde. Am 22. November 1922 kam die Tochter Liesel zur Welt. Fünf Jahre später folgte am 24. Juli 1927 die Tochter Ellen.

Die Familie Strauß wohnte seit 1932 in Offenbach in der Frankfurter Straße 40. Laut Meldekartei lebten seit 1936 auch die Eltern von Else, Max und Jettchen (Jetti) Arnsberg, in dem Haus. Ihr Vater starb hier im September 1937.

Laut der jüdischen Gemeindeliste von 1938 wohnten in der Frankfurter Straße 40 auch die Familien Julius und Thilde Kahn, Siegfried und Marie Morgenthau sowie Ruth Stern.

Meldekarte von Else Strauß
Meldekarte von Else Strauß

In der Meldekarte von Moritz Strauß, dem Ehemann von Else, ist vermerkt: 4.4.1940 nach New York, U.S.A. Die jüngere Tochter Ellen ist laut der Emigrationsliste der jüdischen Gemeinde im Mai 1940 in die USA emigriert. Vermutlich hat das Geld der Familie nicht ausgereicht, um alle Mitglieder ins Ausland zu retten. Im Juni 1942 zogen Else Strauß, ihre ältere Tochter Liesel und ihre Mutter Jettchen Arnsberg in ein sogenanntes „Judenhaus“ in der Luisenstraße 6, in dem schon zahlreiche andere jüdische Familien zwangsweise untergebracht waren.

Else Strauß, ihre Tochter Liesel und ihre Mutter Jettchen Arnsberg (geb.30.10.1877) wurden im September 1942 von hier nach Darmstadt gebracht und von dort am 30.9.1942 nach Polen deportiert. Sie starben im Vernichtungslager Treblinka. In der Meldekarte von Else Strauß steht:

„9.10.1942 unbekannt verzogen“. «


Edith Goldschmidt-Weil, geb. Weil

Frankfurter Straße 80

Edith Goldschmidt-Weil, geb. am 04.09.1873 in Stuttgart, kam nach ihrer Heirat am 02.03.1893 mit dem jüdischen Offenbacher Fabrikanten Adolf Hermann Goldschmidt 1893 nach Offenbach. Die Ehe blieb kinderlos. Der Ehemann führte zusammen mit seinen Brüdern im Haus Frankfurter Straße 80 die vom Vater Salomon Goldschmidt gegründete Posamentenfabrik, ein Betrieb mittlerer Größe. Dieser musste 1930 infolge der Weltwirtschaftskrise aufgegeben werden, nachdem die Firma bereits seit Mitte der 1920er wirtschaftliche Probleme zu bewältigen hatte.

Frau Goldschmidt-Weil gehörte 1906 zwar nicht zu den Gründungsmitgliedern des Vereins fort- schrittlicher Frauen in Offenbach, anfangs „Frauenwohl“ genannt, war aber eines der frühen Mit- glieder und ab ca. 1910 langjährig im Vorstand, seit 1912 als erste Vorsitzende. Einer ihrer Inter- essensschwerpunkte war die Beteiligung von Frauen in der Jugendgerichtshilfe, als Bewäh- rungshelferinnen sowie bei der Übernahme von Vormundschaften. Diese Ziele konnten erst in den 1920er Jahren erreicht werden.

Während des Ersten Weltkriegs war sie, wie auch alle anderen „Frauenwohl“-Mitglieder, in den zahlreichen Kriegshilfe-Einrichtungen tätig.

Nach Umgründung zur Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins ca. 1925 sowie seit 1912 im Verband aller Offenbacher Frauenvereine, war Edith Goldschmidt-Weil in der Ver- bandsleitung aktiv und organisierte seit Mitte der 1920er Jahre dessen Tätigkeit: Vorträge, Bera- tung vor allen zu Schul-, Bildungs- und Berufsfragen sowie die Motivation von Frauen, sich eh- renamtlich sozial sowie in der Kommunalpolitik zu engagieren.

1918 trat sie in den Ortsvorstand der liberalen Deutschen Demokratischen Partei ein. Sie kandi- dierte aber nicht für politische Ämter, vermutlich wegen des Gesundheitszustands ihres 1921 ver- storbenen Mannes sowie der kriegsbedingten wirtschaftlichen Probleme des Familienbetriebs. Sie wurde aber u.a. in städtische Kommissionen für die Mädchenfortbildungsschule sowie die Ver- sorgungs- und Krankenhausdeputation berufen und übernahm diese Aufgaben bis 1933.

Im Jahr 1933, nach der Machtübernahme durch die NSDAP, gehörte der überparteilich und pazifistisch ausgerichtete Allgemeine Deutschen Frauenverein zu den missliebigen Organisationen. Auch dessen Ortsgruppe in Offenbach löste sich unauffällig auf, ohne dass dies öffentlich kommuniziert wurde. Edith Goldschmidt-Weil verlor durch die Neubesetzung der städtischen Ehrenämter ihre langjährig betreuten Aufgaben, da sie sowohl als emanzipierte Frau, als auch wegen ihrer bekannten politisch-liberalen Einstellung und ihrer jüdischen Konfession für das NS-Regime inakzeptabel war.

Da die Erbengemeinschaft 1938 die Liegenschaft Frankfurter Straße 80 verkauften musste, um Goldschmidt-Weils Offenbacher Verwandten die Auswanderung zu finanzieren, zog auch sie aus dem Haus aus und verlegte ihren Wohnsitz nach Stuttgart.

Von dort aus wurde sie am 22.08.1942 nach Theresienstadt deportiert und ist im Ghetto bzw. KZ am 13.09.1942 verstorben. Erst im Dezember 1945 erschien im New Yorker „Aufbau“ für sie eine von ihren im Exil in England, Argentinien sowie Indien lebenden Verwandten veranlasste Todesanzeige. «


Richard Halberstadt
Gerta Halberstadt, geb. Hirschfeld
Charlotte Hirschfeld
Fanny Halberstadt, geb. Schloß

Frankfurter Straße 99

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Vorfahren der Familie Halberstadt lebten bereits im späten 18. Jahrhundert in Offenbach. Im ältesten Offenbacher Einwohnerverzeichnis aus dem Jahr 1784 werden ein Löb Halberstadt und die Witwe eines Abraham Halberstadt erwähnt. Das Gräberverzeichnis des alten jüdischen Friedhofs an der Bismarckstraße nennt drei weitere Mitglieder dieser Familie: Vögel, die Frau des Löb Halberstadt; Mordechaj, den Sohn des Löb Halberstadt; sowie Jendele, die Frau des Nathan Halberstadt. Dieser Nathan Halberstadt, der Urgroßvater von Richard Halberstadt, wurde im Jahr 1817 als „Schutzverwandter“ in die Stadt Offenbach aufgenommen. Seine Söhne, Leopold Löb Halberstadt und Samuel Halberstadt, werden im Offenbacher Adressbuch von 1846 als Gebrüder Halberstadt erwähnt; sie betrieben in der Frankfurter Straße gemeinsam eine „Ellenwarenhandlung“, also ein Geschäft, in dem Kleiderstoffe verkauft wurden. Die beiden Söhne von Leopold Halberstadt, Alex Siegfried (1847-1926) und Jean Adolph (1849-1926), verdienten ihren Lebensunterhalt als Versicherungsagenten.

Richard Halberstadt (geb. 27.09.1889) war der zweite Sohn von Alex Siegfried Halberstadt und seiner Frau Klara, geb. Goldschmidt. Am 01.08.1921 heiratete Richard die aus Berlin stammende Gerta Hirschfeld (geb. 30.03.1889).

Zusammen wohnten sie bis September 1936 in der Frankfurter Straße 80, danach in der Frankfurter Straße 113. Am 23. November 1923 wurde ihr Sohn Günter Halberstadt geboren, der aber bereits am 13.09.1935, im Alter von nicht einmal 12 Jahren, starb.

Richard Halberstadt eröffnete am 04.11.1920 als „Agent für den Verkauf von Industrie- erzeugnissen“ eine eigene Firma in der Frankfurter Straße 78. Nach dem Tod seines Vaters übernahm er 1926 auch dessen Versicherungsagentur. Beide Firmen musste Richard Halberstadt aufgrund der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ am 05.12.1938 bzw. am 16.05.1939 schließen. Im September 1939 zogen Richard und Gerta Halberstadt in das Haus der Familie Schloß in der Frankfurter Straße 99.

Charlotte Hirschfeld, wohl die ältere Schwester von Gerta Halberstadt, wurde am 14.11.1882 in Groß-Lichterfelde (Berlin) geboren. Wann und weshalb sie nach Offenbach kam, ließ sich nicht feststellen. Im Juni 1938 wohnte sie jedenfalls, wie Richard und Gerta Halberstadt, in der Frankfurter Str. 133 und zog mit ihnen im September 1939 in die Frankfurter Straße 99 um.

 Fanny Halberstadt, geb. am 18.12.1888 als Tochter von Joseph Schloß (1857-1919) und seiner Frau Marie, geb. Brüll (1866-1941) heiratete im Jahr 1920 Ernst Halberstadt (geb. 27.08.1886), Richards älterem Bruder. Ihr Vater, Josef Schloß, hatte sich um 1880 in Offenbach niedergelassen und betrieb seit 1895 in der Hospitalstraße 14 eine Fabrik zur Herstellung von „Reiseandenken en gros u. Galanteriewaren“.

Seit 1908 wohnte die Familie Schloß im eigenen Haus in der Frankfurter Straße 99. Fanny war in erster Ehe mit Hermann Mendel verheiratet, mit dem sie einen Sohn, Alfred Mendel (geb. 13.01.1913), hatte. Nach dem Tod von Hermann Mendel heiratete sie am 3. November 1920 in zweiter Ehe den Kaufmann Ernst Halberstadt, der auch Teilhaber der Firma Joseph Schloß & Co. wurde. Im Zuge der sogenannten Arisierung ging der Betrieb am 13.08.1938 an August Ritzel – den Prokuristen der Firma – über. Fannys Bruder, der Rechtsanwalt Ernst Schloß, emigrierte 1939 mit seiner Frau und seinen beiden Kindern nach England. Fanny blieb mit ihrem Mann bei ihrer Mutter in Offenbach. Marie Schloß starb dort am 4. November 1941, Fannys Ehemann Ernst am 20. Februar 1942.

Fanny Halberstadt, ihr Schwager Richard und dessen Frau Gerta sowie Charlotte Hirschfeld lebten bis zum Zeitpunkt ihrer Deportation in der Frankfurter Straße 99. Mit vielen anderen jüdischen Menschen wurden sie am 30.09.1942 von Darmstadt aus nach Polen – vermutlich nach Treblinka – deportiert, wo sie alle ums Leben kamen. «

Haus in der Frankfurter Straße 99
Haus in der Frankfurter Straße 99

Martin Eichel

Französisches Gässchen 12

Martin Eichel wurde am 13. Februar 1897 in Offenbach geboren.

Meldekarte von Martin Eichel
Meldekarte von Martin Eichel

Er war als jüdischer Handlungsgehilfe tätig und heiratete am 24.12.1920 die Christin Anna Emilie Baumgart, geb. am 15.03.1896 in Zürich. In der NS-Zeit drängten die Nazis Frau Eichel, sich von ihrem jüdischen Ehemann scheiden zu lassen, was sie aber nicht tat.

Nachbarn der Familie im Französischen Gässchen 12 in der Offenbacher Altstadt hielten zu dem Ehepaar, hörten mit Martin Eichel heimlich den Londoner Sender und baten ihn, bei Luftangriffen mit ihnen in den Luftschutzkeller zu kommen. Da das den Juden aber verboten war, lehnte er dies ab, weil er seinen Nachbarn keine Schwierigkeiten machen wollte. Er musste einen separaten Keller benutzen.

Wegen des sog. „Mischehen-Status“ entging Martin Eichel im September 1942 noch der Deportation. Im Frühjahr 1943 wurde er dann Opfer der von den Nationalsozialisten angeordneten „Beseitigung der jüdischen Partner in Mischehe“. Nach Aussagen von überlebenden christlichen Ehepartner/innen wurden die meisten jüdischen Partner/innen 1943 auf die Gestapo-Dienststelle in Offenbach zur Vernehmung einbestellt, von der sie nicht mehr nach Hause zurückkehrten. Sie wurden vom Offenbacher Gefängnis zur Gestapostelle nach Darmstadt gebracht und von dort in ein Vernichtungslager deportiert.

Das Datum, an dem Martin Eichel deportiert wurde, ist nicht bekannt. Zeitzeugen bestätigten jedoch, dass er zunächst nach Darmstadt gebracht und dort inhaftiert wurde.

Laut Gedenkbuch der Opfer des Nationalsozialismus kam Martin Eichel am 25.08.1943 in Auschwitz ums Leben.

Seine Frau erhielt die schriftliche Nachricht, dass er an Lungenentzündung gestorben sei. Da sie Kontakt zu anderen Angehörigen von Auschwitz-Häftlingen hatte, fiel ihr auf, dass diese am selben Tag einen gleich- lautenden Brief bekamen. So war ihnen klar, dass es sich nicht um die wahre Todesursache handelte und ihre Angehörigen ermordet worden waren. «


Erich August Ott

Friedrichstr. 42

Meldekarte von Erich A. Ott
Meldekarte von Erich A. Ott

Erich August Ott wurde am 16.04.1920 in Offenbach, Friedrichstraße 42, geboren. Da der Junge vom Ehemann der Mutter, Johanna M., geb. Ott, (Jg. 1890) in Wiesbaden, nicht als sein Sohn anerkannt wurde, lebte die Mutter nach der Scheidung (Mai 1921) mit dem behinderten Kind im Versorgungsheim Offenbach in der Buchhügelallee 2.

Im Mai 1924 wurde Erich Ott auf Antrag der Mutter wegen körperlicher und geistiger Störungen in die Hessische Landes-Heil-und Pflegeanstalt Goddelau eingewiesen.

In der Aufnahmeakte wurde festgehalten: Angeborener Schwachsinn.

Während in den folgenden jährlichen Begutachtungen gewisse positive Veränderungen im Geh- und Sprechvermögen festgehalten wurden, fielen ab 1933 die Eintragungen durchweg negativ aus: „Ott ist ein bildungsunfähiger Idiot, der besonderer Pflege bedarf.“ 1941 lautete die letzte Einschätzung: „Ott ist ein tiefstehender, zerstörungssüchtiger und schwieriger Idiot.“

Ein solcher Eintrag war für die NS-Behörden das Kriterium, derartig „minderwertige Ballastexistenzen“ der Vernichtung anheimzugeben. Da nach Einschätzung der geheimen NS-T4- Zentrale in Berlin von einer Verbesserung des Zustandes nicht auszugehen war, wurde Erich Ott im März 1941 in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster überführt. Weilmünster war damals das Durchgangslager für die Patienten, die für die Tötung in der nahe gelegenen Anstalt Hadamar vorgesehen waren. Erich Ott wurde im Juni 1941 in Hadamar vergast. Mit dem Datum 25.06.1941 wurde dem Offenbacher Einwohnermeldeamt die Sterbeurkunde zugesandt. «

Rauchender Schornstein des Krematoriums in Hadamar um 1941 aus ‚Der blutige Karfreitag in Offenbach‘ v. H. P. Koller
Rauchender Schornstein des Krematoriums in Hadamar um 1941 aus ‚Der blutige Karfreitag in Offenbach‘ v. H. P. Koller

 

Anni Bretsch

Geleitsstr. 81

Anna Karoline Bretsch wurde am 29.05.1922 als das jüngste von 4 Kindern der Eheleute Michael und Dorothea Bretsch, geb. Vierheller, in Offenbach geboren. 1926 ließ ihr Vater sich scheiden. Annie hatte offenbar weiterhin zu ihm Kontakt. Die Mutter, Dorothea Bretsch war vor 1933 Mitglied der kommunistischen Partei und ihre Kinder im kommunistischen Jugendbund.

Über Anni Bretschs Ausbildungsweg ist nichts bekannt, es ist aber zu vermuten, dass sie die Volksschule besuchte und diese 1936/37 verließ, um dann als ungelernte Arbeiterin zum Unterhalt der Familie beizutragen. Nicht sicher ist, ob Anni Bretsch im Frühjahr 1941 bereits bei der GEKA – die während des Krieges Rauchsichtzeichen für die Wehrmacht herstellte – arbeitete oder erst nach ihrer ersten Gefängnisstrafe. Die Beschäftigten dieser Firma waren durch ihre Arbeit mit den chemischen Komponenten der Produkte äußerst gefährdet, schwer an Haut und Haaren sowie an der Lunge geschädigt zu werden.

Anni Bretsch wurde im Frühjahr 1941 erstmals wegen Arbeitsverweigerung bzw. Arbeitsvertragsbruchs verurteilt. In der NS-Zeit galt dies während des Krieges als wehrkraftzersetzend und ebenso vaterlandsverräterisch wie die Desertation von Soldaten. Sie musste bei ihrer ersten Verurteilung für 5 Monate ins Gefängnis nach Preungesheim und Höchst. Bei ihrer zweiten Verurteilung im Mai 1942 kam sie wegen desselben Delikts für ein Jahr in Haft, diesmal weiter von zuhause entfernt in ein übel beleumundetes Frauengefängnis in Schwäbisch- Gmünd.

Aus welchem Grund sie jedoch nach ihrer Haftstrafe nicht entlassen, sondern ins KZ Auschwitz überstellt wurde, wäre noch zu erforschen. Nach Offenbach kam nur ihre Urne zurück. Die Auskunft von ihrem Tod am 17.01.44 erhielt ihr überlebender Bruder Willi. «

 

Das Eingangstor von Auschwitz © Nathalie Valanchon
Das Eingangstor von Auschwitz © Nathalie Valanchon

Emil Liebmann
Alice Liebmann
Fanny Liebmann, geb. Strauss

Geleitsstraße 105

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Emil Liebmann – bis 1938 als Inhaber einer der größten Schuhfabriken in Offenbach wohlbekannt, wurde mit dem Namen Emanuel am 26. Januar 1855 als Kind jüdischer Eltern in Vöhl geboren. Seine kaufmännische und praktische Ausbildung erhielt er vermutlich in der Lederbranche in Offenbach. Seit dem 20. März 1875 hatte er seinen Wohnsitz in der Geleitsstraße 105.

1884 wurde er in der aufstrebenden Industriestadt Teilhaber der Schuhfabrik von Louis Wallerstein. Sie errichteten 1890 gemeinsam ein erfolgreiches Unternehmen, welches das moderne, amerikanische System der Schuhfabrikation einführte.

1891 heiratete Emil Liebmann Fanny Strauss, die am 26. März 1868 in Geißenheim geboren wurde. In den folgenden 4 Jahren brachte sie 4 Kinder zur Welt: Adolf Ernst 1892, Gertrude 1893, Alice 1894 und Antonia 1896.

Nachdem es 1896 zur Trennung der Geschäftspartner gekommen war, ließ Emil Liebmann ab 1901 in der Sedanstraße (heutige Christian-Pleß-Straße) für die neugegründete Firma mit dem Namen

„Schuhfabrik Hassia“ ein repräsentatives Firmengebäude im neoklassizistischen Stil errichten. Er produzierte hochwertige Damen-und Herrenschuhe und wurde bereits 1902 auf der Düsseldorfer Industrie-und Gewerbe-Ausstellung für seine Qualitätserzeugnisse mit der Goldmedaille ausgezeichnet.

Durch den Absatz der erstklassigen Schuhe war Liebmann 1921 in der Lage, das Fabrikgebäude mit zwei fünfstöckigen Seitenflügeln zu vergrößern. Er wandelte die Firma in eine Aktiengesellschaft um, die nach dem 1. Weltkrieg die folgende Inflation recht gut überstand.

Im Vorstand der Firma waren neben Emil Liebmann, sein Sohn Ernst Liebmann (10.08.1892) und Paul Goldschmidt (Jg. 1882) vertreten, der am 22.03.1920 Gertrud, die Tochter Liebmanns, geheiratet hatte. Die Tochter Alice Liebmann Jg. 1894) war seit 1921 in der Schuhfabrik als Prokuristin tätig.

In der Weimarer Zeit, aber auch noch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, wurden in dem erfolgreichen Unternehmen tausende Markenschuhe von mehreren hundert Arbeitskräften gefertigt. Hassia war nach der überstandenen Weltwirtschaftskrise für jüdische und nichtjüdische Fach- und Hilfsarbeiter ein gefragter Arbeitgeber in Offenbach.

Ab Mitte der dreißiger Jahre stand das erfolgreiche jüdische Unternehmen Liebmann unter dem Druck der NSDAP und „arischer Kaufinteressenten“. Aufgrund der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ wurden Emil Liebmann und seine Familie im Oktober 1938 gezwungen, das Unternehmen zu veräußern. Nach dem Verkauf des Unternehmens wurden ab dem 04.11.1938 die Gremien der Firma im „arischen“ Sinne neu besetzt. Emil Liebmann, Ernst Liebmann und Paul Goldschmidt mussten ihre Vorstandsmandate niederlegen und Alice Liebmann ihre Position als Prokuristin aufgeben. Durch die „Arisierung“ entging die Firma von Emil Liebmann während der Pogrome in Offenbach der Zerstörungswut durch SA-Leute und NS-Sympathisanten. Auch das Wohnhaus der Familie in der Geleitsstraße 105 wurde von Übergriffen verschont. Aber dem weiteren Druck der Nazis konnte die Familie nicht entgehen.

Emil Liebmann und seine Frau Fanny mussten 1939 gezwungenermaßen das Wohnhaus in der Geleitsstraße 105 weit unter Preis verkaufen, um die Emigration vorzubereiten. Das Vermögen aus dem Verkauf der Aktien und des Hauses konnte aber nicht zum Aufbau einer neuen Existenz in England verwendet werden. Von dem Kaufpreis musste die Familie nach Auflagen der NS- Regierung 25% Reichsfluchtsteuer und 20% Judenvermögensabgabe zahlen. Auch über den verbliebenen Teil des Vermögens konnten die Liebmanns nicht frei verfügen, da es auf Sperrkonten blockiert und zusätzlich durch Zwangsabgaben für die „Ausreise“ gemindert wurde. Laut jüdischer Meldekarte emigrierte das Ehepaar Emil und Fanny mit ihrer Tochter Alice am 28.08.1939. Auf der Rückseite wurde später in die Meldekartei der Vermerk eingetragen: „Laut Bekanntmachung des Reichsministers des Innern vom 11.8.1941 wird die Staatsangehörigkeit aberkannt.“

Das arisierte Unternehmen wurde unter dem Namen „Hassia“ weitergeführt. Nach Beginn des Krieges stieg wegen der Produktion von Militärstiefeln sogar noch die Zahl der Arbeitnehmer. 1943 wurde das Unternehmen durch einen Bombenangriff schwer beschädigt. Nur unter großen Einschränkungen konnte die Produktion fortgesetzt werden. Nach dem Ende des Krieges in Offenbach, d.h. nach dem Einmarsch der Amerikaner am 26.03.1945, wurde nur für kurze Zeit die Produktion unterbrochen.

Bereits Ende April erhielt das Unternehmen nach Überprüfung der Militärregierung wieder die Genehmigung, für die amerikanischen Soldaten und die Bevölkerung Schuhe zu produzieren. Bis Ende Dezember 1948 erhielten die Geschädigten die Möglichkeit, ihre Ansprüche bei der Wiedergutmachungskammer der Militärregierung anzumelden. Vor diesem Hintergrund stellte auch die Familie Liebmann Ansprüche auf Rückerstattung der Aktien und der Immobilien. Das Verfahren zog sich vor verschiedenen Gerichten bis in die sechziger Jahre hin. «


Max Schwanthaler
Dorothea Schwanthaler, geb. Stein
Walter-Josef Schwanthaler
Ruth-Johanna Schwanthaler

Gerberstraße 4

Treblinka Briefmarke der DDR
Treblinka Briefmarke der DDR

Max Schwanthaler wurde am 09.04.1892 in Frankfurt-Höchst geboren. Er heiratete am 06.09.1919 die Offenbacherin Dorothea Stein, geboren am 05.02.1894. Die Familie Schwanthaler wohnte seit dem 20. September 1919 zur Miete in der Gerberstraße 4 in Offenbach. Das Haus gehörte der Familie Dietz.

Max Schwanthaler war von Beruf Kaufmann. Das Ehepaar bekam drei Kinder. Der erste Sohn Kurt Jakob verstarb am 22.07.1920, nur zwei Tage nach seiner Geburt. Ihr zweiter Sohn, Walter- Josef wurde am 25.01.1923 geboren. Fünf Jahre später folgte am 15.02.1928 die Geburt der Tochter Ruth-Johanna.

Max und Dorothea Schwanthalers Namen, sowie die ihrer Kinder Walter-Josef und Ruth- Johanna, befinden sich auf der Deportationsliste der Gestapo vom 30. September 1942. Von Offenbach aus wurde die Familie mit 173 anderen jüdischen Menschen nach Darmstadt gebracht. Die Deportation mit Zügen vom Darmstädter Güterbahnhof führte am 30. September 1942 vermutlich in das Vernichtungslager Treblinka.

Die Kinder waren an diesem Tag 14 und 19 Jahre alt. Laut der Offenbacher Melderegister-Karte ist die Familie Schwanthaler ab 05.10.1942 „verreist“. Weitere Eintragungen gibt es hier nicht.

 Bei Walter-Josef Schwanthaler wurde als Todesdatum der 8. Mai 1945, Ort: Polen eingetragen. Der Tag des Endes von Krieg und Faschismus wurde bei vielen Opfern des Nationalsozialismus als Sterbetag festgelegt, wenn das genaue Datum und der Ort nicht mehr festzustellen war. «

 


Leopold Dietz
Hermann, Karolina, Ida Dietz

Gerberstraße 4

Leopold Dietz wurde am 01.11.1867 als Kind einer jüdischen Familie in Offenbach geboren. Nach der schulischen Ausbildung wohnte und arbeitete er einige Jahre in Frankfurt. Im Dezember 1888 kam er nach Offenbach zurück und eröffnete 1892 in der Gerberstraße 4 einen Milchhandel. Ab 1895 erweiterte er laut Gewerbeamt den Handel um Spezerei- und Gewürzprodukte, Flaschenbier und Geflügelwaren.

Im Dezember 1899 heiratete er Bertha Hirschmann, die am 01.10.1871 in Klein Krotzenburg geboren wurde. Ihre 4 Kinder – Hermann, Karolina, Ida und Friedrich – sind alle in Offenbach geboren und zur Schule gegangen. Bertha Dietz verstarb bereits 1931 in Offenbach.

Hermann, Jahrgang 1900, erlernte nach dem Schulabschluss den Beruf des Bäckers. Am 16.02.1928 eröffnete er unter seinem Namen – ebenfalls in der Gerberstraße 4 – ein eigenes Geschäft als Spezereikrämer. Sein jüngerer Bruder Friedrich, Jahrgang 1907, ebenfalls im Bäckerhandwerk tätig, verstarb im September 1934.

Die Schwestern Karolina, am 31.05.1803 und Ida, am 05.07.1905 geboren, lebten als ledige Frauen mit den Familienmitgliedern im elterlichen Wohnhaus in der Gerberstraße 4. Karolina war als Kontoristin tätig, für Ida wird kein Beruf genannt. Unter dem Druck der Nationalsozialisten musste Hermann Dietz 1937 laut Gewerberegister den Betrieb aufgeben und abmelden, was für die Versorgung der Familienmitglieder eine finanzielle Einbuße und Belastung bedeutete. Trotz beträchtlicher Kosten konnten Karolina und Ida wohl durch familiäre Unterstützung im Mai 1939 nach England emigrieren.

Leopold und Hermann Dietz blieben in Offenbach.

Hermann wurde kurz nach der Pogromnacht am 16.11.1938 verhaftet und in das KZ Dachau gebracht. Am 26.01.1939 wurde er wieder entlassen mit der Auflage, Deutschland zu verlassen. Wegen des Alters und der Gebrechlichkeit des Vaters und der eigenen angespannten finanziellen Lage war die Auswanderung aber nicht möglich.

Eine Reihe von jüdischen Bekannten, die ihre Wohnungen in „arischen“ Häusern verlassen mussten, fanden bis 1942 Zuflucht im Wohnhaus von Leopold und Hermann Dietz und trugen so vermutlich zu deren Lebensunterhalt bei.

In den Meldekarteien ist vermerkt, dass Leopold und Hermann im September bzw. Oktober 1941 „nach unbekannt“ verzogen sind. Dass diese Einträge eine bewusste Fälschung darstellen, ist daraus zu ersehen, dass beide Personen in den Offenbacher Deportationslisten von September 1942 aufgeführt sind. Leopold Dietz wurde am 27.09.1942 zusammen mit vielen älteren Offenbacher Juden über Darmstadt in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er am 15.02.1943 ermordet wurde.

 Hermann Dietz wurde am 30.09.1942 zusammen mit den jüdischen Hausbewohnern namens Frankfurter, Schwanthaler, Streitmann und vielen anderen Offenbacher Juden nach Polen deportiert und kam vermutlich in Treblinka ums Leben. Nach Datenangaben von Yad Vashem ist der Zeitpunkt des Todes unbekannt.

Im Offenbacher Adressbuch von 1952 wird Karoline Dietz wieder als Eigentümerin des Hauses in der Gerberstraße 4 genannt. Sie kehrte jedoch aus dem Exil in England nicht nach Offenbach zurück. «

 

Meldekarte von Leopold Dietz
Meldekarte von Leopold Dietz
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Salomon Schwarzwald
Chaja Schwarzwald, geb. Feder
Samuel, Anton und Emma Schwarzwald Moritz
Heinrich und Josef Schwarzwald

Große Marktstraße 15

Salomon Schwarzwald wurde 1883 in Lopitza in der Nähe von Warschau geboren. Er heiratete Sarah Friedrich, die 1878 in Rawa Ruskaja geboren wurde. Die ersten drei Kinder Samuel 1908, Anton (Anschel) 1910 und Emma (Esther) 1911, wurden ebenfalls in Polen geboren. Aufgrund wirtschaftlicher Probleme wanderte Salomon um 1912 nach Deutschland aus, und zwar nach Offenbach, da die Stadt als „Geheimtip“ galt. Die folgenden Söhne Moritz, Heinrich und Josef wurden dann in Offenbach geboren. Moritz 1912, Heinrich 1914 und Josef 1923.

Salomon Schwarzwald war in Offenbach vom ersten Tag an als selbständiger Schuster tätig. Seine Frau Sarah ging im Nebenerwerb hausieren, um die Familie mit ernähren zu können. Sie wohnten erst in der Bleichstraße, dann in der Domstraße, schließlich in der Herrnstraße und später in der Großen Marktstraße, wo sie die Schuhmacherei unterhielt.

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Die Ehefrau Sarah starb Anfang 1925, so dass der Sohn Josef eine Zeitlang im Kinderheim in Neu-Isenburg aufwuchs. Um 1930 heiratete Salomon Schwarzwald nochmals und zwar Chaja Feder (1891 in Tomaszow geboren), die er aus der polnischen Heimat nach Offenbach holte. Wie fast alle sogenannten „Ostjuden“ lebte die Familie in ärmlichen Verhältnissen, doch die wirtschaftliche Situation besserte sich mit der Zeit. Die Söhne Salomons waren als Gürtelmacher, Anschel/Anton als Handlungsgehilfe und Moses/Moritz als Portefeuiller tätig.

Vater Salomon Schwarzwald war ein gebildeter und strenggläubiger Jude. Er sprach hebräisch und besuchte – wenn möglich – zweimal täglich den Gottesdienst in der Synagoge im kleinen Betsaal.

Mit Unterstützung des Rabbiners Dr. Max Dienemann schickte Salomon seinen Sohn Heinrich im Alter von 9 Jahren in eine Religionsschule, um ihn als Vorbeter ausbilden zu lassen. Aber Heinrich war nicht allein am späteren Synagogendienst, sondern auch an Sport und Politik interessiert.

Anfang der dreißiger Jahre kam er durch seinen Bruder Moritz zur Sozialistischen Arbeiterjugend, sie wurden Mitglieder im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und der SPD mit dem Ziel, die Weimarer Republik gegen die Feinde der Demokratie zu verteidigen. Heinrich und Moritz nahmen durchaus wahr, dass es in Deutschland Antisemitismus gab, aber vor 1933 sahen beide noch keine direkte Gefahr für die Juden in Offenbach. Dies änderte sich in kurzer Zeit nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Josef Schwarzwald erinnert sich noch genau an den 01. April 1933:

„Die Nazis .pinselten auf die Scheiben von jüdischen Geschäften mit weißer Farbe: „Kauft nicht beim Juden“ und „Juda verrecke“. Wir hatten eine kleine Schusterei in der Marktstraße. Das Geschäft meines Vaters war zunächst nicht betroffen. Dann blieben aber im Laufe der Zeit die Kunden weg.“

In der Familie wurde nun konkret über Auswanderung nachgedacht. Heinrich brach die Ausbildung zum Kantor ab und ließ sich in Siegburg als Vorbereitung für die Emigration zum Schreiner ausbilden. Samuel wanderte 1934 als erster mit seiner Ehefrau nach Palästina aus. Nachdem Heinrich sein Zertifikat für die Einreise nach Palästina erhalten hatte, drängte er den Vater ebenfalls zur Emigration. Doch der lehnte dies entschieden ab. Heinrich entschloss sich schließlich, allein fortzugehen und gelangte 1935 über London nach Palästina, wo er in verschiedenen Berufen tätig war.

Vater Salomon blieb mit Ehefrau, der Tochter Emma und den Söhnen Anton, Moritz und Josef in Offenbach zurück. Sie erlebten in den folgenden Jahren die zunehmende Entrechtung der jüdischen Bevölkerung bis hin zur Pogromnacht. Josef Schwarzwald wurde am frühen Morgen des 10. November 1938 Zeitzeuge des brutalen Überfalls von SA-Leuten auf die Besucher des Gottesdienstes in der kleinen Synagoge. Mit Entsetzen schildert er in seinen Erinnerungen (1985), dass Hunderte von Menschen vor der Synagoge standen und zusahen, wie die große Synagoge innen brannte und Thorarollen sowie hebräische Bücher ins Freie geworfen wurden. Während Josef die Zerstörung der Synagoge verfolgte, erlebten die anderen Familienmitglieder den Angriff von Nazis auf ihre Wohnung in der Großen Marktstraße 15.

Sie entgingen an diesem Tag der Verhaftung und Deportation ins KZ. Aber die Familienmitglieder traf es in der Folgezeit sehr hart. Sie mussten auf Anweisung des Hauseigentümers die Wohnung, die Schuhmacherwerkstatt in der Herrnstraße 11 und den kleinen Laden in der Großen Marktstraße 15 -17 verlassen. Ab Januar 1939 fand die Familie Zuflucht im Haus eines jüdischen Altmöbelhändlers im Kleinen Biergrund 31. Wie die Familienmitglieder Schwarzwald nun ihr Leben fristeten, ist unbekannt. Eine reguläre Auswanderung kam für sie aufgrund der mangelhaften wirtschaftlichen Verhältnisse nicht mehr in Betracht. Die in Palästina ansässigen Söhne Samuel und Heinrich konnten angesichts ihrer eigenen prekären Lage nicht für die Eltern und Geschwister bürgen. Außerdem entschied ja die britische Mandatsmacht über die Zahl der Aufnahmeanträge nach Palästina und schränkte ab 1939 für ältere und nicht gut ausgebildete Personen die Zuwanderung ein. Anschel/Anton Schwarzwald gelang im Juli 1939 noch die Flucht nach England. Wie und auf welchem Weg ihm dies kurz vor dem Ausbruch des Krieges möglich war, ist unbekannt.

Am 9. September 1939 wurden Salomon Schwarzwald und seine Söhne Moses/Moritz und Josef verhaftet und im Offenbacher Gefängnis inhaftiert. Am 26. Oktober 1939 wurden alle drei in das KZ Buchenwald deportiert. Vater Salomon wurde 1941 in die Tötungsanstalt Pirna Sonnenstein überführt, wo Tausende von kranken und nicht mehr arbeitsfähigen Menschen im Rahmen der geheimen NS-„Aktion T4“ ermordet wurden. Salomon Schwarzwald kam dort am 14. Juli 1941 ums Leben.

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Chaja Schwarzwald und Ester/Emma Schwarzwald blieben bis 1942 in Offenbach wohnen. Am 30.September 1942 sind sie ab Darmstadt deportiert und vermutlich in Treblinka ermordet worden. In den Offenbacher Meldekarten von Moses/Moritz und Josef wurde für den seit 1939 währenden KZ-Aufenthalt in Buchenwald der Eintrag festgehalten: 1942 und 1943 auf Reisen. An die Jahre in Buchenwald erinnerte sich Josef Schwarzwald nur mit Grauen. 1985 sagte er dazu:… Ich leide heute noch körperlich sowie seelisch an dieser grauenhaften Zeit… Mein Bruder und ich wurden am 11. April 1945 von der US-Army befreit.“

Josef und sein Bruder Moritz kehrten schwer krank und arbeitsunfähig aus dem KZ nach Offenbach zurück und waren auf die Hilfe der amerikanischen Besatzungsmacht und der Stadtverwaltung angewiesen. Aufgrund ihrer in Offenbach erlebten Erniedrigungen, der schrecklichen Zeit im KZ und der Ermordung von Familienmitgliedern entschlossen sie sich, Deutschland zu verlassen. Moritz Schwarzwald emigrierte 1946 in die USA. Josef Schwarzwald ging zuerst nach Frankreich, um durch eine Fortbildung die Aufnahme in Palästina zu erreichen. Im März 1946 kam er dort an und hat dann in den folgenden Jahren als Soldat den Befreiungskrieg mitgemacht. Auch Heinrich Schwarzwald hat auf Seiten des neugegründeten Staates Israel gekämpft und betrachtete Palästina wie viele Juden als das Land der Zuflucht. Doch wurde er auf Dauer dort nicht heimisch. 1957 kehrte er nach Offenbach zurück. Er fand Arbeit bei den Stadtwerken und da auch wieder Anschluss an die aktive SPD-Betriebsgruppe. „Aber er war nicht einfach Mitglied und Funktionär. Sein Credo: war: Friede und Vergebung. (…)“, schrieb der ehemalige SPD Oberbürgermeister Wolfgang Reuter anlässlich des Todes von Heinrich Schwarzwald am 1. April 2006.

Kurz zuvor hatte Heinrich Schwarzwald dem Redakteur der Offenbach Post, Lothar Braun, nochanvertraut, dass er sich in seinem Leben immer wieder Vorwürfe gemacht habe, dass es ihm 1935 nicht gelungen sei, seinen Vater zur Auswanderung zu bewegen. In Erinnerung an die von den Nazis ermordeten Eltern und ihre Schwester ist von den überlebenden Söhnen ein Grabstein auf dem Jüdischen Friedhof errichtet worden. «

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Selma Jeanette Schiff
Dorothea Lea Schiff

Großer Biergrund 6

Selma Jeanette Schiff war die Tochter des Metzgers Samuel Schiff, (Jg. 1867) und seiner Ehefrau Gertrude Schiff, geborene Schönmann (Jg. 1876). Die Familie wohnte seit 1909 in Offenbach und seit 1918 im Großen Biergrund.

Ihr Vater starb im Dezember 1941 im israelischen Krankenhaus in Frankfurt. Selmas Mutter starb bereits im November 1936.

Selma Schiff wurde am 06.01.1906 geboren. Sie war das neunte von 11 Kindern der jüdischen Eheleute. Von den 11 Geschwistern starben drei im Alter von ein oder zwei Jahren. Ihr Bruder Julius konnte 1934 und ihre Schwester Alice Regine 1938 nach New York emigrieren. Ihr Bruder Theodor wanderte 1939 nach England aus. Über das Schicksal der anderen Geschwister von Selma Schiff konnte nichts erfahren werden.

Selma Schiff ist, wie es die Meldekarte darstellt, im Alter von 22 Jahren vom 23.10.1928 bis zum 16.10.1929 in New York gewesen. Der Grund dafür und ihr Beruf sind leider nicht bekannt. Sie und ihre Tochter wohnten bis zum Tag der Deportation dann im Haus von Dorotheas Großvater Samuel Schiff im Großen Biergrund 6.

Dorothea Lea Schiff, geboren am 28.11.1933, war das einzige (uneheliche) Kind von Selma Jeanette Schiff. Als die beiden am 30. September 1942 nach Treblinka deportiert wurden, war Dorothea 9 und ihre Mutter 36 Jahre alt.

Das Todesdatum ist nicht bekannt. In der Meldekarte steht: „25.9.42, nach unbekannt“. «

Zeichnung: Lageplan von Treblinka
1) Auslade-Bahnsteig. 2) Eine falsche Bahnstation. 3) Baracken, in denen sich die Opfer entkleiden mussten. 4) Gaskammern. 5) Gruben in denen die vergasten Opfer verbrannt wurden

 

Ferdinand Siegel
Emmy Siegel, geb. Heidecker
Max und Johanna Siegel

Groß-Hasenbach-Straße 12

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Der jüdische Kaufmann Ferdinand Siegel handelte mit Mehl, Kleie, Getreide, Düngemittel und Viehfutter. Sein Geschäft mit Lagerräumen befand sich in seinem Haus in der Groß- Hasenbach-Straße 12. Im Jahr 1928 nahm er mit einem eigenen Wagen an einem Festumzug des Landwirtschaftlichen Lokalvereins in Offenbach teil.

In der Groß-Hasenbach-Straße 12 wohnte Ferdinand Siegel mit seiner Frau Emmy seit 1910. Ihr Sohn Max wurde 1911, die Tochter Johanna 1913 geboren.

Unter dem Druck der sogenannten Arisierung durch die Nazis verkaufte Ferdinand Siegel im August 1938 sein Grundstück und den Betrieb in der Groß-Hasenbach-Straße 12 an die Kartoffelhändler Rossbach und Löw aus Jügesheim. Dass ihre Tochter Johanna bereits 1937 in die USA floh, beweist, dass der Druck schon länger zu spüren war, Die Eltern und der Sohn mussten im Oktober 1938 ihr Haus verlassen und zogen in die Krafftstraße 6. Der Sohn Max konnte 1939 nach London ausreisen.

Im September 1942 erhielten Ferdinand und Emmy Siegel sowie 99 weitere Offenbacher Jüdinnen und Juden einen amtlichen Brief, dass sie sich mit einer vorgeschriebenen Menge Gepäck auf dem Gelände neben der Synagoge in der Kaiserstraße einzufinden haben. Mit Transporten kamen sie zu der Sammelstelle in der Darmstädter Wöhlerschule. Am 27.September 1942 wurden sie zusammen mit 1286 jüdischen Menschen aus dem ganzen ehemaligen Volksstaat Hessen in das KZ Theresienstadt/Tschechien deportiert.

Theresienstadt: Unter den insgesamt 141.000 Häftlingen in Theresienstadt waren außer 15.000 Kindern hauptsächlich alte Menschen. Die Bedingungen dort waren schrecklich. Obwohl Theresienstadt kein Vernichtungslager war, starben hier über 33.000 Menschen, die meisten durch schwere Arbeit, Schwäche und Krankheit. Weitere 88.000 Häftlinge wurden in die Vernichtungslager -meistens nach Auschwitz- transportiert. Trotzdem war das Lager für die Nazis eine Art Vorzeigelager, es sollte eine Art Altersghetto sein. Besuchern des Roten Kreuzes wurde ein angenehmes Leben der Eingesperrten vorgegaukelt.

Ferdinand und Emmy Siegel waren von September 1942 bis Februar 1945 in Theresienstadt.

Als im Februar 1945 im Ghetto das Gerücht umging, die SS würde einen Transport von 1200 Häftlingen in die Schweiz vorbereiten, glaubte erst einmal niemand daran und der Ältestenrat hatte Probleme, den Transport voll zu bekommen. Viele hatten Angst, in Wirklichkeit in ein Vernichtungslager gebracht zu werden.

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Die Aktion einer Schweizer Rettungsorganisation gehörte zu den gegen Ende des Krieges zwischen den Nazis und internationalen Organisationen ausgehandelten Freilassungsgeschäften. Die Häftlinge, die sich für den Transport meldeten, mussten unter Drohungen versichern, nichts über die Situation im Lager zu sagen.

Das Ehepaar Siegel meldete sich für diesen Transport in die Schweiz. Außer ihnen meldeten sich aus Offenbach noch Jacob Strauss und seine Frau Clementine.

Wer reisen durfte, bekam einen Stempel in den Personalausweis. Man sollte sich gut anziehen und herrichten und es wurden reichlich Lebensmittel verteilt. Während der Fahrt wurden weitere Lebensmittel ausgegeben. Der Transport verließ am 05. Februar 1945 um 16.00 Uhr Theresienstadt. Bereits kurz nach Mitternacht, am 06. Februar, übernahm das Schweizer Militär den Zug. Vom Grenzort Kreuzlingen, wo es einen großartigen Empfang gab, trafen die Befreiten am 07. Februar abends in St. Gallen ein.

Der Transport kam für die Schweizer Behörden unangemeldet. Es waren 1.200 Personen aus verschiedenen Ländern in dem Transport, darunter ca. 500 Deutsche, hauptsächlich alte Leute, einige pflegebedürftig. Sie wurden zunächst in provisorischen Lagern, Hotels oder Kliniken untergebracht.

Die Schweiz wollte den Aufenthalt der Flüchtlinge als Transit verstanden wissen. Die Juden sollten nicht in der Schweiz bleiben. Später reisten tatsächlich viele Menschen weiter zu Verwandten ins Ausland oder nach Palästina. Andere blieben in der Schweiz in für sie eingerichteten jüdischen Altersheimen.

Ob und wie lange das Ehepaar Siegel in der Schweiz geblieben ist, ist nicht bekannt.

Es ist jedenfalls bei allen in die Schweiz geretteten Juden und Jüdinnen sicher, dass sie die Schikanen der Nazis in Offenbach und das Leid in Theresienstadt überlebt haben. «


Julius Wolf
Jettchen Wolf, geb. Wolf
Siegfried Wolf
Ilse Käthe Wolf, geb. Stiefel

Hermann-Steinhäuser-Str. 26

Julius Wolf, ein echter „Berjeler Bub“, wurde am 27.01.1881 als Sohn von Isaak und Charlotte Wolf geboren. Am 20. Dezember 1907 heiratete er in Offenbach Jettchen Wolf, die am 26.10.1877 in Dietzenbach als Tochter von Götz und Theresa Wolf geboren wurde. Das Ehepaar zog wenige Tage später in die Rohrstraße 26 (heute: Hermann-Steinhäuser-Straße), wo Jettchens Brüder – Moritz und Seligmann – schon seit April 1906 mit ihren Familien wohnten.

Julius arbeitete als selbständiger Metzger. Am 31. Januar 1909 wurde der erste Sohn Gottfried geboren. Es folgten am 20. September 1910 die Tochter Johanna und am 19. März 1914 der zweite Sohn Siegfried.

Johanna heiratete am 24. März 1937 Martin Adler aus Nürnberg und zog mit ihm nach Frankfurt in die Niddastraße 46. Dort lebten sie zusammen mit der Schwiegermutter Clara. Wann Johanna und Martin in die USA emigrierten, ist nicht bekannt. In einer Zeitungsanzeige wurde die Geburt der Tochter, Judith Claire, am 27. Mai 1948 verkündet.

Clara Adler wurde am 15. September 1942 nach Theresienstadt deportiert und starb dort im selben Jahr. Gottfried heiratete in Offenbach am 27. August 1938 Ilse Käthe Stiefel, die am 01.05.1909 in Limburg geboren wurde.

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Stempel aus Treblinka

Die Familie Wolf erlebte die Novemberpogrome 1938 in Offenbach. Siegfried wurde kurz danach, am 16.11.1938, mit vielen anderen Juden verhaftet und blieb bis zum 12.01.1939 im KZ Dachau in Haft. Ob Gottfried auch im KZ war, ist unklar. Er emigrierte am 22.08.1939 allein nach Isborough (GB), wie aus seiner Meldekarte hervorgeht.

Jettchen und Julius Wolf lebten mit dem Sohn Siegfried und der Schwiegertochter Ilse Käthe bis zum 17. Januar 1940 in der Rohrstraße. Sie wurden gezwungen, in die Domstraße 66 umzuziehen, wo schon mehrere Juden einquartiert waren.

Der letzte Eintrag auf der Karteikarte von Julius, Jettchen und Siegfried lautet „08.10.42 – unbekannt verreist“, bei Ilse Käthe ist vermerkt: „08.10.42 – auf Reisen“.

Aus den Deportationslisten geht hervor, dass alle vier am 30. September 1942 nach Darmstadt transportiert wurden. Das Gedenkbuch „Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933- 1945“ des Bundesarchivs gibt als vermutliches Ziel des Transports das Konzentrationslager Treblinka an. Wann und wie sie starben, ist nicht bekannt. «


Gretel Maraldo, geb. Mitze

Heusenstammer Weg 31

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Gretel Mitze wurde am 28. März 1923 in Offenbach geboren.

Sie und ihre Schwester Eva wohnten mit ihren Eltern Heinrich Mitze, von Beruf Schriftgießer, und Anna Mitze, Modistin, im Heusenstammer Weg 31.

Auch die Großeltern lebten hier. Gretels Großvater war Wilhelm Weber, Reichstagsabgeordneter der SPD und Gewerkschaftssekretär in Offenbach.

Nach der Volksschule arbeitete Gretel als Stepperin bei der Firma Ehrmann. Mit 18 Jahren heiratete sie den italienischen Fliesenleger Romano Maraldo. 1942 wurde ihr Sohn Tito geboren und kurz darauf ging die junge Familie nach Italien, da Romano Maraldo den Militärdienst ableisten musste.

Gretel beschloss wenig später, zu ihrer Familie nach Offenbach zurückzukehren. Ihr Mann war Soldat, und da sie wenig Italienisch sprach, war das Leben mit Schwiegermutter und Baby für sie schwierig. So lebte sie in Offenbach mit ihrem Sohn Tito wieder bei den Eltern im Heusenstammer Weg.

Hier engagierte sich die junge Frau in einer – in vielen deutschen Städten aktiven – oppositionellen Jugendgruppe, den „Edelweißpiraten“. In Offenbach nannten sie sich die „Schlangenbande“. Diese Jugendlichen wollten sich nicht der Militarisierung der gesamten Jugend in Deutschland unterordnen und sich weiter auf ihre Weise kleiden und ihre Freizeit verbringen. Auch sprachen sie sich deutlich gegen die Kriegspläne der Nazis aus.

Im Januar 1944 wurde Gretel Maraldo zusammen mit anderen verhaftet und mit der Begründung „Verbrechen gegen § 4 Volksschädlingsverordnung“ eingesperrt, im Juni aber wieder entlassen. Am 06. Januar 1945 versuchte sie mit vier weiteren Jugendlichen, Werner Diehl, Fred Horz, Robert Heinrich Appel und Werner Kaltmaier, vor den Nazis in die Schweiz zu fliehen. Sie wurden aber nach zwei Tagen in Villingen festgenommen und kamen in das Gestapo-Gefängnis in Bensheim. In dem Gefängnis in Bensheim waren unter den Gefangenen viele Jugendliche, auch aus Offenbach, die der „Schlangenbande“ zugeordnet wurden. Sie wurden geschlagen und verhört, auch Gretels Schwester Eva war für kurze Zeit dort.

Am 23. März wurden die vier Freunde von Gretel in das Gestapo-Gefängnis in Darmstadt gebracht. Von dort sollten sie alle in ein Konzentrationslager in Bayern verlegt werden. Doch dazu kam es nicht mehr, da die Amerikaner schon in der Nähe waren.

Am 24. März sollte Gretel Maraldo, wie ihre Mitgefangenen, die noch in Bensheim waren, erschossen werden. Auf dem Weg zum Hinrichtungsort auf dem Kirchberg bei Bensheim versuchte sie zusammen mit einem russischen Mitgefangenen zu fliehen. Während dem russischen Offizier die Flucht gelang, wurde Gretel Maraldo erschossen, drei Tage vor der Befreiung und vier Tage vor ihrem 22. Geburtstag.

 Ihr Sohn Tito wohnt weiterhin im Kreis Offenbach.

Außer einem Stolperstein ist nach Gretel Maraldo auch eine Straße im Bürgeler Neubaugebiet benannt. Auf dem Gedenkstein auf dem Kirchberg erinnern Namen an alle Opfer dieser Gestapo- Morde. «

 

Der Gedenkstein auf dem Kirchberg Foto: Armin Kübelbeck, Bensheim
Der Gedenkstein auf dem Kirchberg Foto: Armin Kübelbeck, Bensheim

Karl Kaufmann
Ruth und Lothar Kaufmann

Hohe Straße 35

Karl Kaufmann wurde als Sohn eines jüdischen Händlers am 02.02.1895 in Langenschwalbach geboren. Er lebte seit 1911 in Offenbach, nahm als „Frontkämpfer“ am I. Weltkrieg teil und heiratete 1923 die evangelische Christin Katharina, geb. Schott, geboren am 08.07.1895 in Offenbach.

Ruth und Lothar Kaufmann 1938
Ruth und Lothar Kaufmann 1938

Karl Kaufmann und seine Frau wohnten mit ihren Kindern Ruth (Jg.1926) und Lothar (Jg. 1931) seit 1927 in der Hohe Straße 35. Ihre beiden Kinder gehörten wie Karl zur Israelitischen Religionsgemeinde. Für die Nationalsozialisten galten sie als „jüdisch versippt“, als „Bastarde“ und „nichtarische Mischlinge“.

Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten war es für Karl bald nicht mehr möglich, weiter als Textilkaufmann zu arbeiten. Er musste die Familie als Hilfsarbeiter durchbringen, ständig den Arbeitsplatz wechseln, um ja nicht aufzufallen, ohne Sozialversicherung und Krankenkasse. Als die Devisenstelle Ende 1939 seines Vermögens habhaft werden wollte, war die Familie längst mittellos und lebte von der Unterstützung der jüdischen Gemeinde.

Ruth musste die öffentliche Schule verlassen und 1934 auf die Jüdische Bezirksschule wechseln. Lothar erhielt erst gar keine Chance, auf einer öffentlichen Schule angemeldet zu werden.

Als Nichtuniformierte während der Pogromnacht 1938 die Wohnung der Kaufmanns verwüsteten, hatten sie diese längst aus Angst verlassen. Karl wurde dennoch kurz darauf festgenommen und am 16.11.1938 im Konzentrationslager Dachau inhaftiert. Er wurde entlassen, nachdem er sich verpflichtet hatte, Deutschland zu verlassen.

Die Eltern brachten ihre beiden Kinder nach Lüttich zu Verwandten, während sie selbst verzweifelt auf ein Affidavit warteten, eine Bürgschaft , die es ihnen erlauben würde, in die USA einzureisen.

Als Karl das Affidavit endlich in Händen hielt, begann der Krieg, und die Wehrmacht marschierte in Belgien ein. Ruth und Lothar versuchten noch, nach Nordfrankreich zu entkommen. Doch ihr Flüchtlingstreck wurde von deutschen Flugzeugverbänden unter Beschuss genommen. Im deutschen Kugelhagel starben sie am 23. Mai 1940 zwischen Lille und Arras im Alter von 9 und 14 Jahren.

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Karl und seine Frau mussten im Januar 1941 die Hohe Straße 35 verlassen und zogen in die Luisenstraße 82. Ohnmächtig mussten sie zusehen, wie ihre Mitbewohner im September 1942 deportiert wurden.

Noch gehörte Karl zu den 33 Männern und Frauen aus „deutsch- jüdischen Mischehen“ in Offenbach, die von den Deportationen zurückgestellt wurden. Aber es dauerte nur wenige Monate, dann begann die Gestapo, auch diese zu verhaften. Vielen wurde vorgeworfen, den „Judenstern“ nicht getragen zu haben oder sich mit Nichtjuden in der Öffentlichkeit unterhalten zu haben. Sie kamen nach Darmstadt oder Frankfurt und von dort in Arbeitserziehungs- Konzentrations- und Vernichtungslager.

Im Februar 1943 wurden Karl und seine Frau in das

„Judenhaus“ Domstraße 66 eingewiesen. Am 14. März wurde Karl verhaftet, in „Schutzhaft“ genommen und danach in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Am 14. September 1943 wurde er dort ermordet. «

 

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Emil Rosenberg
Fanny Rosenberg, geb. Blum Ruth Rosenberg
Ester Blum, geb. Feibuschewitz

Hohe Straße 35

Emil Rosenberg wurde am 10. Dezember 1887 in Bürgel als Sohn des jüdischen Kaufmanns Alfred Rosenberg und seiner Ehefrau Regina Rosenberg, geb. Meyer, geboren. Im Mai 1920 heiratete er Fanny Blum, geb. am 11.04.1899 in Göttingen. Mit ihren drei Kindern Gert, Liselotte und Ruth lebten sie seit 1927 in der Hohe Straße 35. In Offenbach gehörten sie alle zur Israelitischen Religionsgemeinde.

Emil arbeitete nach seiner Ausbildung an der Kunstgewerbeschule Offenbach als Vertreter und selbständiger Kaufmann in der Lederwarenbranche. Als diese Tätigkeiten in der NS-Zeit eingeschränkt und behindert wurden, errichtete er in seiner Wohnung eine kleine Produktionsstätte für hochwertige Kleinlederwaren. Seine Spezialität waren Brieftaschen und Herrentresors aus Krokodil- und Saffianleder.

Den drei Kindern wurde von den Nationalsozialisten der Besuch einer öffentlichen Schule unmöglich gemacht. Sie besuchten seit 1934 die Jüdische Bezirksschule im Seitenbau der Synagoge in der Kaiserstraße.

Während der Pogrome am 10. November 1938 zerstörten SA-Trupps jüdische Geschäfte und Wohnungen und schändeten die Synagoge. Der auf die jüdische Bevölkerung ausgeübte Druck, Deutschland zu verlassen, war unübersehbar.

Emils Geschwister, 2 Brüder und eine Schwester, flüchteten aus Offenbach nach Großbritannien und Australien. Auch Rosenbergs Sohn Gert gelang noch im Dezember 1938 im Alter von 15 Jahren die Flucht nach Belgien. Die 17-jährige Tochter Liselotte floh im März 1939 nach Großbritannien.

Die Eltern bleiben mit ihrer 10-jährigen Tochter Ruth in Offenbach zurück.

Die finanzielle Lage der Familie wurde immer schwieriger, nachdem Emil Rosenberg auf Grund der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ im Dezember 1938 auch sein Gewerbe in der Hohe Straße abmelden musste. Die Familie war jetzt auf die finanzielle Unterstützung von Fannys Mutter Ester Blum aus Göttingen angewiesen. Aber auch deren Vermögen unterlag einer „Sicherungsanordnung“ der Zollfahndungs- und der Devisenstelle, war also ihrer freien Verfügung entzogen. Außerdem war sie gezwungen, eine

„Judenvermögensabgabe“ als „Sühneleistung“ für „die feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volke“ zu entrichten.

Ester Blum hatte ihr Kaufhaus für Manufaktur- und Möbelwaren in Göttingen bereits 1934 unter Druck verkaufen müssen. Bei einem Aufmarsch der Göttinger SA Ende März 1933 anlässlich des reichsweit bevorstehenden Boykotts jüdischer Geschäfte wurden ihr die Fensterscheiben zerstört. Ihre vier Söhne hatten Deutschland längst den Rücken gekehrt. Nachdem auch Fannys Schwester

 ins Ausland geflüchtet war, zog Ester Blum 1940 zu ihrer Tochter Fanny, ihrem Schwiegersohn Emil und ihrer Enkelin Ruth nach Offenbach.

„Ein Jude kann sich auf den gesetzlichen Mieterschutz nicht berufen“, heißt es seit April 1939 lapidar im „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“. Ende 1940/Anfang 1941 wurde die Familie gezwungen, in die Kaiserstraße 115 umzuziehen, eines der Offenbacher Häuser, in denen Juden zusammengepfercht wurden, bevor sie in Vernichtungslager deportiert wurden. Ester wurde von der Gestapo im September 1942 nach Frankfurt verbracht und am 15. September 1942 von dort in das Ghetto Theresienstadt verschleppt, wo sie am 8. Dezember starb.

Ihre Tochter Fanny wurde mit ihrem Ehemann Emil und der gemeinsamen Tochter Ruth sowie Emils Schwägerin Frieda Rosenberg, geb. Hahn, am 30. September über Darmstadt vermutlich in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. Emils Vater, der seit 1939 in einem jüdischen Altersheim in Mainz lebte, war 3 Tage zuvor von Darmstadt in das Ghetto Theresienstadt verschleppt worden. Dort starb er am 10. Februar 1943. Fannys Bruder Siegfried Blum wurde nach seiner Flucht in Belgien inhaftiert, nach Auschwitz deportiert und schließlich 1945 in Buchenwald ermordet. «

 

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August Baum
Katinka Baum, geb. Andorn

Hospitalstraße 1

Katinka Baum stammte aus der Familie Andorn und wurde am 04.03.1884 in Niederrodenbach geboren. Sie heiratete am 10.3.1912 Alfred Baum. Wann er starb, war nicht festzustellen.

Frau Baum kam als Witwe im Mai 1939 von Wallertheim nach Offenbach. Sie wohnte zusammen mit August Baum und Karoline Andorn in dem Haus der Familie Wolf in der Hospitalstraße 1.

August Baum, alleinstehend und wahrscheinlich der Schwager von Katinka Baum, wurde am 24.08.1878 geboren und kam mit ihr gleichzeitig aus Wallertheim nach Offenbach.

Am gleichen Tag wie Katinka Baum und Ida Wolf wurde August Baum am 30. September 1942 nach Polen deportiert. Sein Todestag soll der 31. Dezember 1945 gewesen sein.

Bei Katinka und August Baum ist im Gedenkbuch verzeichnet: „Verschollen – Polen“ Das Amtsgericht hat als den Todestag von Katinka Baum den 8. Mai 1945 festgesetzt. «

 

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Albert Wolf
Ida Wolf, geb. Andorn
Karoline Andorn

Hospitalstraße 1

Ida Wolf, geborene Andorn, wurde am 7. Dezember 1882 in Niederrodenbach geboren, war die Tochter von Karoline Andorn und die Schwester von Jakob Andorn.

Sie heiratete den Metzger Albert Wolf, in Dietzenbach, geboren am 28. Januar 1884. Er hatte in der Nachbarschaft der Hospitalstraße sein Geschäft. Ab 1939 lebte Idas Mutter Karoline Andorn bei ihnen.

Über Albert Wolf ist überliefert, dass er während der antisemitischen Aktionen der Nazis in seinem Geschäft demonstrativ seine Militärorden aus dem 1. Weltkrieg getragen hat. Albert Wolf starb 1941.

Seine Frau Ida war unter den Jüdinnen und Juden, die am 30. September 1942 nach Majdanek deportiert wurden. Über das weitere Schicksal von Ida Wolf ist nichts bekannt.

Das Offenbacher Amtsgericht hat Ida Wolf am 16.5.1951 für tot erklärt. Als Datum wurde der 8. Mai 1945 festgesetzt. «


Christian Pleß

Kaiserstraße 1

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Christian Pleß wurde am 31.10.1908 in Offenbach geboren. Er war Portefeuiller und wohnte in der Ellenbogengasse 11. Christian Pleß war Mitglied des sozialdemokratischen Reichsbanners.

Am Tag der so genannten März-Wahlen, dem 05.März 1933, wurde er im Alter von 24 Jahren ermordet. Er war in Offenbach das erste Todesopfer des Nazi-Terrors.

Die Nazis waren seit gut einem Monat an der Macht und wollten sich diese noch einmal mit einer Wahl bestätigen lassen. Während dieses Wahlkampfes wurden im Reich insgesamt 51 Menschen in der Öffentlichkeit getötet. Die offene Gewalt nach der Machtübernahme Hitlers wurde auch am Wahltag vor den Wahllokalen fortgesetzt.

Am Wahlnachmittag kam es in Offenbach zu Auseinandersetzungen zwischen Männern der

„Eisernen Front“ und des „Reichsbanners“ auf der einen und der SA auf der anderen Seite. Am Anfang der Kaiserstraße befand sich in der Pestalozzi-Schule ein Wahllokal. Dort kam es zu Pöbeleien durch die NSDAP-Anhänger. Das wollten die Männer der „Eisernen Front“ verhindern.

Die SA hatte ihr Stammlokal an der linken Straßenecke der Kaiserstraße, die Demokraten an der gegenüberliegenden Ecke. Auf der Straße kam es schnell zu einer Schlägerei, zu der immer mehr Menschen von beiden Seiten gerufen wurden. Aus der Bismarckstraße raste ein Lastwagen mit weiteren SA-Leuten heran, die schon vom Wagen herab wahllos in die Menge schossen.

Christian Pleß wurde von einem Schuss getroffen und danach noch ins Gesicht getreten. Nur mit Mühe konnte er in das Lokal und dann in den herbei gerufenen Krankenwagen gebracht werden. Auf dem Weg ins Krankenhaus verstarb er. Vier weitere schwer Verletzte waren auf der Seite der Demokraten zu verzeichnen.

Die Beerdigung von Christian Pleß auf dem Alten Friedhof wurde zu einer letzten großen Protestkundgebung gegen den begonnenen Naziterror. Das konnte auch die Gestapo nicht verhindern, obwohl sie die Beerdigung mit Abstand beobachtete.

Auf dem Grabstein von Christian Pleß steht: Er starb für sein Ideal. «


Ludwig Reichmann
Jenni-Anne Reichmann, geb. Boley
Hans und Eva Reichmann

Kaiserstraße 8

Blick vom Hauptbahnhof Offenbach in die Kaiserstraße
Blick vom Hauptbahnhof in die Kaiserstraße

Hans Reichmann zog mit seinen Eltern Jenni-Anne Reichmann und Ludwig Reichmann und der 13 Jahre älteren Schwester Eva im Mai 1939 in eine Wohnung in die Kaiserstraße 8 / 3.Stock, wo die Familie bis zu ihrer Deportation 1942 lebte.

Zu diesem Zeitpunkt hatte die Familie Reichmann schon einige wirtschaftliche Probleme durchstehen müssen. Bis zum Umzug hatte die Familie in der Wasserhofstraße 17 gelebt. Vater Ludwig hatte im Jahr 1926 mit seinem Bruder Otto Reichmann in der Domstraße 64 die Sattlerwarenfabrik „Gebrüder Reichmann“ gegründet. Nach einem Vergleichsverfahren 1931 baute Ludwig die Firma alleine wieder auf, die schließlich im November 1934 im Gewerberegister Offenbach neu angemeldet wurde. Er musste jedoch, als die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Geschäftsleben vom Nov. 1938“ gültig wurde, seine Fabrik aufgeben und stellte von da an nur noch in Heimarbeit für die Nachfolgefirma Arthur Noe Kleinlederwaren her. Sicher hatte er gehofft, wenigstens auf diesem Weg für seine Familie den Lebensunterhalt verdienen zu können. Doch 1940 wurde ihm auch diese Gewerbetätigkeit auf Grund einer Initiative der Innung verboten und der Betrieb „von Amts wegen“ geschlossen.

In der Kaiserstraße feierte Hans am 18. Dezember 1939 seinen 10. Geburtstag. Allerdings war die jüdische Bezirksschule, in der er in die erste Klasse eingeschult worden war, bereits 1938 geschlossen worden. So hatte er keine Klassenkameraden mehr, die mit ihm seinen Geburtstag hätten feiern können.

Seinen 13. Geburtstag konnte Hans nicht mehr feiern, da er am 30.09.1942 gemeinsam mit seinen Eltern und der Schwester zur Deportation abgeholt wurde. Ihr Weg führte vermutlich in das Vernichtungslager Treblinka, in den Akten heißt es „verschollen in Polen“. «


Chaim Heinrich Tyson

Kaiserstr. 106

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Quelle: Frankfurter Neue Presse vom 1.1.1967

Chaim Heinrich Tyson wurde am 22.12.1896 in Dziateszyee / Polen geboren. Er war seit 1925 in Offenbach ansässig und als Angestellter in einer jüdischen Lederwarenfabrik tätig. Er war mit der evangelischen Christin Margarethe (geb. Zehe, am 7.6.1902 in Offenbach) verheiratet und wohnte mit ihr in der Kaiserstraße 106, dem Haus neben der Synagoge.

Bis zu seiner Deportation im Oktober 1939 hat er sich auf dem Gebiet der Sozialarbeit große Verdienste in der Jüdischen Gemeinde Offenbachs erworben. Als polnischer Jude ohne deutsche Staatsbürgerschaft wurde er wegen seiner Ehe mit einer „Arierin“ im Oktober 1938 noch nicht verhaftet und aus dem Deutschen Reich ausgewiesen.

Er erlebte in der Pogromnacht 1938 in unmittelbarer Nähe die Inbrandsetzung und Zerstörung der Synagoge. Aus den Trümmern der Inneneinrichtung der Synagoge konnte er eine Thorarolle retten, die seine Ehefrau in der Mansardenwohnung in der Kaiserstraße versteckte. Chaim Tyson versuchte zu emigrieren, schaffte es aber nicht, da die Einwanderungsquote in die USA ausgeschöpft war. 1939 wurde er nach Buchenwald deportiert und von dort 1942 weiter nach Auschwitz transportiert.

Kurz vor der Befreiung des Lagers durch die sowjetische Armee im Januar 1945 wurde er erneut in das KZ Buchenwald zurück gebracht. Nach der Befreiung des Lagers durch das amerikanische Militär kehrte Chaim Heinrich Tyson im April 1945 nach Offenbach zu seiner Ehefrau zurück und war maßgeblich am Aufbau der neuen Jüdischen Gemeinde beteiligt.

Am 26. Oktober 1973 starb Chaim H. Tyson nach langer Krankheit. «

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Willy Bachrach
Bertha Bachrach, geb. Kamberg

Kaiserstr. 115

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Willy Leopold Bachrach wurde am 2. Januar 1882 in Neustadt/ Kirchhain geboren. 1921 heiratete er Bertha Kamberg, die am 17.Juli 1892 in Offenbach geboren wurde. Seitdem lebte das Ehepaar Bachrach in Offenbach. Willy Bachrach war Kaufmann und war in dem angesehenen Unternehmen der Familie seiner Frau, das mit Getreide und Mehl handelte, als Teilhaber tätig. Die Firma war bereits im April 1933 von den judenfeindlichen Boykotten betroffen. Ab 1937 musste die von den Nationalsozialisten verordnete Schließung des Unternehmens eingeleitet werden.

Am 24.9.1922 wurde der Sohn Hans Abraham in Offenbach geboren. Im Jahr 1934 musste er als Jude die öffentliche Schule verlassen und danach die jüdische Schule besuchen.

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In der Pogromnacht am 9./10.11.1938 wurden die Wohnungen der Familien Kamberg und Bachrach in der Kaiserstraße 115 von den Nazis verwüstet. Willy Bachrach wurde kurz danach verhaftet und mit ca. 80 anderen Offenbacher Juden in das KZ Buchenwald gebracht. Die Nazis nannten das „Schutzhaft“. Nach 5 Wochen kam Willy Bachrach stark abgemagert nach Offenbach zurück.

Im Juli 1939 konnte Hans Abraham Bachrach noch mit Unterstützung seiner Verwandten auf legalem Weg nach England emigrieren. 1940 wurde er dort als „feindlicher Ausländer“ ausgewiesen, nach Australien transportiert und in einem Lager interniert. Nach dem Ende des Krieges blieb Hans Abraham in Australien.

Aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation und ihres Alters konnten die Eltern Bertha und Willy Bachrach nicht emigrieren. Sie gehörten am 30. September 1942 zu den Offenbacher Juden, die von der Sammelstelle an der Kaiserstraße nach Darmstadt und von dort nach Polen deportiert wurden. Im Gedenkbuch der Opfer des Nationalsozialismus ist verzeichnet: nach „Treblinka, vermutliches Schicksal: für tot erklärt“. «

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Nachricht der Eheleute Bachrach an ihren Sohn in Australien – über das DRK – im Juni 1942

Lina Mina Frankfurter, geb. Lindenberger
Berta und Eleonore Frankfurter

Karlstr. 10

Lina Mina Frankfurter stammte aus Bochnia in Polen, wo sie am 15.02.1896 geboren wurde. Lina, seit Juni 1915 in Offenbach ansässig, heiratete am 21.01.1921 Bernhard Frankfurter in Heusenstamm. Tochter Berta wurde am 12.04.1922 und ihre Schwester Eleonore am 06.06.1923 in Offenbach geboren. Die jüdische Familie wohnte nach der Geburt der Kinder zunächst im Großen Biergrund 31, dann im Kleinen Biergrund 22 in Offenbach.

Bernhard Frankfurter arbeitete zunächst als Portefeuiller, später als Metzger, in Offenbach.

Nachdem die Ehe geschieden worden war, zog Bernhard Frankfurter zurück nach Heusenstamm. 1925 heiratete er dort die nicht-jüdische Frau Anna Wirth, die danach zum jüdischen Glauben konvertierte.

Nach der Scheidung blieb Lina Frankfurter in Offenbach wohnen und zog mit ihren zwei Töchtern im November 1926 in die Karlstraße 10. Laut jüdischer Gemeindeliste wohnten die drei Frauen dort noch im November 1938. Berta und Eleonore waren zu diesem Zeitpunkt als Lehrmädchen im Schneiderhandwerk tätig. Im Januar 1941 zogen die Töchter für kurze Zeit in die Bettinastraße 68 um, wohnten dann ab März 1941 wieder mit ihrer Mutter zusammen, jedoch nicht mehr in der Karlstraße 10, sondern in der Gerberstraße 4.

Aus dem „arischen“ Wohnhaus musste Lina Frankfurter ausziehen und fand nun mit ihren Töchtern Zuflucht in dem Haus des jüdischen Metzgers Dietz, der noch viele andere jüdische Familien in sein Haus aufgenommen hatte.

Am 30. September 1942 wurden Lina, Berta und Eleonore Frankfurter zusammen mit Hermann Dietz und den Mitgliedern der Familie Schwanthaler von Offenbach über Darmstadt nach

Polen deportiert. Im Gedenkbuch der Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945 werden alle Personen als „verschollen in Polen“ aufgelistet.

Die Heusenstammer Stolperstein-Initiative erinnert an das Schicksal von Bernhard Frankfurter und seiner Heusenstammer Familie in dem Buch „Sie wohnten neben uns“. «


Pfarrer Karl Amborn

Kirchgasse 15

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Karl Amborn, geboren am 12. Oktober 1890 in Darmstadt, wurde Pfarrer und trat in 1921 seine erste Stelle in Oberwalmenach/Taunus an. 1927 wurde er nach Braubach am Rhein versetzt.

1933 gründete er den Pfarrernotbund in der noch nicht fusionierten Landeskirche Nassau mit, als Gegenbewegung zu der Vereinigung der „Deutschen Christen“, die das Führerprinzip und den Arier-Paragrafen und damit die Verfolgung der Juden anerkannten. Das erste Disziplinarverfahren wurde eingeleitet und ein Berufsverbot vorübergehend ausgesprochen.

1934 wurde er nach Horrweiler strafversetzt und kurz darauf Vorsitzender des Bruderrates Nassau, der neu gegründeten „Bekennenden Kirche“ in Hessen-Nassau, einer Wider- standsbewegung, die auf der Arbeit des Pfarrernotbundes aufbaute und der sich engagierte Pfarrer in ganz Deutschland anschlossen. Sie bekannten sich gegen die Gewalt der Nationalsozialisten, wie Konzentrationslager, Judenverfolgung und Vernichtung „lebensunwerten Lebens“. Ein zweites Disziplinarverfahren sowie eine vorübergehende Suspendierung vom Dienst wurden eingeleitet.

Pfarrer Amborn kam mehrmals in Untersuchungshaft und wurde zu Verhören geladen, mit Schlägen verbunden. Eine ständige Überwachung, Hausdurchsuchungen durch die Gestapo und Geldstrafen gehörten zum Alltag.

1936 bewarb er sich in Offenbach, das 16 Jahre lang sein Wirkungsort sein sollte. Er übernahm dort die Schlosskirchengemeinde und drei Jahre später zusätzlich die „Bekennende Kirche“ Gemeinde Fechenheim, die Krankenhausseelsorge sowie, gemeinsam mit zwei Kollegen, die Lukasgemeinde. Der Geistliche setzte sich zum Teil mit Erfolg für getaufte Juden und Behinderte ein, versteckte sie und rettete sie so vor der Gaskammer.

Der Pfarrer war ein mutiger, engagierter, konsequenter, vitaler und fröhlicher Mensch. Er wurde in seinem Kirchenkampf von Anfang an von seiner Frau Martha, einer Pfarrerstochter, unterstützt. 13 Jahre litten beide und ihre vier Kinder unter der Verfolgung. Pfarrer Amborns Gesundheit war angegriffen. Laut einer Liste des Ortsgruppenleiters Tempelsee sollte er „nach dem Endsieg“ mit seiner Familie in Sippenhaft genommen und erschossen werden.

Am 02. Juni 1952 starb Karl Amborn mit 61 Jahren. «


Paul Goldschmidt
Gertrud Goldschmidt, geb. Liebmann

Körnerstraße 32

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Paul Goldschmidt wurde am 14.12.1882 in Nordhausen im Harz geboren. Der jüdische Kaufmann heiratete am 22. März 1920 in Offenbach Gertrud Liebmann, die am 16. Oktober 1893 als Tochter des jüdischen Schuhfabrikanten Emil Liebmann und seiner Ehefrau Fanny in Offenbach geboren wurde. Um diese Zeit trat Paul Goldschmidt auch in Liebmanns Firma mit dem Namen „Schuhfabrik Hassia“ ein. Das Ehepaar wohnte zuerst in der Frankfurter Straße 120 und ab 1934 in der Körnerstraße 32.

Gertruds Vater Emil Liebmann, der am 28.Januar 1855 in Vöhl geboren wurde, hatte sich sich bereits 1875 in Offenbach niedergelassen und produzierte seit 1901 in der renommierten Firma in der Sedanstraße hochwertige Damen- und Herrenschuhe.

Durch den Absatz der erstklassigen Schuhe war Liebmann 1921 in der Lage, das Fabrikgebäude mit zwei fünfstöckigen Seitenflügeln zu vergrößern. Er wandelte die Firma in eine Aktiengesellschaft um, die die folgende Inflation recht gut überstand.

Im Vorstand der Firma waren neben dem Firmengründer Emil Liebmann sein Sohn Ernst Liebmann, der am 10.08.1892 in Offenbach geboren wurde, und der Schwiegersohn Paul Goldschmidt vertreten.

Die Tochter von Emil und Fanny Liebmann, Alice Liebmann, am 17.12.1894 in Offenbach geboren, war seit 1921 in der Schuhfabrik als Prokuristin tätig.

In der Weimarer Zeit, aber auch noch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden in dem erfolgreichen Unternehmen Tausende Markenschuhe mit dem Namen „Hassia Sana“ von mehreren hundert Arbeitskräften gefertigt. Hassia war nach der überstandenen Weltwirtschaftskrise für jüdische und nichtjüdische Fach- und Hilfsarbeiter ein gefragter Arbeitgeber in Offenbach.

Ab Mitte der dreißiger Jahre stand das erfolgreiche jüdische Unternehmen Liebmann unter dem Druck der NSDAP und „arischer Kaufinteressenten“.

 Aufgrund der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschafts- leben“ wurden Emil Liebmann und seine Familie im Oktober 1938 gezwungen, die Hassia AG weit unter Wert zu veräußern. Nach dem Verkauf des Unternehmens wurden ab dem 04.11.1938 die Führungspositionen der Firma im „arischen“ Sinne neu besetzt.

Emil Liebmann, Ernst Liebmann und Paul Goldschmidt mussten ihre Vorstandsmandate niederlegen und Alice Liebmann ihre Position als Prokuristin aufgeben.

Durch die „Arisierung“ entging die jüdische Firma von Emil Liebmann während der Pogrome in Offenbach der Zerstörungswut durch SA-Leute und andere NS-Sympathisanten. Aber den weiteren Übergriffen der Nazis konnten die Familien nicht entgehen.

Emil Liebmann blieb wohl wegen seines Alters (Jg. 1855) von der Verhaftung verschont, aber Paul Goldschmidt wurde am 16.11.1938 von der Gestapo abgeholt und mit vielen anderen Juden ins KZ Dachau transportiert. Dort wurde er unter der Nr. 28530 bis zum 28.11.1938 interniert und dann unter der Auflage, Deutschland möglichst schnell zu verlassen, entlassen.

Paul Goldschmidt musste seine Wohnung in der Körnerstraße 32 verlassen und aus Deutschland flüchten. Unter dem Druck der Nationalsozialisten ist er laut den Angaben in seiner Offenbacher Meldekartei am 13. Juli 1939 mit seiner Frau Gertrud geb. Liebmann, nach England emigriert. Beiden wurde 1941 die Staatsangehörigkeit aberkannt.

Nach Verlust der beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Existenz versuchten sie unter großen Schwierigkeiten eine neue Existenz in London aufzubauen. «

 

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Karl Löffert

Liebigstraße 7

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Karl Löffert wurde am 21. Februar 1902 im Kreis Büdingen geboren. Als Kind kam er mit seiner Familie nach Offenbach.

1919 schloss er erfolgreich seine Schlosserlehre ab. In den folgenden Jahren musste er wegen der schlechten Wirtschaftslage mehrmals den Arbeits-platz wechseln.

1924 heiratete er die Blumenbinderin Lisa Mitze, die wie er bei den Naturfreunden aktiv war. Kulturelle Aktivitäten, Wandern, aber auch politische Diskussionen, das gefiel beiden. Ihre Söhne Hans und Karl wurden 1929 und 1935 geboren.

Ab 1925 war Karl Löffert Mitglied der KPD und nach dem Verbot 1933 zeitweise deren illegaler Leiter in Offenbach. Die wichtigste Aufgabe der kleinen KPD- Gruppen war die heimliche Herstellung und Verteilung von Flugblättern.

Schon im Herbst 1933 wurde Karl Löffert zum ersten Mal verhaftet und in das Gestapo-Gefängnis in Offenbach gebracht, aber wieder frei gelassen. Auch seine Frau war für eine Woche in diesem Gefängnis in der Ludwigstraße. Ihre Widerstandsgruppe arbeitete trotzdem unter großer Vorsicht weiter.

Nach erneuter Verhaftung kam Karl Löffert im August 1935 in das Untersuchungsgefängnis in Darmstadt, das Urteil: sieben Jahre Zuchthaus. Er wurde nach Rockenberg und Butzbach gebracht.

1937 wurde Karl Löffert in das KZ Aschendorfer Moor verlegt, wo er drei Jahre als Moorarbeiter schuftete. Im Jahr 1941 kam er in das Gefängnis in Zweibrücken. Dort konnten seine Frau Lisa, seine Söhne Hans und Karl ihn einmal besuchen. Seinen zweiten Sohn, den sechsjährigen Karl, sah er dort zum einzigen Mal.

Im November 1941 sollte er entlassen werden, aber als seine Frau ihn abholen wollte, wurde ihr mitgeteilt, dass er gleich nach seiner Entlassung wieder in „Schutzhaft“ genommen wurde.

Dazu brachte man ihn in das KZ Sachsenhausen. Er starb schließlich im KZ Buchenwald am Juli 1943, angebliche Todesursache: Lungenentzündung. Seine Witwe kaufte von der Lagerverwaltung eine Urne mit Asche, die auf dem Alten Friedhof in Offenbach beigesetzt wurde. « Isaak Fuchs Lilistraße 19


Isaak Fuchs
Berta Fuchs, geb. Mitbreit
Simon, Max und Hermann Fuchs

Lilistraße 19

Isaak Fuchs
Isaak Fuchs

Isaak Fuchs wurde 1888 im polnischen Bendzin geboren. 1905 kam er nach Deutschland, ließ sich 1906 in Offenbach nieder und gründete dort eine Lederhandlung. 1910 heiratete er Berta Mitbreit (Jg. 1888), die ebenfalls1906 mit ihren Eltern aus Polen nach Offenbach gekommen war. Drei Söhne wurden in Offenbach geboren: Simon 1912, Max 1920 und Hermann 1921. Die Familie lebte in Offenbach an verschiedenen Orten, ab 1930 wohnte sie durchgehend in der Lilistraße 19, in einem Wohnhaus, das Ende des 2. Weltkriegs zerstört wurde. Das Ledergeschäft befand sich in der Domstraße. Einen ersten gewaltigen Lebenseinschnitt gab es für die Familie 1914 nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Isaak Fuchs wurde als feindlicher Ausländer aus Polen in einem Gefangenenlager bis 1917 interniert. Wegen des Mangels an Arbeitskräften wurde er dann entlassen und arbeitete in einem Elektrizitätswerk von Ülzen bei Hannover. Die übrige Familie – zu diesem Zeitpunkt Mutter Berta und Sohn Simon – kam ebenfalls nach Ülzen und wohnte dort bis 1919. Dann gingen sie nach Offenbach zurück, wo Isaak Fuchs das Geschäft weiterführte. Die Familie pflegte in Offenbach vornehmlich Kontakt zu Familien, die auch aus Osteuropa immigriert waren, und engagierte sich in der jüdischen Wohlfahrtsorganisation.

In der Weimarer Zeit erlebte die Familie laut späteren Aussagen von Simon Fuchs ( 1985 ) keinen Antisemitismus in Offenbach, sie sah aber durchaus die Zunahme der Nationalsozialisten als Bedrohung an, die ab 1933 Realität wurde. Simon machte 1931 noch sein Abitur an der Oberrealschule am Stadthof, musste aber nach der Machtübernahme der Nazis das Studium der Volkswirtschaft aufgeben. Er wurde Mitglied der zionistischen Vereinigung in Frankfurt und bereitete sich nun gezielt auf die Emigration nach Palästina vor. Durch eine Ausbildung im Portefeuillerhandwerk und im Gartenbaubereich erwarb er 1936 das Zertifikat für die Aufnahme in Palästina. Mit seiner Frau Katin, die er bei der jüdischen Organisation kennengelernt und im Frühjahr 1936 geheiratet hatte, verließ er Offenbach im August 1936: erleichtert, aber auch mit Wehmut.

Die zurückgebliebenen Familienmitglieder waren in Offenbach den fortschreitenden Diskriminierungsmaßnahmen durch die Nazis ausgesetzt, konnten sich aber nicht zur Emigration entscheiden. Die Eltern glaubten noch immer, dass die Verfolgung durch die Nazis nicht so schlimm werden könne. 

Der Sohn Hermann, der 1921 geboren wurde und eine Ausbildung als Schlosser machte, entschied sich wegzugehen. Ihm gelang es, im März 1938 durch Unterstützung der jüdischen Organisation im Rahmen der sog. Jugendalijah die Aufnahme in einem Kibbuz in Palästina zu erlangen, für die kein besonderes Zertifikat benötigt wurde.

Im Oktober 1938 wurden die Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit von der NS-Regierung aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Vater Isaak Fuchs war als erster der Familie von der Abschiebung betroffen. Er musste am 29.10.1938 Offenbach verlassen und ging nach Bendzin zurück.

Im Februar 1939 erfolgte der Abtransport von Berta und Max Fuchs. Die Abgeschobenen wurden aber von der polnischen Regierung nicht in Polen aufgenommen und wieder nach Deutschland zurückgeschickt. Im August 1939 wurde Berta Fuchs erneut nach Polen ausgewiesen. Auf der Meldekarte ist eingetragen: Wohnort Tschenstochau. Dort traf sie nach Aussagen von Sohn Simon auf ihren Ehemann Isaak, wo beide nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht bis zu ihrem Abtransport inhaftiert waren. Laut der Eintragung im Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus ist Isaak Fuchs in Bendzin ums Leben gekommen und Berta Fuchs in Auschwitz. Der Zeitpunkt der Ermordung von beiden ist unbekannt.

Max konnte der zweiten Abschiebung nach Polen entkommen. Auf seiner Meldekartei steht: 18.2.1939 Abfertigung nach Polen. Mit Hilfe des Palästinaamtes war es ihm aber aufgrund seiner beruflichen Qualifikation gelungen, im April 1939 nach England zu fliehen. Er fand als Schnittmacher rasch Arbeit, wurde aber nach Ausbruch des Krieges auf der Isle of Man interniert. Nach dem Krieg arbeitete er noch einige Zeit in England und ging dann auch nach Israel. Er blieb aber nicht dort, sondern wanderte nach Amerika aus. «

 

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Karl August Stern
Elisabeth Else Stern, geb. Roth
Paul Stern

Löwenstraße 5

Karl August Stern wurde am 8. Oktober 1878 als Sohn jüdischer Eltern in Frankfurt geboren. Nach der Eheschließung mit der evangelischen Christin Elisabeth Roth, die am 5. Juli 1877 ebenfalls in Frankfurt geboren wurde, zog er 1898 an den Wilhelmsplatz nach Offenbach um, da er dort in der bekannten Gerberei Mayer & Sohn tätig war.

Karl und Elisabeth Stern hatten 3 Kinder: Bernhard Eduard (Jg.1899), Stephania Johanna (Jg. 1901) und Willi Georg Paul (Jg. 1907), die evangelisch getauft wurden, da Elisabeth Stern nicht zum Judentum übertrat.

Nachdem Karl August Stern in der jüdischen Firma zum Prokuristen aufgestiegen war und sich erfolgreich in der Firmenleitung bewährt hatte, erwarb das Ehepaar das zweigeschossige Wohnhaus in der Löwenstraße 5 und wohnte dort bis 1936.

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Karl und Elisabeth Stern waren in Offenbach bekannte Persönlichkeiten. Beide engagierten sich während des ersten Weltkrieges und in der Weimarer Zeit in verschiedenen Kriegsfürsorge- einrichtungen und in der Offenbacher Wohlfahrtspflege. Karl Stern unterstützte seine Frau, als sie als Vorsitzende des Hilfsvereins auch Aufgaben in der kommunalen Sozialpolitik übernahm. Er wirkte als Betreuer der Vereinsfinanzen mit und setzte sich für die Unterstützung der Vereinstätigkeiten durch die Firma Mayer & Sohn ein. Elisabeth Stern, die in Offenbach nur als

„Else“ bekannt war, wurde von vielen wegen ihrer zahlreichen Aktivitäten für Hilfsbedürftige als „Engel der Armen“ bezeichnet.

Tochter Stephanie, die 1923/ 24 als deutsche Meisterin im Florettfechten erfolgreich war, zog 1927 nach ihrer Heirat in die USA. Der Sohn Bernhard war ab 1933 beruflich in Berlin tätig und emigrierte später von dort in die USA.

Der Sohn Paul Stern trat nach der Ausbildung in der Lederwarenbranche 1926 in die Firma Mayer & Sohn ein und wurde 1934 Prokurist und Leiter der

Finanzabteilung. Vater Karl Stern gehörte mittlerweile neben zwei anderen Personen zu den Vorstandsmitgliedern der Firma. Von Seiten der Nationalsozialisten wurde auf sie immer stärker Druck ausgeübt, die jüdische Firma zu „arisieren“.

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1936 erfolgte die Übernahme des Unternehmens durch die Firma „Salamander“, die ab diesem Zeitpunkt mit allen Mitteln auf den Ausschluss der jüdischen Vorstandsmitglieder Karl August Stern und Max Weil drängte.

Als Ehefrau eines Juden wurde auch Else Stern geächtet. Sie musste die Leitung in den sozialen Einrichtungen aufgeben, die ab 1934 in die NS-Volkswohlfahrt übernommen worden waren.

 Am 29. September 1936 wurde Karl Stern unter dem Vorwurf des Verdachts auf Devisenvergehen und Firmenschädigung verhaftet. Durch falsche Aussagen eines Mitarbeiters demoralisiert und in der Befürchtung, dass ihm seine Aussagen als Jude beim Verhör nicht geglaubt wurden, nahm sich Karl Stern am 27. Oktober 1936 im Gestapokeller das Leben. Als Paul Stern danach erfuhr, dass er von der Gestapo beobachtet werde, setzte er sich nach der Bestattung seines Vaters am 31. Oktober 1936 in die Schweiz ab. Von dort emigrierte er 1937 mit seiner Familie in die USA.

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Der zurückgebliebenen Ehefrau wurde nach der Flucht des Sohnes zunächst der Pass abgenommen. Unter der Hand bekam sie von einem Polizisten das Dokument wieder zurück mit der Empfehlung, das Land schleunigst zu verlassen. Elisabeth Else Stern flüchtete darauf umgehend in die Schweiz. Von dort emigrierte sie dann 1937 weiter zu ihren Kindern in die USA.

Das Haus in der Löwenstraße 5 beschlagnahmte der Reichsfiskus.

 Nicht lange nach Kriegsende nahm Elisabeth Else Stern Kontakt zu noch lebenden Bekannten in Offenbach auf. Auch mit Offenbachs Oberbürgermeistern

entwickelte sich ein Briefwechsel. 1955 fragte der Magistrat bei ihr an, ob man sie in Anbetracht ihrer Verdienste zur Ehrenbürgerin ernennen dürfe. Bedauerlicherweise lehnte Else Stern den Vorschlag ab, als erste Frau in Offenbach in diesen Rang erhoben zu werden. Ihre Begründung war, sie hege zwar keinen Groll mehr gegen die Stadt, aber die Entfremdung sei doch zu groß.

Nach ihrem Tod 1966 wurde ihre Urne im Familiengrab in Frankfurt beigesetzt. Von der Lokalpresse wurde sie danach als Wohltäterin der Armen in den Kreis der erinnerungs- würdigen jüdischen Persönlichkeiten der Stadtgeschichte aufgenommen. In Rumpenheim wurde nach ihr wegen ihres langjährigen Wirkens in Offenbach eine Straße benannt. «


Hans Stoffers

Ludwigstraße 42

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Hans Stoffers wurde am 14. Juli 1901 in Feldhausen/Württ. geboren. Er war studierter Historiker sowie Altsprachler und geistiger Mittelpunkt einer sozialdemokratischen Widerstandsgruppe in Offenbach. Ziel dieser Gruppe war, während der Nazi-Zeit Verbindungen unter Sozialdemokraten in der Rhein-Main-Region aufrecht zu erhalten, zum Sturz der Nazi-Diktatur beizutragen und später die SPD wieder aufzubauen.

 In den Jahren 1933 bis 1936 versuchten sie mit Flugblättern, die Stoffers Frau Edel auf einer alten Schreibmaschine in der Firma ihres Vaters abtippte, die Offenbacher über die verhängnisvolle Politik Hitlers und seine Kriegspläne aufzuklären. Die Flugblätter wurden nachts heimlich in die Briefkästen gesteckt. Auch mit sozialistischen Zeitungen, die aus dem Ausland ins Reich geschmuggelt wurden, verfolgten sie dieses Ziel. Per Fahrrad fuhren Mitglieder der Gruppe Hans Stoffers, Theobald Sturm, Valentin Unkelbach, Karl Appelmann und Albert Gasch zu Sozial- demokraten in Langen, Neu-Isenburg, Langenselbold und in die Wetterau, um heimlich illegale Zeitungen weiter zu geben wie die „Sozialistische Aktion“, aus Prag oder „Der Funke“, aus der Schweiz.

1936 kurz vor der Berliner Olympiade griff die Gestapo zu. Einer nach dem anderen wurde verhaftet. Hans Stoffers wurde gewarnt und konnte in letzter Minute nach Holland fliehen.

Dort saß er zunächst im Gefängnis, wurde aber am Ende nicht ausgeliefert, sondern nach Belgien abgeschoben. In Brüssel arbeitete er für eine Emigrantenzeitung. Hans Stoffers wirkte bei der Gründung der „Deutschen Jugendfront“ gegen Hitler mit. Als deutsche Truppen in Belgien einmarschierten, versuchte er, nach Frankreich zu entkommen.

Der Zug, den Stoffers für seine Flucht benutzte, wurde am 16. März 1940 von Fliegern der deutschen Luftwaffe bombardiert. Hans Stoffers war unter den Toten. «


Theobald Sturm

Ludwigstraße 42

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 Theobald Sturm wurde am 06. Juni 1905 in Mainz geboren. Der gelernte Kaufmann war in Büdingen verheiratet und hatte drei Söhne sowie eine Tochter. Seit 1928 war er Mitglied der SPD, Schriftführer im Ortsverein und Versammlungsredner in der Wetterau. Er arbeitete aktiv im Reichsbanner, später in der Eisernen Front. Der Bedrohung durch die Nazis wich er im Sommer 1933 nach Offenbach aus. Dort stieß er zur sozialdemokratischen Widerstandsgruppe um Hans Stoffers und Valentin Unkelbach.

Ab 1933 verbreiteten sie Zeitungen wie die Sozialistische Aktion, Der Funke, oder der Neue Vorwärts, die sie auch zu anderen Gruppen weiterleiteten. Flugblätter wurden meist selbst produziert. Edel Gasch beschreibt in ihrem Buch „Langer Brief an meine Kinder“, wie sie heimlich in ihres Vaters Büro Stoffers Texte abtippte, die dann nachts in die Briefkästen der Offenbacher gesteckt wurden.

Sturm, Unkelbach und Wagner trafen sich häufig in Stoffers Wohnung um ihre Strategien gegen die Nazis zu diskutieren und ihre nächsten Aktionen vorzubereiten. Sie beschlossen, so heißt es in der Anklage vor dem Oberlandesgericht Darmstadt, „eine sozialistische Organisation zu schaffen, die den nationalsozialistischen Staat bekämpfen sollte“.

Kurz vor der Olympiade 1936 griff die Gestapo, die Stoffers Gruppe wohl schon längere Zeit beobachtete, zu und verhaftete die meisten Beteiligten. Sturm und Stoffers wurden gewarnt und konnten vor dem Zugriff der Polizei fliehen. Am 23. Mai 1936 wurde Theo Sturm in der Nähe der holländischen Grenze verhaftet. Vor dem OLG in Darmstadt wurde er des Hochverrats angeklagt. Ihm wurde – wie den Mitangeklagten – vorgeworfen, den Zusammenhalt der verbotenen SPD versucht und illegales Material verteilt zu haben. Sturm wurde besonders vorgehalten, er habe auf Stoffers Weisung den Kontakt zu auswärtigen Gruppen aufrechterhalten. Das Urteil lautete auf vier Jahre Zuchthaus und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte.

Es gehört zur bitteren Ironie der Geschichte, dass Nazigegner wie Sturm, der sich früh gegen die Naziherrschaft gestemmt hatte und dessen Gruppe immer vor diesem Krieg warnte, in diesem Krieg ihr Leben verloren.

Theobald Sturm fiel als Mitglied eines Strafbataillons am 17. Januar 1944. «


Siegfried Löwenstein,
Alice Löwenstein, geb. Friedberger
Richard Löwenstein
Margot und Jakob Löwenstein

Ludwigstraße 68

Siegfried Löwenstein wurde am 10.10.1868 in Offenbach geboren. Er heiratete am 04.02.1897 Johanna Heß. Das Ehepaar hatte zwei Kinder: Selma, geb. am 16.01.1898, und Richard, geb. am 12.10.1902. Sie lebten nach der Eheschließung in der Ludwigstraße 68.

Siegfried Löwenstein war Eigentümer des Hauses und Inhaber einer Kartonagenfabrik, deren Betriebsräume sich ebenfalls auf dem Gelände befanden. Er beschäftigte zwischen 11 und 20 Gehilfen.

Richard Löwenstein, von Beruf Zuschneider und Reisender, hielt sich 1925 für ein Jahr in Turin und Mailand auf. Am 04.06.1930 heiratete er in Offenbach Alice Friedberger, die am 18.08.1903 in St. Wendel geboren wurde. Sie lebten auch in der Ludwigstraße 68. Dort wurden am 29.08.1931 Tochter Margot und am 14.10.1934 Sohn Jakob geboren.

Die Mutter Johanna Löwenstein verstarb am 11. September 1934.

Das Haus und das Unternehmen in der Ludwigstraße 68 befand sich gegenüber dem Gebäude, in dem der Sitz der Gestapo war. Heute befindet sich dort das Gebäude der Industrie- und Handelskammer.

Siegfried Löwenstein wurde im Zusammenhang mit den Pogromen im November 1938 verhaftet und vom 16.11. bis 05.12.1938 in Dachau inhaftiert. Er gehörte somit zu den Tausenden von Juden, die im November in Dachau in Haft waren. Die meisten dieser Menschen wurden in der Regel aus der Haft entlassen mit der Auflage, Deutschland zu verlassen. In vielen Fällen wurden ihnen Häuser, Betriebe oder andere Vermögenswerte weit unter Wert abgepresst. Den Betrieb, der am 15.03.1897 eröffnet worden war, konnte Siegfried Löwenstein nicht weiter betreiben. In der Gewerbekartei steht, dass der Betrieb am 16.12.1938 „abgemeldet“ wurde.

Am 6.03.1939 zogen Siegfried, Richard, Alice, Margot und Jakob in die Domstraße 66 um. Es war sicher kein freiwilliger Umzug, denn in diesem Haus waren mehrere jüdische Familien einquartiert. Die Ludwigstraße 68 war also der letzte frei gewählte Wohnort.

Am 27.09.1942 wurde Siegfried im Alter von 74 Jahren über Darmstadt nach Theresienstadt deportiert. Das Sonderstandesamt Arolsen gibt an, dass er dort am 22.05.1943 „verstorben“ sei.

Richard Löwenstein wurde kurz vor seinem 40. Geburtstag, Alice Löwenstein im Alter von 39 Jahren, sowie die elfjährige Margot und der siebenjährige Jakob am 30. September 1942 über Darmstadt in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und haben dort nicht überlebt. Auf ihren Meldekarten ist vermerkt, dass das Amtsgericht in Offenbach ihren Tod auf den 08.05.1945 festgelegt hat. «

Im September 1942 wurde die Familie Löwenstein in das Vernichtungslager Treblinka transportiert. 

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Hubert Pfoch fotografierte als Soldat der Deutschen Wehrmacht im August 1942 am Bahnhof in Sielce einen Transport von Jüdinnen und Juden auf dem Weg in das Vernichtungslager Treblinka.


Dr. Rosa „Rosel“ Goldschmidt

Luisenstraße 6

Erste Seite der Veröffentlichung einer Studie über Typhus von Rosel Goldschmidt
Erste Seite der Veröffentlichung einer Studie über Typhus von Rosel Goldschmidt

 

Rosa Goldschmidt, genannt „Rosel“, geboren am 09.02.1895 in Offenbach, wuchs in der Luisenstraße 6 auf. Ihre Eltern waren der jüdische Fabrikant Bernhard Goldschmidt (30.03.1862) und Julia Goldschmidt, geb. Gutmann (28.05.1873). Rosels ein Jahr jüngere Schwester, Karolina, wurde am 30.05.1896 ebenfalls in Offenbach geboren. Rosel wurde Kinderärztin und verfasste zahlreiche wissenschaftliche Studien. Ihre Schwerpunkte legte sie auf die „Hygiene, Bakteriologie und Serologie“. Rosel Goldschmidt wechselte einige Male ihren Wohnort. Von 1920 bis 1926 arbeitete sie am Hygiene- Institut der Universität Frankfurt, danach arbeitete sie an der Kinderklinik der Städtischen Krankenanstalten Dortmund und von 1929 bis 1933 an der Kinderklinik in Leipzig.

Am 31.07.1933 wurde Rosel wie alle ihre jüdischen Kolleginnen und Kollegen fristlos entlassen. Für die Ärztinnen und Ärzte bedeutete dies, dass viele von ihnen bereits nach 1933 in erhebliche wirtschaftliche Not gerieten.

Im November 1933 hielt sich Rosel Goldschmidt für kurze Zeit in Paris auf, im Dezember war sie jedoch wieder in Offenbach gemeldet. 1937/1938 assistierte sie am jüdischen Krankenhaus in Berlin in der Iranischen Straße. 1938 verloren jüdische Ärzte dann endgültig ihre Approbation. Im Februar 1938 kehrte Rosel nach Offenbach zurück. Laut Nachlass von Siegfried Guggenheim regelte 1941 „Fräulein Dr. Goldschmidt“ die Sozialarbeit der Jüdischen Gemeinde, die zu dem Zeitpunkt nur noch 280 Menschen zählte.

Am 28.09.1942 wurde Rosel mit ihrer verwitweten Mutter, Julie Goldschmidt, über Darmstadt nach Theresienstadt deportiert. In Rosels Meldekarte steht die zynische Eintragung: „am 15.10.42 abgemeldet ohne Angabe des neuen Wohnsitzes“. Laut Gedenkbuch erfolgte Rosels Weitertransport nach Auschwitz am 12.10.1944 und wurde dort als verschollen registriert. Am 04.07.1949 wurde sie vom Amtsgericht in Offenbach für tot erklärt.

Rosels Schwester Karoline wurde am 30.09.1942 mit weiteren Hausbewohnern von der Gestapo aus der Luisenstraße 6 abgeholt und über Darmstadt nach Polen deportiert. «

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Paula Marx

Luisenstraße 6

Paula Marx wurde am 11.12.1888 in Darmstadt als zweites Kind der jüdischen Eltern, Hermann und Sofie, geb. Silbermann, geboren. Sie zog 1915 nach Offenbach in die Luisenstraße 6. Dort wohnten bereits ihre Schwester Franziska mit ihrem Ehemann Sigmund Nußbaum und ihr Bruder Stefan Marx. Das Haus gehörte damals dem jüdischen Fabrikanten Bernhard Goldschmidt.

Ihre Mutter Sophie folgte im September 1916, zusammen mit dem jüngsten Sohn Eugen, ihren älteren Kindern nach Offenbach in die Luisenstraße 6, kurz nachdem ihr Ehemann Hermann in Darmstadt verstorben war.

Als Berufsbezeichnung von Paula Marx war ursprünglich „Kontoristin“ eingetragen. Dies wurde nachträglich auf der Meldekarte in Offenbach in „Hausangestellte“ geändert. Paula wohnte ab 1923 zusammen mit ihrer Mutter in der Waldstraße 36.

Sophie Marx kam 1938 in die Israelitische Heil- und Pflegeanstalt Sayn bei Koblenz, wo sie 1941 altersbedingt starb. Ihre Tochter Paula zog kurz danach wieder zu ihrer Schwester in die Luisenstraße 6. Dort begann sich die Familie bereits aufzulösen. Ihre Geschwister wanderten nacheinander nach Amerika und Frankreich aus. Dem jüngsten Bruder Eugen (Jahrgang 1905) gelang die Emigration im Juli 1938 in die USA. Stefan Marx (Jahrgang 1897) floh nach der Pogromnacht im Januar 1939 nach Frankreich. Paulas ältere Schwester Franziska (Jahrgang 1887) konnte mit ihrem Ehemann (Jahrgang 1884) im Dezember 1939 ebenfalls in die USA entkommen.

Der Weggang der Mutter und der Geschwister kann auch ein Grund für Paula Marx gewesen sein, im Oktober 1939 nach Sontheim bei Heilbronn zu gehen. Sie war nicht verheiratet und hatte in Offenbach keine näheren Verwandten mehr. In Sontheim befand sich das jüdische Altersheim Wilhelmsruhe (Israelitisches Asyl für alleinstehende Männer und Frauen). Als Paula Marx nach Sontheim kam, war das Altersheim nach Zerstörungen in der Pogromnacht in einem desolaten Zustand. Als „Israelitisches Asyl“ bot es mittlerweile über 150 Menschen jüdischen Glaubens aus Heilbronn, der Pfalz, dem Saargebiet und Baden Zuflucht. Ihr Aufenthalt währte aber nur kurz.

 Anfang November 1939 zog sie wieder nach Offenbach in die Luisenstraße 6. Dort lebte sie bis zu ihrer Deportation am 30. September 1942. In ihrer Meldekarte steht dazu der falsche Vermerk „19.9.1942 nach unbekannt“.

Die Eintragung im Gedenkbuch „Opfer der Verfolgung der Juden unter der national- sozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945“ nennt Polen als Ziel der Deportation. Sie gilt als dort verschollen. Ihr Todestag wurde amtlich auf den 31. Dezember 1945 festgelegt. «

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Otto Reichmann

Luisenstraße 37

Otto Reichmann, geboren am 13. Mai 1882 in Worms, war der Bruder von Ludwig Reichmann.

Ludwig wohnte mit seiner Frau Jenni-Anne und seinen Kindern Hans und Eva in der Kaiserstr. 8. Ludwig und Otto Reichmann hatten 1926 in der Domstraße 74 die Sattlerwarenfabrik Gebrüder Reichmann gegründet.

Otto Reichmann wohnte ganz in der Nähe der Verwandten in der Luisenstr. 37.

In der Zeit ihrer gemeinsamen Geschäftsführung der Sattlerwarenfabrik Gebrüder Reichmann hatten sie sich die Geschäfte aufgeteilt. Ab 1931 führte Ludwig Reichmann die Firma alleine weiter.

Otto Reichmanns Beruf wird als „Agent“ angegeben.

Während Ludwig Reichmann und seine Familie in Offenbach wohnen blieben, versuchte Otto Reichmann, über die Emigration in die Tschechoslowakei dem Holocaust zu entgehen. Vielleicht hatte er schon 1931, als sein Bruder Ludwig alleine das Geschäft übernahm, beschlossen, Deutschland zu verlassen und in die Heimat der Familie zurückzukehren.

Doch auch dort war er nicht sicher. Von Prag wurde er am 15. Mai 1942 zunächst in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Seine Spur endet zehn Tage später am 25.05.1942 in Lublin/Majdanek in Polen.

Im September 1942 wurden sein Bruder Ludwig Reichmann, seine Frau Jenni-Anne und ihre 13 und 26-jährigen Kinder Hans und Eva in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. « 

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Friedrich Julius Grünebaum
Sophie Grünebaum, geb. Reiss
Karola Grünebaum

Luisenstraße 69

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 Sophie Reiss und Friedrich Julius Grünebaum hatten im Juni 1920 in Bügel geheiratet. Ihre Tochter Karola wurde 1921 in der Luisenstraße 69 geboren, wo die kleine Familie seit 1920 zur Miete wohnte.

Der damalige Hausbesitzer und Metzger Philipp Blammeser besaß im Erdgeschoss des Hauses ein Metzgereigeschäft, das Friedrich Julius Grünebaum übernehmen konnte. In der Wirtschaftskrise musste Grünebaum das Geschäft 1930 schließen, und die Familie hatte seitdem ähnliche finanzielle Sorgen wie ein großer Teil der Offenbacher Bevölkerung.

Von 1927 bis 1934 besuchte ihre Tochter Karola die Bürgerschule in der Bahnhofstraße. 1934 musste sie, wie alle jüdischen Schulkinder, in die im April 1934 eröffnete jüdische Bezirksschule wechseln. Mit 14 Jahren ging Karola in einem Lederwarenbetrieb in die Lehre.

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Am 28. September 1942 erreichte ein Zug, aus Darmstadt kom- mend, mit 1287 Jüdinnen und Juden das KZ Theresienstadt in Tschechien. Unter den ca. 100 vorwiegend älteren Menschen aus Offenbach und Um- gebung waren auch Sophie und Friedrich Julius Grünebaum, 53 und 54 Jahre alt.

 In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde auch die Wohnung der Familie Grünebaum verwüstet. In der Synagoge legten fanatisierte Offenbacher Feuer und zerstörten die jüdische Bezirksschule. Einen Tag später war Friedrich Julius Grünebaum einer von 82 Offenbacher Juden, die verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht wurden. Nach drei Wochen entließen die Nazis ihn unter der Bedingung, dass er mit seiner Familie Deutschland verlässt. Sie blieben jedoch in Offenbach.

Karolas Einkommen in dem jüdischen Lederbetrieb Alligator war der einzige Familienunterhalt. Aber zum Jahresende musste die Firma Alligator, wie zahlreiche jüdische Betriebe, schließen und auch Karola wurde arbeitslos. Schweren Herzens entschloss sie sich im Alter von 18 Jahren zur Flucht aus Deutschland und durfte im Juli 1939 nach England ausreisen. Hier fand sie Arbeit und konnte – anders als ihre in Offenbach verbliebenen Eltern – in Sicherheit und im Schutz jüdischer Organisationen überleben.

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Später gründete sie hier eine Familie, von der zahlreiche Mitglieder bei der Stolperstein- verlegung in der Luisenstr. 69 am 23.10.2019 anwesend waren.

Ihre Eltern Sophie und Friedrich Julius Grünebaum blieben in Offenbach und schickten Karola viele Briefe, die die besorgte Tochter beruhigen sollten. Viele Familienmitglieder waren bereits ausgewandert, doch das ließ die finanzielle Situation ihrer Eltern nicht zu. So wurden sie mit 99 anderen jüdischen Offenbachern im September 1942 aufgefordert, sich an dem Sammelpunkt neben der Synagoge an der Kaiserstraße einzufinden.

In Theresienstadt blieben sie bis zum Januar 1942. Am 29.01.1942 kamen sie auf einen Transport nach Auschwitz. Wann sie dort starben, ist nicht bekannt. «


Karl Hirsch
Cäcilie Hirsch geb. Herrscher
Margot Hirsch

Luisenstr. 69

Der jüdische Kaufmann Karl Hirsch, geboren am 25.09.1887 in Frankfurt, heiratete im August 1919 Cäcilie (Cilly) Herrscher aus Offenbach, geboren am 27. März 1893. Die Familie wohnte in der Domstraße 77 in Offenbach. Am 26.08.1920 wurde ihr Sohn Stefan Ernst geboren, am 20.11.1923 folgte seine Schwester Margot.

Die Familie zog im Juni 1938 in das Haus des jüdischen Unternehmers Löwenberger in der Luisenstraße 69. Ende August 1938 emigrierte der Sohn Stefan Ernst Hirsch im Alter von 18 Jahren in die USA. Offenbar hat das Ersparte der Familie nur für die Emigration eines Familienmitglieds gereicht. Karl Hirsch, seine Frau Cäcilie und ihre Tochter Margot blieben in Offenbach zurück. Sie erlebten – wie viele Offenbacher Juden – die Pogromnacht mit dem Brand in der Offenbacher Synagoge, die Plünderungen von jüdischen Wohnungen und Geschäften, die Misshandlungen und die Verschleppung von über 80 Offenbacher Juden nach Buchenwald und weitere 87 nach Dachau.

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Im September 1942 bestellte die Gestapo Karl Hirsch, seine Frau Cäcilie und ihre 18jährige Tochter Margot zu dem Sammelpunkt hinter der Offenbacher Synagoge. Kurz darauf wurden sie zusammen mit vielen anderen nach Darmstadt gebracht und von dort am 30. September 1942 nach Polen in das Lager Treblinka deportiert. In der Offenbacher Meldekarte des Ehepaares ist vermerkt: „27.10.1942 abgem. ohne Angabe des neuen Wohnsitzes“.

 Der Todeszeitpunkt von Margot Hirsch und ihrem Vater Karl ist unbekannt. Für die Mutter Cäcilie wurde 1964 vom Amtsgericht Offen- bach der 8.05.1945 „als Zeitpunkt des Todes“ festgesetzt. «


Moritz Stern
Hildegard Stern, geb.
Simon Werner und Marion Stern

Luisenstraße 77

Der Kaufmann Moritz Stern wurde am 10. März 1886 in Meerholz geboren. Er heiratete 1923 Helene Adler. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor. Werner wurde am 17. April 1924 und Marion am 29. Juni 1929 in Offenbach am Main geboren. Die Ehefrau Helene verstarb im Januar 1937. Ein Jahr später heiratete Moritz Stern die am 26.01.1903 geborene Haushälterin Hildegard Simon. Gemeinsam mit den beiden Kindern lebten sie in der Luisenstraße 77 in Offenbach am Main.

Moritz Stern betrieb gemeinsam mit Leo Küchler in der Ludwigstraße 95 ein Lederwarengeschäft. Sie fertigten und verkauften Damentaschen und Geldbörsen.

Die Tatsache, dass unter der Adresse des Stern-Küchler Betriebs, die im Handbuch der Lederindustrie von 1936/ 37 angegeben war, im Handbuch von 1941 eine andere Firma aufgeführt wird, welche ebenso Geldbörsen aus Leder fertigte, ist auffällig.

Unmittelbar im Gefolge der Pogrome wurde Moritz Stern am 16. November 1938 inhaftiert und im Konzentrationslager Dachau bis zum 29.November 1938 gefangen gehalten.

Im August 1939 musste die Familie Stern in das Haus des jüdischen Kaufmanns B. Goldschmidt in der Luisenstraße 6 umziehen. Am 30.09.1942 wurden Moritz, Hildegard sowie die Kinder Werner und Marion Stern über Darmstadt, vermutlich in das Vernichtungslager Treblinka, deportiert. Zu diesem Zeitpunkt war Werner 18 und Marion 13 Jahre alt.

Nach den Daten der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem wird für alle Familienmitglieder als das Jahr des Todes 1942 angegeben. « 

„Rail-Track“ im KZ Treblinka Quelle: Wikipedia/Internet
„Rail-Track“ im KZ Treblinka Quelle: Wikipedia/Internet

Wilhelm Wolf
Emma Wolf, geb. Mann

Luisenstraße 84

Wilhelm Wolf wurde am 15. April 1873 in Bürgel geboren. Seine Eltern waren der Spengler Benjamin Wolf und dessen Frau Rosa, geb. Kahn. Am 14. April 1901 heiratete er die am 01.121871 in Fürth geborene Emma Mann. Im gleichen Jahr zogen beide nach Offenbach und wohnten zunächst in der Waldstraße 29, wo Wilhelm Wolf am 01.05.1901 ein Geschäft als „Ellenwarenhändler, Weißzeugwiederverkäufer und Kurz- und Modewarenhändler im Kleinen“ eröffnete. 1909 verlegte das Ehepaar Wolf Wohnung und Geschäft in die Waldstraße 5, Anfang 1923 in das Haus Luisenstraße 86, wo das Geschäft bis zum 30. September 1938 bestand. Ihre Wohnung hatten Wilhelm und Emma Wolf seit 1932 im Nachbarhaus Luisenstraße 84.

Wilhelm und Emma Wolf hatten zusammen drei Kinder: Alice (Lisl), geb. am 16.01.1902, Richard, geb. am 05.06.1906 und Margarethe (Gretl), geb. am 18.03.1914.

Wilhelm Wolf hatte vor 1933 ein gut gehendes Geschäft mit einem ansehnlichen Einkommen, das es ihm ermöglichte, die Kinder auf Höhere Schulen zu schicken. Seit dem Boykott jüdischer Geschäfte im April 1933 bis November 1938 ging der geschäftliche Erfolg immer mehr zurück. In der Pogromnacht wurde die Wohnung der Familie Wolf völlig zerstört, Wilhelm Wolf verhaftet und zusammen mit vielen anderen Offenbacher Juden vom 16. bis 28. November 1938 im KZ Dachau gefangen gehalten.

Der Sohn Richard Wolf und die beiden Töchter Alice, verheiratete Silbermann, und Margarethe, verheiratete Hirschen, hatten Deutschland zu dieser Zeit bereits verlassen. Zusammen mit ihren jeweiligen Ehepartnern waren sie 1937 bzw. 1938 in die USA emigriert.

Todesanzeige der Familie in der Zeitung „Aufbau“/USA
Todesanzeige der Familie in der Zeitung „Aufbau“/USA

Wilhelm Wolf konnte sich auch nach seiner Rückkehr aus Dachau nicht entschließen, mit seiner Frau Emma die Heimatstadt Offenbach zu verlassen und den Kindern ins Exil zu folgen.

In die Häuser Luisenstraße 82-86 wurden seit 1940 zunehmend Juden einquartiert. Seit September 1941 wohnten auch Hermann und Johanna Hirschen, die Schwiegereltern ihrer Tochter Margarethe, mit den Wolfs in der Luisenstraße 84.

 Am 27. September 1942 wurden Wilhelm und Emma Wolf nach Theresienstadt verschleppt. Ihre Karte in der Offenbacher Einwohner- meldekartei trägt unter dem Datum des 07.10.1942 den Vermerk „unbek. verreist“.

Den katastrophalen Verhältnissen im KZ Theresienstadt konnten Wilhelm und Emma Wolf nicht standhalten. Wilhelm Wolf starb am 24.01., seine Frau Emma vier Wochen später am 20.02.1943. «


Hermann Karl Löb
Ernestine Löb, geb. Goldschmidt
Ferdinand Karl Löb

Luisenstraße 86

Hermann Karl Löb wurde am 21.08.1883 in Frankenthal in der Pfalz geboren. Sein Beruf war Vertreter. Im November 1919 zog er nach Offenbach und heiratete am 02.01.1920 Ernestine Goldschmidt, die am 12.10.1895 in Offenbach geboren wurde.

Das Ehepaar hatte zwei Söhne: Rudolf, geboren am 31.10.1920, und Ferdinand, geboren am 27.04.1924.

Rudolf erlernte den Kaufmannsberuf und emigrierte im Juli 1939 nach England, so dass er Deportation und Tod entgehen konnte.

Genau wie viele andere jüdische Familien aus Offenbach musste sich das Ehepaar Löb mit ihrem Sohn Karl Ferdinand am 30.09.1942 am Hintereingang der damaligen Synagoge an der Kaiserstraße einfinden. Sie wurden dann in das Sammellager der Darmstädter Liebigschule gebracht.

Ferdinand Karl Löb war 18 Jahre alt, als er zusammen mit seinen Eltern deportiert wurde. Von Darmstadt aus fuhr der Deportationszug dann vermutlich nach Treblinka. Bei Ferdinand Karl Löb und seinen Eltern kann davon ausgegangen werden, dass sie dort ermordet wurden. Am 22.09.1950 wurden sie rechtlich für tot erklärt und das Todesdatum auf den 08.05.1945 festgesetzt. «

Meldekarte von Hermann-Karl Löb
Meldekarte von Hermann-Karl Löb

Wilhelm Neuhaus
Selma Neuhaus, geb. Simons

Mainländerstraße 5

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Wilhelm Neuhaus wurde am 10. Juli 1876 als Sohn des jüdischen Bürgers August Neuhaus und seiner Ehefrau Lina (geb. Katzenstein) in Offenbach geboren. Wilhelm hatte noch 5 Geschwister mit den Namen Ludwig, Friedrich, Hedwig, Friederike und Adolph.

 Wilhelms Vater, August Neumann, hatte seit 1873 einen prosperierenden Handel mit Kohlen, Koks und Briketts sowie Brennstoffen jeder Art aufgebaut. Nach seinem Tod im November 1918 führten die Söhne Ludwig, Friedrich und Wilhelm die Firma unter dem Namen August Neuhaus weiter.

Die Familie verfügte über ein großes Lager im Offenbacher Hafen 18 und besaß zwei ansehnliche Wohnhäuser in der Bismarckstraße gegenüber dem Hauptbahnhof.

 Bis auf einen kurzen Aufenthalt in Stuttgart Cannstadt lebte und arbeitete Wilhelm Neuhaus durchgängig in Offenbach. In erster Ehe war er mit der 1877 in Offenbach geborenen Jüdin Katharina Stüber verheiratet, die im März 1930 verstarb. Im Dezember 1931 heiratete Wilhelm Neuhaus Selma Simons in Seligenstadt. Sie wurde dort am 29. August 1886 als Tochter von Philipp und Mathilde Simons geboren. Bis 1931 lebte sie mit ihren Eltern und Schwester Emma ( geb.1891 ) in Seligenstadt, wo sie als Schneiderin und Haushälterin tätig war.

Nach der Eheschließung wohnten Wilhelm und Selma Neuhaus zunächst in der Bismarckstraße 139 in Offenbach. Das Kontor der Firma befand sich nebenan in der Bismarckstraße 137. Nach dem Ausscheiden der Brüder Ludwig und Friedrich aus der Firma war Wilhelm Neuhaus ab 1930 zusammen mit einem neuen Kompagnon Geschäftsführer der Kohlen-Großhandlung und führte das Geschäft erfolgreich weiter. Allerdings nur für eine kurze Zeit.

 Angesichts der vom NS-Regime verfügten diskriminierenden Beeinträchtigungen jüdischer Unternehmen musste Wilhelm Neuhaus bereits 1936 das Geschäft aufgeben und abmelden. Auch die beiden Wohnhäuser in der Bismarckstraße konnte die Großfamilie Neuhaus nicht halten. Ab 1937 wurde im Adressbuch als neuer Eigentümer die „arische“ Firma Raab-Karcher Gmbh verzeichnet, die ebenfalls im Handel mit Kohle und weiteren Produkten tätig war.

Wohnung: Bismarckstr. 137
Wohnung: Bismarckstr. 137

Wilhelm Neuhaus lebte zu dieser Zeit mit seiner Frau Selma schon in der Mainländerstraße 5. In das Haus zog 1937 auch Selmas Mutter, Mathilde Simons, ein, deren Ehemann Philipp bereits 1929 verstorben war. Alle pflegten Kontakt zu Mathildes Tochter bzw. Selmas Schwester Emma, die mit dem evangelischen Stoffhändler Erich Gerber verheiratet war, in Frankfurt lebte und zwei Töchter namens Erika und Hanna hatte.

Ab 1940 stand das Haus der Familie Neuhaus in der Mailänderstraße 5 unter ständiger Beobachtung des NS- Ortsgruppenleiters. Von ihm wurden zwei sogenannte Volksgenossinnen aus der Nachbarschaft wegen „staatsgegnerischen Verhaltens“ denunziert, da sie mit ihrem früheren Arbeitgeber, Wilhelm Neuhaus, freundschaftliche Unterhaltungen geführt und das Ehepaar Neuhaus zu sich eingeladen hatten.

Bis 1942 wohnten Selma und Wilhelm Neuhaus mit Mathilde Simons noch in der Mainländerstraße 5. Dann zogen sie aus, wohl wegen der seit 1938 bestehenden NS-Verordnung über den Entzug jüdischen Hauseigentums. Im Haus-Eigentümerverzeichnis ist zu einem späteren Zeitpunkt ohne genaue Datenangabe die Stadt Offenbach als Eigentümer eingetragen. Ab April 1942 wohnten Wilhelm und Selma Neuhaus mit Mathilde Simons in der Kaiserstraße 115. Dieses Haus war Eigentum der einst wohlhabenden jüdischen Familie Kamberg. Miteigentümer des Hauses und der einstigen Handelsfirma für Mehl und Getreide waren Willy Bachrach und seine Ehefrau Bertha, eine geborene Kamberg.

Seit 1939 wohnten in diesem Haus noch weitere jüdische Familien, die entweder aus sog. arischen Wohnhäusern ausgewiesen worden waren oder ihr Hauseigentum aufgeben mussten. Für die meisten Bewohner der Kaiserstraße 115 war angesichts der verschärften Lebensbedingungen und der zunehmend schlechteren finanziellen Situation eine Emigration ins Ausland nicht mehr möglich. Sie mussten in Offenbach bleiben und wurden deportiert.

Wilhelm und Selma Neuhaus mussten sich zusammen mit Mathilde Simons am 27.09.1942 am Sammelplatz einfinden. Er befand sich direkt gegenüber dem Wohnhaus in der Kaiserstraße neben der ehemaligen Synagoge. Am 28.9. wurden sie von Darmstadt aus mit dem Transport XVII/1 329 nach Theresienstadt deportiert. Auf der Meldekarte der Deportierten wurde im Oktober von den NS-Beamten vermerkt: „Auf Reisen“ bzw. „nach unbekannt verzogen.“

Mathilde Simons starb bereits kurz nach der Ankunft in Theresienstadt , am 03.10.1942. Selma und Wilhelm Neuhaus schickten noch eineinhalb Jahre lang Postkarten aus dem Ghetto Theresienstadt an die Familie ihrer Schwester Emma in Frankfurt und erhielten von ihr Pakete, wie eine überlebende Großnichte berichtet.

Am 18.05.1944 wurden sie dann von Theresienstadt mit dem Transport EB 1436 nach Auschwitz gebracht und getötet. «


Bernhard Schüratzki
Minna Schüratzki, geb. Cohn
Ruth Schüratzki

Mainstraße 17

Bernhard Schüratzki, geb. am 25.01.1895, war der Sohn von Gustav Schüratzki, (Jg. 1857) und seiner Frau Johanna, geb. Mannheimer, (Jg. 1871). Bernhard hatte eine Schwester, Helene, die bei ihrer Mutter Johanna Schüratzki in der Taunusstr. 30 wohnte. Sein Bruder Adolf Elias lebte mit seiner Frau in der Marienstraße 52.

Bernhard Schüratzki war zunächst in Hamburg als sogen. Anschläger tätig. Im Dezember 1925 zog er nach Offenbach, heiratete 1931 Minna Cohn und lebte dann mit ihr und der gemeinsamen Tochter Ruth in der Mainstraße 17.

Die Eheleute Minna Schüratzki wurden im September 1942 aufgefordert, mit ihrer siebenjährigen Tochter Ruth zu der Sammelstelle neben der Synagoge in die Kaiserstraße zu kommen. Schon einige Zeit zuvor hatten sie ihre Wohnung in der Mainstraße 17 verlassen müssen und wohnten mit vielen anderen Jüdinnen und Juden in der Luisenstraße 6, einem sogenannten Judenhaus. Die Schüratzkis sollten nur wenig Gepäck mitnehmen und an der Wohnung und allen Schränken die Schlüssel stecken lassen.

 Insgesamt 177 jüdische Menschen kamen von Offenbach nach Darmstadt. Von hier ging am 30. September 1942 ein Transport vom Darmstädter Güterbahn- hof in das Vernichtungs- lager Treblinka. Helene Schüratzki, ihr Bruder Bernhard, seine Frau Minna und ihre siebenjährige Tochter Ruth wurden vermutlich in Treblinka ermordet. In ihren Offen-bacher Meldekarten steht nur „auf Reisen“ oder„unbekannt“. «

Meldekarte von Bernhard Schüratzki
Meldekarte von Bernhard Schüratzki

Dr. Heinrich Aull
Helene Aull, geb. Hesdörffer
Helene Karoline Brühl, geb. Aull
Dr. Gertrud Aull, verh. Silberg

Mainstraße 37

Dr. Heinrich Ludwig Aull, geb.am 02.09.1880 in Mainz, war seit dem 29.05.1907 verheiratet mit Helene Aull. Als Helene Hesdörffer wurde sie am 15.04.1882 auch in Mainz geboren. Sie hatten eine Tochter, Helene Karoline, Jahrgang 1908.

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 Seit 1907 lebte die Familie Aull in Offenbach. Ab 1912 war Dr. Aull Syndikus der Stadt Offenbach und stellvertretender Vorsitzender des Gewerbe- und Kaufmannsgerichts. 1921 wurde er durch die Stadtverordnetenversammlung Offenbach zum hauptamtlichen Beigeordneten (Stadtrat) gewählt. 1929 erfolgte seine Wiederwahl auf weitere zwölf Jahre mit der Dienstbezeichnung ‚Bürgermeister‘, zuständig für das Rechtswesen und das Sozialdezernat der Stadt. Am 27.03.1933 wurde er zwangsweise aus seinem Amt entfernt.

Die Pogromnacht am 09.11.1938 bestätigte ihn in seiner Auffassung, dass die Parteigänger des neuen Staates nicht den Frieden, sondern Krieg und Verfolgung zum Ziel hatten. Dr. Heinrich Aull beendete kurz nach diesen fürchterlichen Ausschreitungen am 25.11.1938 sein Leben durch Erhängen.

Seiner Witwe Helene, die jüdische Vorfahren hatte und Mitglied der Bekennenden Kirche war, gelang es 1939 in letzter Minute auf abenteuerliche Weise, Nazi-Deutschland in Richtung China zu verlassen, wo sie Aufnahme bei ihrer Tochter Helene, ihrem Schwiegersohn, Dr. med. Heinz Brühl, und deren drei Kindern fand.

Ihre Tochter Helene Brühl war bereits 1933 mit ihrer Familie nach China emigriert, wo sie ihrem Leben in tiefer Depression und bedrängt durch heftigste amerikanische Bombenangriffe am 08.12.1944 selbst ein Ende setzte. Helene Aull übernahm fortan die Betreuung ihrer drei Enkelkinder und führte den Haushalt ihres Schwiegersohnes.

Ende 1948 gelang dem Brühl-/Aull’schen Familienverband mit Hilfe vieler Freunde – wieder in letzter Minute – die Ausreise aus dem inzwischen vom Bürgerkrieg geschüttelten China. Sie gelangten über Japan und Honolulu nach San Francisco und von dort nach St. Paul und Faribault, Minnesota, USA. Am 22. 12. 1961 ist Helene Aull dort verstorben.

Die Schwester von Dr. Heinrich Aull, Dr. Gertrud Aull, verheiratete Silberg, Jahrgang 1910, verließ 1935 Nazi-Deutschland in Richtung Österreich und emigrierte 1940 in die USA, wo sie in New York eine sehr renommierte Psychoanalytikerin wurde.

Sie starb dort 1993.

Herr Clemens Meyer-Aull, der Neffe des damaligen Offenbacher Bürgermeisters, Dr. Heinrich Ludwig Aull, informierte die Geschichtswerkstatt und stellte uns seine überaus interessante Familiengeschichte zur Verfügung. «


Klara Hohenwarter, geb. Rosenberg

Mainstraße 163

„Es gibt einen Gott zu strafen und zu rächen!“ Mit diesem Schiller-Zitat endet ein Brief von Klara Hohenwarter im Jahr 1942 an den Betriebsobmann der IG Farben Offenbach a.M. Es ist das verzweifelte Aufbegehren einer Frau, der der Raum zum Leben immer enger gemacht wurde. Hilflos musste sie mitansehen, wie ihr Mann Max wegen ihrer jüdischen Herkunft auf der Arbeit schikaniert und ihre Tochter in der Schule drangsaliert wurde. Zweimal versuchte sie, in den Tod zu fliehen. Sie musste mit ihrer Familie die Wohnung wechseln, um den täglichen Schikanen der Mitbewohner zu entgehen. Ihrem Mann wurde nach Jahrzehnten Betriebszugehörigkeit fristlos gekündigt. Die Familie verlor auch die neue Wohnung. Und 1944 wurde Klara im Zuge der

„Lösung der Mischehenfrage“ von der Gestapo in Darmstadt inhaftiert und am 9. Mai in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Der Lagerkommandant teilte Max Hohenwarter kurz und knapp mit: „Ihre Ehefrau […] ist am 11.12.1944 an den Folgen von Herzschwäche im hiesigen Krankenhaus verstorben. Die Leiche wurde im staatlichen Krematorium eingeäschert.“

Klara wurde am 26. Mai 1897 in Mühlbach in eine jüdische Familie hineingeboren. 1904, im Alter von knapp 7 Jahren, zog sie mit ihren Eltern und ihren sieben Geschwistern nach Offenbach. Nach Schule und Ausbildung arbeitete sie als Buchhalterin bei der Frankfurter Firma Dreyfuß & Moritz und verliebte sich in den Katholiken Max Hohenwarter. 1922 heirateten die beiden. Klara entschied sich, zum Katholizismus zu konvertieren. 1930 ließen Klara und Max ihre Tochter Ruth von Pfarrer Griesheimer in der Pfarrgemeinde St. Paul taufen. Und selbst im Staatspolizeigefängnis bewegte sie die Frage, wer wohl an „Maria Maienkönigin“ in St. Paul den Altar schmücken wird.

Max Hohenwarter
Max Hohenwarter

 Max wird später berichten, dass Klara die ganze Entwicklung gegen die Juden vorausgesehen habe. Sie sei auch von den Mitbürgern nicht mehr geachtet

worden und habe sich dies alles so zu Herzen genommen, dass sie schließlich an seelischen Depressionen litt. Am Tag nach den großen Maiaufmärschen 1933 schnitt sie sich die Pulsadern an beiden Handgelenken auf. Im Krankenhaus wurde festgehalten, sie habe sich sehr aufgeregt über politische Sachen und fürchte, ihr Mann würde seine Stellung verlieren.

Seit 1934 überzog die Gestapo die Familie mit ständigen Hausdurchsuchungen. Seine Kolleginnen und Kollegen, die sich nun „Gefolgschafts-mitglieder“ nannten, ließen nichts unversucht, Max Hohenwarter wegen seiner Liebe zu Klara aus seiner Arbeitsstelle zu verdrängen. 

Wiederholt versuchten sie, die Betriebsleitung dazu zu nötigen, das Arbeitsverhältnis mit Max zu lösen. 1937 schalteten sie sogar die NSDAP-Ortsgruppe Rohrmühle ein und warfen Max u.a. vor, er habe sie daran gehindert, während einer Arbeitspause eine Führerrede zu hören.

Die Betriebsleitung wies solche Vorwürfe immer wieder als absurd zurück: „Die Tatsache, dass H. jüdisch versippt ist, gibt keine Veranlassung, ihn von seinem Dienste […] zu entfernen oder sonstwie zu behelligen. Ein etwaiges Verlangen einzelner Gefolgschaftsmitglieder in dieser Richtung ist streng zurückzuweisen. Solange eine staatliche Stelle bzw. Gesetze nicht ausdrücklich die Beschäftigung jüdisch Versippter verbieten, sollte vonseiten der Firma nichts getan werden.“ Noch 1941 heißt es in einer Stellungnahme: Max Hohenwarter „ist fleißig, energisch, zuverlässig und einsatzbereit. […] Die Art seiner Tätigkeit [als Werkschutzleiter] bringt es mit sich, dass er Anfeindungen ausgesetzt ist. Zu seinen Pflichten gehört es eben, Unregelmäßigkeiten abzustellen oder solche höheren Orts zur Meldung zu bringen. […] H. hat sich bis jetzt im Dienste kein Versäumnis zuschulden kommen lassen. Ein solches ist auch für die Folge kaum zu erwarten.“ Dennoch verbot sie Ruth und Klara die übliche Teilnahme von Familienmitgliedern an Werksveranstaltungen und wies die Familie Anfang 1938 an, angesichts der Auseinandersetzungen zwischen den Mietparteien von der Mühlheimer Straße 30 in eine andere Betriebswohnung in der Mainstraße 163 umzuziehen.

Im November 1939 versuchte Klara ein zweites Mal, in den Tod zu flüchten. Die jahrelangen Schikanen hatten längst dazu geführt, dass sie „vollkommen zurückgezogen“ lebte, wie die Betriebsleitung schreibt. „Sie scheint die Straße nur noch ganz selten zu betreten.“ Und längst wurde Max auch von seinem Arbeitgeber nahegelegt, sich doch einfach von Klara scheiden zu lassen.

Auf Druck des Rüstungskommandos versetzte die IG Farben Max im Juli 1941 von dem Posten des Werkschutzleiters in das Lohnbüro. Im Januar 1942 folgte die Aufforderung, die firmeneigene Werkswohnung umgehend zu räumen. Max´ Widerspruch hielt die Betriebsleitung nun für „ausfallend, anmaßend und sogar drohend“, das Verhalten seiner Frau neuerdings für „maßlos arrogant und unverschämt“. Am 14. Februar folgte die fristlose Kündigung wegen „1. Widersetzlichkeit im Dienst, 2. Aussprechung versteckter Drohungen gegen Vorgesetzte, 3. unbotmäßiges Verhalten und 4. allgemein Gefährdung des Arbeitsfriedens.“ Ein Rechtsanwalt wurde mit der Zwangsräumung der Wohnung beauftragt.

Im August 1942 zogen Klara, Max und Ruth Hohenwarter in die Senefelderstr. 49. Dort hielt am 11.01.1944 um 14 Uhr ein Wagen der Gestapo und nahm Klara mit, die mit doppelseitiger Lungenentzündung im Bett lag. In einem ihrer letzten Briefe aus dem Staatspolizeigefängnis in Darmstadt an „Maxl“ und „mein liebes Ruthlein“ heißt es: „Mein liebes Kind! Oft denke und bete ich für Dich, dass Du Deinen lieben Herrgott nicht vergisst, denn Kindergebet dringt durch die Wolken und Du, mein lieber Maxl, vergisst mich bestimmt nicht im Gebet.“ «


Theodor Leopold Burckhardt
Fanny Burckhardt, geb. Strauß

Marienstraße 26

Fanny Burckhardt, geb. am 22.06.1877 in Helfersdorf, und Theodor Leopold Burckhardt, geb. 29.11.1873 in Karlsruhe, lebten seit 1903 in Offenbach. Fanny war mosaischen Glaubens, Theodor evangelisch. Sie hatten 5 Söhne, die – mit Ausnahme des ältesten – in Offenbach geboren wurden.

Seit 1912 lebten die Eheleute in der Moltkestraße 26 (heute: Marienstraße). Einer der Söhne verstarb schon im Kindesalter. Über den Verbleib eines weiteren Sohnes ist nichts bekannt. Die drei übrigen Söhne, die schon vor 1933 das Elternhaus verlassen hatten, konnten emigrieren. Die Eltern aber blieben in Offenbach. Häufig zögerte die ältere Generation oder war nicht mehr imstande zu emigrieren. Wie es sich im Detail bei der Familie Burckhardt darstellt, lässt sich nicht rekonstruieren.

1984 erhielt im Zuge der Erforschung der Geschichte der Offenbacher jüdischen Gemeinde der damalige Oberbürgermeister einen Brief von Leopold Burckhardt, dem ältesten der Brüder, der bis 1939 in Stuttgart lebte und von dort nach New York emigrieren konnte.

 In seinem Brief berichtet er:

 „Meine unvergessliche Mutter, die ihre ganze Lebensaufgabe darin sah, für das Wohlergehen ihrer Buben zu sorgen, wurde eines Tages im Jahre 1943 in ihrer Wohnung Moltkestraße 26 von Nazibanditen abgeholt und in das Konzentrationslager Auschwitz auf nimmer Wiedersehen verschickt. Über das Schweizer Konsulat erfuhr ich dann, dass meine Mutter dort „gestorben“ ist. ( … ) Nach der Entführung meiner Mutter ist wenige Wochen später mein Vater, der kein Jude war, sondern der evangelischen Glaubensgemeinschaft angehörte, freiwillig durch Selbstmord nach über 40- jähriger Ehe aus dem Leben geschieden“.

Fanny Burckhardt wurde am 28.06.1943 in Auschwitz ermordet. «

Meldekarte von Theodor L. Burckhardt
Meldekarte von Theodor L. Burckhardt

Adolf Elias Schüratzki

Marienstraße 52

Adolf Schüratzki wurde am 22. September 1898 in Dresden als drittes Kind des jüdischen „Reisenden“ Gustav Schüratzki (geb. 15.2.1857 in Russland) und seiner zweiten Ehefrau Johanna geb. Mannheimer (geb. 17.9.1871 in Posen) geboren. Seine älteren Geschwister Bernhard und Helene wurden 1895 und 1897 in Leipzig bzw. Dresden geboren.

Im Jahr 1911 zog die Familie Schüratzki von Darmstadt nach Offenbach in die Taunustraße 30, wo Gustav Schüratzki im Jahr 1914 im Alter von 57 Jahren verstarb.

Adolf Schüratzki, der bis 1927 mit seiner Mutter und Schwester Helene in der Taunusstraße 30 lebte, war – wie der Vater – beruflich als „Reisender“ unterwegs. Am 26. November 1927 heiratete er die evangelische Christin Elisabeth Neun, die am 2. Juli 1904 in Offenbach geboren war. Sie lebten zunächst in der Hohestraße 36, dann in der Wasserhofstraße 142 und ab 1934 bis 1943 in der Marienstraße 52, die damals Moltkestraße hieß.

Während der NS-Zeit erlebte Adolf Schüratzki mit seiner Frau dort die Anfeindungen der „arischen“ Mitbewohner des Hauses. Denn laut NS-Ideologie lebten sie in einer von den Nazis verpönten sogenannten „Mischehe“. Durch einen gewissen Schutz des Mischehen-Status entging Adolf Schüratzki im September 1942 noch der Deportation.

Meldekarte von Adolf E. Schüratzki
Meldekarte von Adolf E. Schüratzki

Jedoch seine Mutter Johanna Schüratzki, wurde am 27. September 1942 über Darmstadt in das Lager Theresienstadt deportiert und starb dort bereits am 31. Dezember 1942. Es handelte sich um einen Transport von überwiegend älteren Menschen, denen man ein gutes Leben im tschechischen Ort Theresienstadt versprochen hatte.

 Seine Schwester Helene, sein Bruder Bernhard mit Ehefrau Minna und Tochter Ruth gehörten zu den Offenbacher Juden, die am September 1942 über Darmstadt nach Polen deportiert wurden.

Am 1. April 1943 wurde dann Adolf Schüratzki selbst Opfer der verschärften Anordnung zur „Beseitigung der jüdischen Partner in Mischehen“. Er saß in Offenbach und anschließend in Darmstadt im Gefängnis, bevor er im Juni 1943 nach Auschwitz verschleppt und dort laut Gedenkbuch am 26. August 1943 ermordet wurde. «


 

Irene Abraham

Mittelseestraße 31

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Irene Abraham wurde am 31.8.1887 in Oppenheim geboren. In die Mittelseestraße 31 zog sie am 16.04. 1937. Sie war ledig.

Das Haus Mittelseestr. 31 gehörte der Familie Klauber. Ob hier auch nicht-jüdische Bewohner lebten, ist nicht bekannt. Im Haus wohnte außer den Hausbesitzern das jüdische Ehepaar Schiller. 1937 zog Frau Irene Abraham ein, 1939 kam die Witwe Anna Engländer hinzu. Im August 1941 bezog außerdem das Ehepaar Mühlstein mit ihrer Pflegetochter, Betty Sichel, das Haus.

Irene Abraham gehörte zu den jüdischen Menschen, die über Offenbach und Darmstadt am 30. September 1942 deportiert wurden. Zu diesem Zeitpunkt war sie 55 Jahre alt. Die Deportation erfolgte von Darmstadt aus in das Konzentrationslager Lublin-Majdanek. Dort ist sie vermutlich verstorben. Ihre Spur verliert sich.

In ihrer Meldekarte steht nur: „1. August 1941 auf Reisen“. «


Anna Engländer, geb. Hirsch

Mittelseestraße 31

Auch die Witwe Anna Engländer wohnte ab 02.02.1939 in der Mittelseestr. 31.

Sie wurde am 6. Mai 1871 in Landeck in Westpreußen geboren und war 1904 nach Offenbach gekommen. Ihr Ehemann Jakob, ebenfalls Jahrgang 1871, starb bereits im Jahr 1926. Mit ihm hat sie in Offenbach häufig die Wohnungen gewechselt.

Im Alter von 71 Jahren ist sie laut der Gestapo-Liste am 27. September 1942 nach Theresienstadt deportiert worden. Auf ihrer Meldekarte ist eingetragen: „1. Juni 1942: auf Reisen, unbekannt“.

In den Gedenkbüchern finden wir die Eintragung, dass sie am 15.01.1943 im KZ Theresienstadt starb. «


Isidor Klauber
Berta Klauber, geb. Drucker

Mittelseestraße 31

Aufbau Zeitung New York / USA
Aufbau Zeitung New York / USA

Isidor Klauber, geb. am 21.05.1870 in Pilsen, lebte seit 1900 in Offenbach und war als Kaufmann tätig. Er heiratete am 01.10.1900 Berta Drucker, die am 01.09.1869 in Offenbach geboren wurde, und zog mit ihr in die Mittelseestraße 31. Im Adressbuch der Stadt Offenbach ist Isidor Klauber als Eigentümer des Hauses eingetragen. Am 04.08.1901 wurde ihr Sohn Ernst Kurt geboren.

Ernst Klauber war wie sein Vater in Offenbach auch als Kaufmann tätig. Er heiratete Erna Hirsch, die am 15.01.1901 in Lehmen geboren wurde, und lebte mit ihr ebenfalls in der Mittelseestraße 31.

Während der NS-Zeit erlebte die Familie Klauber die Diskriminierung und Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung in Offenbach. Mehrere Jüdinnen und Juden, die ab 1937 ihre Wohnungen in „arischen“ Häusern verlassen mussten, fanden Zuflucht in dem Haus der jüdischen Familie Klauber in der Mittelseestraße 31.

Ernst Klauber und seine Frau Erna konnten der weiteren Entrechtung durch die Nazis nach den Pogromen im November 1938 entgehen. Sie hatten die Möglichkeit, im Juli bzw. August 1939 nach England zu emigrieren und von dort in die USA.

Aufbau Zeitung New York / USA
Aufbau Zeitung New York / USA

Die Eltern blieben bis 1942 in der Mittelseestraße 31 wohnen. Laut Meldekarte haben sich Isidor und Berta Klauber am 17.10.1942 „abgemeldet ohne Angabe des neuen Wohnsitzes“.

 Aus der Deportationsliste der Gestapo ist jedoch zu entnehmen, dass sie mit vielen anderen Offenbacher Jüdinnen und Juden am 27.09.1942 über Darmstadt nach Theresienstadt deportiert wurden. Im Gedenkbuch, in dem die Opfer des Holocaust aufgeführt sind, ist für Theresienstadt nur der Name Berta Klauber vermerkt. Als Todesdatum ist der 11. Oktober 1942 vermerkt. In der Todesanzeige, die der Sohn Ernst am 06.08.1948 in der jüdischen Zeitung „Der Aufbau“ in New York veröffentlichte, ist der März 1943 als Todesmonat seiner Mutter angegeben. Ernst Klauber nennt auch seinen Vater Isidor als trauernden Hinterbliebenen, der sich noch in Theresienstadt befand.

Isidor Klauber konnte am 05.02.1945 mit 1226 Jüdinnen und Juden in einem Sonderzug das KZ Theresienstadt verlassen und in der Schweiz Aufnahme finden. Reichsführer Himmler versuchte, diese Rettungsaktion als Verhandlungsmasse den Alliierten gegenüber einzusetzen. Isidor Klauber blieb in der Schweiz und erlebte 1950 in Vevey seinen achtzigsten Geburtstag, wie aus der Anzeige seines Sohnes im „Aufbau“ hervorgeht. «


Fritz Mühlstein

Mittelseestraße 31

Die Brüder Fritz und Ludwig Mühlstein hatten in Offenbach ein Geschäft für Souvenirartikel. Sie produzierten unter anderem Reiseandenken aus Holz, später stellten sie auch Postkarten her. Die Fabrikation und auch das Wohnhaus der Mühlsteins war in der Ludwigstr. 78.

Fritz Mühlstein (geb.16.12.1869 Teplitz) hat am 19.5.1899 Paula Stiefel (geb.1.5.1876 Frankfurt) geheiratet. Ihre Tochter Gertrude wurde am 30. April 1900 in Offenbach geboren. Nach ihrer Eheschließung mit Fritz Sichel wohnte Gertrud in Frankfurt, wo ihre Tochter Thea Berta am 11. März 1926 geboren ist. Von August bis Dezember 1935 haben die Großeltern Fritz und Paula Mühlstein das neunjährige Mädchen, Betty genannt, bei sich in der Ludwigstraße aufgenommen. Danach lebte Betty drei Jahre in Fürstenwalde. Im Februar 1939 kam sie zu ihren Großeltern nach Offenbach zurück.

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Nach einem Artikel in der Offenbach-Post vom 28.Oktober 1982 wurde der Name der Firma Mühlstein 1938 mit einem roten Stift aus dem Handelsregister gestrichen. 1939/40 stand der Name der Firma zwar noch im Offenbacher Adressbuch, doch sie durfte nicht mehr produzieren und Handel treiben.

 Nach dem Verlust der Firma und der Wohnung in der Ludwigstraße 78 zog das Ehepaar Paula und Fritz Mühlstein mit dem Mädchen Betty Sichel am 4. August 1941 in das „Judenhaus“ in der Mittelseestr. 31.

Gut ein Jahr später, am 27. September 1942, wurden das Ehepaar Mühlstein, Betty Sichel und weitere Menschen aus der Mittelseestr. 31 abgeholt und in das KZ Theresienstadt deportiert.

 Nach Feststellung der DRK-Suchstelle in Arolsen starb Fritz Mühlstein am 29. Januar 1943. Das weitere Schicksal seiner Frau ist unklar. «


Thea Berta Sichel

Mittelseestraße 31

Thea Berta Sichel wurde am 11. März 1926 als Tochter der jüdischen Eltern Fritz und Gertrude Sichel, geb Mühlstein, in Frankfurt geboren. Aus unbekannten Gründen lebte das neunjährige Mädchen, Betty genannt, 1935 für kurze Zeit bei den Großeltern Fritz und Paula Mühlstein in Offenbach in der Ludwigstraße 78. Nach einem dreijährigen Aufenthalt in Fürstenwalde kehrte sie nach Offenbach zurück und wohnte ab 1939 wieder mit den Großeltern zusammen in der Ludwigstraße 78 und ab August 1941 in der Mittelseestraße 31.

Betty Sichel war 16 Jahre alt, als sie am 27. September 1942 mit ihren Großeltern Fritz und Paula Mühlstein, geb. Stiefel, von den Nazis abgeholt und in das KZ Theresienstadt deportiert wurde.

Laut der Deportationsliste war Betty unter den alten und gebrechlichen Offenbacher Deportierten die einzige Person, die in ihrem Alter nach Theresienstadt transportiert wurde. In ihrer Meldekarte wird für diesen Vorgang die falsche Notiz festgehalten: „9. Oktober 1942 unbekannt verzogen“.

Betty Sichel blieb nicht in Theresienstadt, sondern wurde von dort in das KZ Auschwitz transportiert. Wann das geschah und wann sie dort ermordet wurde, ist nicht genau bekannt.

Im Gedenkbuch, in dem die Holocaust-Opfer verzeichnet sind, steht: „Thea Betti Sichel – Offenbach – geb. 11. März 1926 – für tot erklärt – Auschwitz“.

In ihrer Meldekarte steht als letzte Notiz der Beschluss des Amtsgerichts Offenbach vom 19. November 1957: „Obengenannte wird für tot erklärt. Als Zeitpunkt des Todes wird der Oktober 1944 festgestellt. Der Beschluss ist rechtskräftig seit dem 4.2.1958.“ «

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Max Schiller
Johanna Schiller, geb. Eichel

Mittelseestraße 31

Max Schiller wurde am 26. Mai 1890 in Plaschken im Kreis Tilsit geboren. Er lebte bis 1914 in Berlin.

Johanna Eichel, am 11.05.1903 in Offenbach geboren, war seine zweite Ehefrau. Sie heirateten am 29.9.1937 in Frankfurt.

Max Schiller wohnte schon seit dem Ende des 1. Weltkriegs in der Mittelseestraße 31. Am 10. Dezember 1918 kam er aus dem Krieg zurück. Bei Max Schiller steht als Beruf in der Meldekarte: Kaufmann.

Als die Gestapo das jüdische Ehepaar im September 1942 zur Sammelstelle neben der Synagoge bestellte, war Max Schiller 52 und Johanna Schiller 39 Jahre alt.

Beide Namen sind in dem Gedenkbuch zu finden. Hier steht bei beiden: „verschollen in Polen“. «


Rudolf Andorn
Florentine und Jakob Andorn

Mittelseestraße 34

In der Mittelseestr. 34 lebte bis Anfang 1939 ausschließlich die Eigentümerfamilie Andorn. Sie führte im Erdgeschoss ihr Geschäft für Schneiderbedarf. In ihr Haus nahmen sie später Verwandte und andere Offenbacher Juden auf, die ihre eigene Wohnung verlassen mussten. So wohnten hier das Ehepaar Alwine und Isaak Alexander und Sofie Feldmeier, außerdem Elisabeth Baum, die Schwester von Frau Andorn, ihr Mann Richard und die dreiköpfige Familie Wolfstein.

Rudolf Andorn lebte mit seinen Eltern Florentine und Jakob Andorn, seiner Großmutter Karoline Andorn und seinen vier Schwestern in der Mittelseestr. 34 in Offenbach. Er war das „Nesthäkchen“, sehr spät hatte die Familie doch noch einen Sohn bekommen. Seine vier Schwestern Irene, Else, Lieselotte und Margot waren älter als er.

Im Erdgeschoß befand sich damals das Geschäft für Schneiderbedarf von Florentine Andorn. Augenzeuginnen berichteten, dass Anhänger der Nazis ab 1933 versuchten, sie mit antisemitischen Parolen daran zu hinderten, in dem Geschäft von Florentine Andorn zu kaufen. Aus Angst hielten die meisten sich daran.

Voller Sorge erlebte die Familie Andorn die Pogrome, Zerstörungen und Plünderungen während der Pogromnacht am 9./10. November 1938. Auch sie und ihr Haus waren davon betroffen. Kurz darauf schickten die Eltern ihre fünf Kinder ins Ausland, nach Belgien. Doch der Junge Rudolf kam zu seinen Eltern zurück, seine Schwestern waren mit seiner Betreuung überfordert. Die vier Mädchen konnten in Belgien im Untergrund die Nazizeit überleben.

Die folgende Zeit war geprägt von der Angst und vielen verzweifelten und erfolglosen Versuchen, das Land mit einem Visum verlassen zu können.

Die Großmutter von Rudolf Andorn, Karoline Andorn, ist Ende Januar 1939 zu ihrer Tochter Ida Wolf in das Nachbarhaus, Hospitalstr. 1 gezogen, um den vielen jüdischen Menschen Platz zu machen, die seit 1939 zusätzlich hier wohnten.

Karoline Andorn wurde im Alter von 83 Jahren zusammen mit anderen Nachbarn am 27. September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Rudolf Andorn und seine Eltern wurden drei Tage später zusammen mit anderen Mitbewohnern zur Sammelstelle an der Synagoge in der Goethestraße bestellt. Ihre Deportation erfolgte über Darmstadt in das Lager Treblinka. In den Akten steht nur: „verschollen in Polen“. Rudolf Andorn wurde 15 Jahre alt. «

Ausweise von Florentine und Rudolf Andorn (Quelle: Buch von H.R.Paucker: „Das mindere Leid“)
Ausweise von Florentine und Rudolf Andorn (Quelle: Buch von H.R.Paucker: „Das mindere Leid“)

Isaak Alexander
Alwine Alexander, geb. Bleitmann

Mittelseestraße 34

Isaak Alexander wurde am 1. Januar 1875 in Illingen geboren.

Alwine Alexander, geborene Bleitmann, wurde am 21. Januar 1881 in Dillkirchen geboren. Geheiratet hat das jüdische Paar am 29. Juni 1904 in Illkirchen.

Isaak Alexander und seine Frau Alwine sind erst im November 1940 in die Mittelseestr.34 gezogen. Besitzerin des großen Hauses, in dem seit dem Ende der 30er Jahre viele jüdische Familien lebten, war die Familie Andorn.

Das Ehepaar Alexander wurde zusammen mit vielen anderen am 27. September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Auch zahlreiche weitere Menschen aus diesem Haus mussten sich zuvor an der Sammelstelle neben der Synagoge in der Kaiserstraße einfinden.

Dann verliert sich ihre Spur. Sie werden später für tot erklärt und das Todesdatum in Theresienstadt auf den 15. März 1943 festgesetzt. Sie wurden danach 61 und 67 Jahre alt.


Richard Baum
Elisabeth Baum, geb. Isaak

Mittelseestraße 34

Quelle: Buch von H.R. Paucker: „Das mindere Leid“
Quelle: Buch von H.R. Paucker: „Das mindere Leid“

Elisabeth Baum, geb. am 10. Februar 1887, war eine Schwester von Florentine Andorn und verheiratet mit Richard Baum, geb. am 16. November 1873.

Das Ehepaar ist im Mai 1939 in das Haus der Familie Andorn in der Mittelseestr. 34 gezogen.

Über das Ehepaar ist wenig bekannt. Sie wurden zur gleichen Zeit, wie viele der älteren Juden aus den Nachbarhäusern und dem Stadtgebiet, am 27.09.1942 von Offenbach über Darmstadt nach Theresien- stadt gebracht. Sie waren 55 und 58 Jahre alt.

Für Richard Baum wird später der 26. Januar 1943 und für Elisabeth Baum der 8. Mai 1945 als Todestag festgesetzt. «


Sofie Feldmeier, geb. Hahn

Mittelseestraße 34

Sofie Hahn, die am 15. September 1869 in Frankfurt geboren wurde, heiratete am 20.12.1896 den Offenbacher Lederwarenfabrikanten Rudolf Friedrich Feldmeier, der am 27. November 1864 als Sohn jüdischer Eltern in Offenbach geboren wurde.

Sofie Feldmeier zog zu ihrem Ehemann nach Offenbach in die Bernardstraße 37. Dort wurden ihre beide Töchter, Erna am 27.7.1899 und Lotte am 19.4.1907, geboren . Die Familie gehörte der jüdischen Gemeinde an. Erna studierte in München und Freiburg Medizin und war danach als Ärztin in Offenbach tätig. Lotte arbeitete als Kontoristin im Unternehmen des Vaters. Laut Adressbuch war Rudolf Feldmeier 1929 im „Vorstand der Lederwarenfabrik Feldmeier & Bock“. Unter dem NS-Regime wurde der jüdische Eigentümer zur „Arisierung“ gedrängt und musste die Firma und das Wohnhaus in der Bernardstraße 37 aufgeben. Rudolf Feldmeier starb im Jahr 1934 und erlebte die weiter zunehmende Entrechtung und Verfolgung durch die Nationalsozialisten nicht mehr, die die übrigen Familienmitglieder traf. Erna Feldmeier verlor nach den Novemberpogromen ihre Lizenz als Röntgenärztin. Sie hatte aber im Mai 1939 die Möglichkeit, nach England zu emigrieren.

Die Mutter Sofie Feldmeier musste mit ihrer Tochter Lotte im November 1939 die Bernardstraße verlassen und zog mit ihr in das Judenhaus in der Luisenstraße 86.

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Laut der Meldekarte „verzogen“ die Eltern Rudolf und Sofie Feldmeier am 1.7.1942 „nach unbekannt“ – offensichtlich fingiert. In Wirklichkeit war Rudolf Feldmeier schon am 30.11.1934 verstorben, wie aus der Eintragung im Sterberegister hervorgeht. Sein Tod wurde aber nicht, wie sonst üblich, in der Meldekarte vermerkt. In der von der Gestapo angefertigten Deportationsliste vom 27. September 1942 wurde Sofie Feldmeier als Witwe aufgeführt und als Wohnsitz die Mittelseestraße 34 angegeben, wo viele Juden und Jüdinnen untergebracht waren. Wann sie von der Luisenstraße dorthin umzog, ist nicht bekannt.

Sofie Feldmeier wurde am 27. September 1942 zusammen mit anderen Bewohnerinnen und Bewohnern des Hauses über Darmstadt nach Theresienstadt deportiert. Im KZ lebte sie nur noch 6 Wochen und ist dort am 13. November 1942 im Alter von 73 Jahren umgekommen.

Laut Meldekarte wohnte Lotte Feldmeier weiterhin in der Luisenstraße 86 und soll am 1. August 1942 „auf Reisen“ gegangen sein. In Wahrheit wurde sie laut Deportationsliste am 30. September 1942 von Offenbach über Darmstadt in das Generalgouvernement deportiert. Als Zeitpunkt ihres Todes wurde der 15.11.1942 festgesetzt. «


Dr. Leo Wolfstein
Paula Wolfstein, geb. Schwabe
Ruth Wolfstein

Mittelseestraße 34

Paula Schwabe, geb. am 1.4.1896 in Kassel, und Leo Wolfstein, geb. am 31.1.1882 in Bochum, heirateten am 26. Juni 1918 in Kassel. Dort wurden auch ihre zwei Kinder geboren. Heinz am 21.3.1919 und Ruth am 15.4.1920. Die Familie gehörte der jüdischen Gemeinde an.

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Bereits im April 1919 hatte sich Dr. Leo Wolfstein in Offenbach als Tierarzt niedergelassen und war zusammen mit seinem jüdischen Kollegen Dr. Strauss im Offenbacher Schlachthof als Tierarzt tätig. Die Familie Wolfstein lebte in der Bleichstraße 37 in Offenbach. Wie aus der Zeitung „Offenbacher Nachrichten“ hervorgeht, wurden Dr. Wolfstein und Dr. Strauß schon kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten als amtliche Tierärzte ihres Dienstes enthoben. Als selbständiger Tierarzt konnte Dr. Wolfstein aber noch weiter praktizieren.

Nach der Entlassung aus dem öffentlichen Dienst zog Dr. Wolfstein laut Adressbuch mit seiner Familie in das Haus Mittelseestraße 40, das seinem verstorbenen Vater, dem Kaufmann Josef Wolfstein und seiner Ehefrau Charlotte geb. Weinberg gehörte.

Wegen der zunehmenden Entrechtung durch das NS-Regime wanderte die Tochter Ruth Wolfstein 1937 im Alter von 17 Jahren nach Italien aus. Im Gedenkbuch des Bundesarchives ist ihre Emigration nach San Marino vermerkt.

Die übrige Familie blieb in Offenbach und erlebte dort im November 1938 die Pogrome gegen die Juden. Heinz Wolfstein hatte das Glück, Anfang 1939 in die USA emigrieren zu können. Im September 1941 zog das Ehepaar Wolfstein in das Haus der Familie Andorn in der Mittelseestraße 34 um. Laut einer fingierten Eintragung in der Meldekarte sind beide im Oktober 1942 nach „unbekannt verreist“. In Wahrheit heißt das, dass Dr. Leo Wolfstein und seine Frau Paula am 30. September 1942 von Offenbach über Darmstadt nach Polen deportiert worden sind, denn beide sind im Gedenkbuch als „verschollen in Polen“ vermerkt. Über die Tochter Ruth steht im Gedenkbuch: „verschollen KZ Auschwitz“. Sie ist nicht in der Deportationsliste von Offenbach erfasst und wurde laut dem Gedenkbuch des Bundesarchivs 1943 wahrscheinlich von Italien aus nach Auschwitz deportiert. «

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Therese Kessler, geb. Jochum
Rosa Kessler

Niedergasse 41

Therese Jochum brachte am 20.02.1939 im Offenbacher Stadtkrankenhaus ihre Tochter Rosa zur Welt. Aufgrund der Ausweisung von „Zigeunern“ aus dem linksrheinischen Gebiet war sie aus Aachen nach Offenbach-Bürgel gekommen, wo sie vermutlich bei Verwandten namens Jochum in der Niedergasse 41 eine Unterkunft fand. Die ledige Kurzwarenhändlerin Therese war keine Offenbacherin, sondern wurde am 14.01.1913 als Tochter von Elisabeth Delis und Hermann Julius Jochum in Steinbach im Odenwald geboren.

Die Geburt von Theresas Tochter Rosa wurde vom Schleifer Josef Kessler, geb. am 06.01.1915 in Düsseldorf, beim Offenbacher Standesamt mündlich angezeigt. Wie Therese Jochum war er vorher ebenfalls in Aachen gemeldet und wies sich in Offenbach durch seinen Wandergewerbeschein aus. Josef Kessler ist von Offenbach weiter gezogen und ließ sich Ende 1939/ Anfang 1940 als Textilwarenhändler in Halle/Saale, Karolinger Straße 96, nieder. Therese Jochum hat dort mit ihm am 25.11.1940 die Ehe geschlossen.

An diesem Tag hat Joseph auch die leibliche Vaterschaft des Kindes Rosa anerkannt. Die Familie blieb in Halle wohnen. Nach dem „Festsetzungserlass“ der Nationalsozialisten vom Oktober 1939 durften die Sinti und Roma ihren Wohnort nicht mehr verlassen. Überall im Reich waren auf Veranlassung der „Rassehygienischen Forschungsstelle“ in Berlin die Behörden angewiesen, die „Zigeuner“ erkennungsdienstlich zu behandeln. 1940 wurde den Eheleuten Kessler die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. Der neue Ausweis wurde mit dem Vermerk „staatenlos“ versehen. Therese Kessler wurde als erste der Familie am 5.3.1943 von der Kripo in Halle festgenommen, in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau eingeliefert und mit der Häftlingsnummer Z1541 gekennzeichnet. Als Grund der Inhaftierung wurde vermerkt: „Asoziale arbeitsscheue Zigeune- rin“. Josef Kessler wurde am 8.3.1943 in das „Zigeunerlager“ KZ Auschwitz-Birkenau deportiert und mit der Häftlings-Nr. Z 1358 versehen. Er ist laut KZ-Eintragung im Lager am 27.12.1943 „verstorben“. Die Tochter Rosa wurde am 15.10.1943 in das KZ Auschwitz-Birkenau eingeliefert. Als Deportationsgrund wurde für das fünfjährige Kind angegeben: „Zigeunerin“. Unter der Häftlings-Nr. Z 9487 kam Rosa am 13.02.1944 im „Zigeunerlager“ ums Leben.

Als die SS wegen des Vorrückens der sowjetischen Armee die Auflösung des „Zigeunerlagers“ beschloss, wurde die noch arbeitsfähige Therese Kessler am 19.04.1944 in das KZ Ravensbrück überstellt und dort als Zwangsarbeiterin geführt. Laut Offenbacher Meldekarte überlebte Therese Kessler die unmenschlichen Bedingungen im KZ, kam nach Offenbach-Bürgel zurück und fand dort Zuflucht bei Verwandten. Im Juni 1947 heiratete Therese Kessler den Händler Josef Petermann, ebenfalls KZ-Häftling, geb. am 07.04.1905 in Hannover. Sie wohnte mit ihm in der Gerberstraße 43 bis zum Jahr 1954 und zog dann in die Mühlheimer Straße. «


Salomon Reiss
Lilli Reiss, geb. Löwenstein
Selma, Hertha, Irene u. Gertrude Reiss

Offenbacher Straße 7

Salomon Reiss wurde am 15.02.1882 in der Offenbacher Straße 8 (heute Bürgerplatz 15) in Bürgel als Sohn von Markus Reiss, Werkführer, und dessen Ehefrau Rebekka Reiss, geb. Meier, geboren. Am 24.02.1906 heiratete er Lilli Löwenstein, geb. am 26.10.1883 in Offenbach. Im gleichen Jahr meldete er unter seiner Geburtsadresse ein Gewerbe als Metzger an.

Am 24. Juli 1918 zog Salomon Reiss mit seinen inzwischen 4 Töchtern

Selma, geb. am 15.01.1907, Verkäuferin, Hertha, geb. am 21.03.1908, Verkäuferin,

Irene, geb. am 24.09.1909, Hausangestellte, Gertrude, geb. am 15.12.1913,

in das Haus seiner Eltern in der heutigen Offenbacher Straße 7 und führte dort seine Metzgerei weiter. Schon vor der Pogromnacht 1938 erlebte die ganze Familie wiederholt Anfeindungen und Übergriffe der Nationalsozialisten.

Am 27.09.1942 wurden die Eltern Salomon und Lilli Reiss aus der Offenbacher Straße abgeholt und über Darmstadt in das KZ Theresienstadt deportiert. Auf der Meldekarte wurde vermerkt: „10.10.1942 auf Reisen“.

Laut Gedenkbuch „Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-45“ ist Salomon Reiss am 06.07.1943 im KZ Theresienstadt verstorben. Lilli Reiss ist laut Eintrag im Gedenkbuch „im KZ Auschwitz verschollen “.

Die beiden jüngeren Töchter Irene und Gertrude wurden am 30. September 1942, wenige Tage nach der Deportation ihrer Eltern, abgeholt und nach Polen verschleppt. Für beide ist im Gedenkbuch vermerkt: „verschollen in Polen“.

Die beiden älteren Töchter Selma und Hertha lebten seit 1940 nicht mehr in Offenbach, sondern in Frankfurt in der Staufenstraße 31. Hertha Reiss zog 1941 nach Berlin, wo sie zuletzt in der Kommandantenstraße 58/59 gemeldet war. Möglicherweise ist Selma zu ihrer Schwester nach Berlin gezogen, denn laut Gedenkbuch wurden sie am 03.03.1943 gemeinsam von Berlin nach Auschwitz deportiert. Für beide wurde vom Amtsgericht der 8.5.1945 als Todestag festgesetzt. «

Seit 2021: Stolperstein-Schwelle am Ort der ehemaligen Synagoge in der Bürgerstraße, OF-Bürgel
Seit 2021: Stolperstein-Schwelle am Ort der ehemaligen Synagoge in der Bürgerstraße, OF-Bürgel

Adam Pfeifer

Philipp-Reiss-Straße 23

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Der Bieberer Adam Pfeifer wurde am 25. April 1902 in eine sozialdemokratische Familie hineingeboren. Auch seine Frau Anna, geb. Sannwald, entstammte einer SPD- Familie.

Der gelernte Schriftsetzer arbeitete in der Frankfurter Stempel AG, zuletzt als Betriebsratsvorsitzender. Es heißt, der aktive Gewerkschafter habe sich im Betrieb energisch für die Interessen seiner Kollegen eingesetzt.

Der Hundeliebhaber war ein leidenschaftlicher, manchmal risikobereiter, Motorradfahrer. Im Rad- und Kraftfahrerbund „Solidarität“, einem traditionsreichen Verein der Arbeiterbewegung, war er Mitglied. Politisch engagierte er sich in der Bieberer SPD und im Reichsbanner „Schwarz-Rot-Gold“, dem Schutzbund der Weimarer Republik.

Wegen seiner politischen Aktivität schleppten ihn die Nazis 1933 in das KZ Osthofen. Das war ein frühes Lager in der Nähe von Worms, in dem 1933 und 1934 viele Offenbacher eingesperrt waren.

1936 verhaftete die Gestapo ihn und seinen Bruder Ludwig wegen Verteilung von SPD-Flugblättern. Des Hochverrats angeklagt, hat sie das Oberlandgericht in Darmstadt schließlich zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt und als „wehrunwürdig“ eingestuft.

1943 zog die Wehrmacht die Brüder zum Strafbataillon 999 ein. In dieses und ähnliche Bataillone wurden viele Menschen, besonders politische Gegner der Nazis, nach der Verbüßung ihrer Haftstrafe gezwungen. Im Lager auf dem Heuberg auf der Schwäbischen Alb erhielten sie eine Kurzausbildung in der 6. Artillerie-Ausbildungs-Batterie. Im Herbst 1943 kam Adam Pfeifer vor dem Fronteinsatz in Afrika noch einmal zu einem Kurzurlaub nach Bieber. Ein Wehrmachtsfahrschein vom September 1943 war sein letztes Lebenszeichen. Vermutlich fiel er im Januar 1945. Offiziell galt er von da an als vermisst.

Am 10. November 1945 wurde er für tot erklärt.

Sein Bruder Ludwig geriet in Gefangenschaft und kehrte 1946 nach Offenbach zurück. «


Dr. Julius Wolf

Poststraße 8

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Dr. Julius Wolf wurde am 28. Oktober 1868 in Bürgel geboren. Sein Vater trug den Namen Moses Wolf.

Zunächst war Dr. Julius Wolf als Arzt in Obertshausen tätig. Er diente als Offizier mit dem Dienstgrad Sanitätsrat im Ersten Weltkrieg und er war ledig.

 Das Porträt zeigt Dr. Julius Wolf in der Offiziersuniform des Ersten Weltkrieges.

 Nach dem Krieg suchte der Gemeinderat von Bieber einen zweiten Arzt. Zuvor gab es mit Dr. Bachert nur einen Arzt für die fast 5.000 Einwohner. Im Jahr 1919 grassierte die „Spanische Grippe“ und ein zweiter Arzt war dringend erforderlich.

Nach der Meldekartei zog Dr. Wolf am 30.12.1919 nach Bieber. Seine Praxis hatte er im Haus Eisenbahnstraße 8. Seit der Eingemeindung Biebers in Offenbach hieß sie Poststraße. Im selben Haus befand sich auch seine Wohnung.

In den Adressbüchern der Jahre 1922/23, 1925, 1927, 1929 und 1931 ist Dr. Julius Wolf als praktischer Arzt aufgeführt. Als Sprechstunden ist 4-6 Uhr angegeben. Im Erdgeschoss befand sich das Postamt von Bieber.

Zu den Hausbesuchen bei seinen Patienten ließ Dr. Wolf sich von seinem Nachbarn Götz in einer Kutsche fahren.

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Der weißhaarige Dr. Wolf mit seinem Spitzbart ist vielen älteren Bieberern lange in Erinnerung geblieben. Zwei seiner Patientinnen aus Kindertagen konnten an der Stolpersteinverlegung im Oktober 2019 teilnehmen und von ihren Erinnerungen berichten.

Dass er im Ersten Weltkrieg als deutscher Offizier Dienst getan hatte, rettete Dr. Wolf ab 1933 nicht vor Diskriminierungen durch die Nationalsozialisten. Als Jude konnte er seine Praxis nicht mehr frei ausüben.

Nach Einnahme einer Überdosis von Tabletten ist Dr. Wolf 68-jährig am 27. November 1943 im Offenbacher St. Josefsheim verstorben. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Steinheim bestattet.

Ihm soll es besonders nah gegangen sein, dass sein Einsatz im 1. Weltkrieg ihn nicht vor den Angriffen der Nationalsozialisten schützte. «


Willy Eisenreich

Schloßstr. 24

Willy Eisenreich um 1918
Willy Eisenreich um 1918

Willi Eisenreich, geb. am 13. September 1882 in Zwickau/Sachsen, verschlug es nach Hessen und Offenbach wurde seine Heimat. Hier zunächst als Schlosser tätig, brachte er sich später als Handlungsreisender mehr schlecht als recht durch. Er war geistig rege und las viel: philosophische Schriften, auch die Werke der frühen Anarchisten. Er fühlte sich zum Revolutionär berufen.

Er wurde Vorsitzender der gerade gegründeten KPD in Offenbach. Kurzzeitig war er der Gegenspieler von Georg Kaul, Vorsitzender des Offenbacher Volksrates, der in seinen Augen die Revolution verraten hat. Mit etwa 1.000 Anhängern zog er am 18. April 1919 zum Sitz des Volksrates in die Kaserne Bieberer Straße (heute Finanzamt). Es kam zu einem Blutbad: mindestens 17 Menschen wurden von Soldaten der Reichswehr getötet und Eisenreich wurde wegen Rädelsführerschaft zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt.

Er wurde in der Haft psychisch krank und verbrachte viele Jahre in Heilanstalten. Schließlich wurde er in das Landeskrankenhaus nach Hadamar verlegt.

Willy Eisenreich starb am 24.04.1941 in der Gaskammer der Euthanasieanstalt Hadamar im Rahmen der „T4- Aktion“. Ein „unwertes“ Leben war ausgelöscht.

Sein Urnengrab ist auf dem Alten Friedhof in Offenbach zu finden – kaum 50 Meter entfernt von dem Georg Kauls. «

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Beide Bilder sind entnommen aus dem Buch: „Der Blutige Karfreitag von Offenbach,vom Leben und Sterben des Willy Eisenreich“, 1997 (Hans-Peter Koller)

Lina Hertsch, geb. Kuhn

Senefelderstraße 66

Lina Hertsch, geborene Kuhn, wurde am 15. Januar 1892 in Frankfurt geboren. In Offenbach lebte sie allein in der Senefelderstraße 66. Über ihre Familie gibt es keine weiteren Informationen.

Sie gehörte zu einer Gruppe, über deren Widerstand gegen die Nazis leider noch immer viel zu wenig bekannt ist. Es sind die Zeugen Jehovas, damals auch bekannt als „Ernste Bibelforscher“.

In Hessen wurde am 19. April 1933 das Betätigungsverbot für Bibelforscher erlassen. Sie waren den Nazis suspekt, denn sie lehnten jede staatliche Autorität ab und verweigerten jeglichen Militärdienst. Auf verschiedene Weise arbeiteten die Bibelforscher nach dem Verbot im Untergrund weiter. Sie verteilten unter anderem heimlich Flugblätter und Zeitungen. Bespitzelungen und Verhaftungen ließen nicht lange auf sich warten.

Der Widerstand der Bibelforscher gegen das NS-Regime begründete sich aus ihrem Glauben. Sie wollten keinem anderen außer ihrem Gott Treue schwören und waren konsequent gegen den Krieg eingestellt. So verweigerten sie die Mitgliedschaft in NS-Organisationen und gingen nicht zu den Wahlen. Außerdem weigerten sie sich, in der Militärproduktion zu arbeiten.

Im Konzentrationslager trugen die Bibelforscher ein lila Dreieck an der Häftlingskleidung. Auch im Lager wollten die Frauen z.B. keine Soldatenuniformen flicken und die Männer nicht den geforderten Schwur auf Hitler ablegen. Sie waren daher besonderen Schikanen ausgesetzt. Es wird geschätzt, dass etwa 2000 Bibelforscherinnen und Bibelforscher von den Nazis umgebracht wurden, die meisten von ihnen in Konzentrationslagern.

Lina Hertsch wurde am 11. März 1937 verhaftet. Danach verurteilte ein Sondergericht in Darmstadt sie zu einer Gefängnisstrafe von 7 Monaten. Die konkrete Urteilsbegründung ist nicht bekannt. In ähnlichen Fällen ging es jedoch zumeist um die Werbung für die verbotenen Bibelforscher.

Von November 1937 bis Februar 1938 war Lina Hertsch im Frauen- und Jugend- konzentrationslager Moringen in Niedersachsen und kam danach in das KZ Lichtenburg. Später brachten die Nazis sie in das große Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück in der Nähe von Fürstenberg an der Havel.

Das Konzentrationslager Ravensbrück wurde im Herbst 1938 von Häftlingen des Konzentrationslagers Sachsenhausen bei Oranienburg gebaut. Es wurde das größte Frauen- Konzentrationslager Deutschlands, in dem insgesamt etwa 92.000 Frauen und Kinder starben. Alle Frauen litten ab 1941/42 unter der Prügelstrafe, die nach einem Besuch des Reichsführers der SS, Heinrich Himmler, noch verschärft wurde.

Briefmarke Ravensbrück - Deutsche Post der DDR
Briefmarke Ravensbrück – Deutsche Post der DDR

Nach den Berichten und der Schätzung einer Mitgefangenen von Lina Hertsch, Wilhelmine Hoffmann aus Offenbach, befanden sich unter den inhaftierten Frauen im KZ Ravensbrück 300- 350 Angehörige der Bibelforscher.

 Wilhelmine Hoffmann schilderte eine besonders grausame Behandlung der „Bibelforscherinnen“ im Lager Ravensbrück:

„Die „Bibelforscherinnen“ lehnten es ab, für die Soldaten „Liebesgaben“ zu leisten. Daraufhin mussten sie fünf Tage lang in der Kälte stehen. Nach den fünf Tagen wurden ihnen ihre Schuhe abgenommen und jeweils fünf Frauen in eine dunkle Zelle gesperrt. Erst nach drei Tagen wurde die Zelle geöffnet. Nun gab es jeden dritten Tag warmes Wasser (Wasser mit Krautblättern) und zwischendurch eine Scheibe Brot und einen dünnen Kaffee. Die Dunkelhaft dauerte drei Wochen.

Viele der Frauen, die diese Torturen über sich ergehen lassen mussten, überlebten sie nicht oder nicht lange. Für sie waren – wie für ihre anderen Mitgefangenen – Krankheit und Schwäche ein Todesurteil.“

Lina Hertsch war 50 Jahre alt, als sie am 16. Juni 1942 im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück starb. «

Zeichnung: Violette Lecoq: Federzeichnungen aus dem Frauen-KZ Ravensbrück; Erstausgabe: Temoignages:36 Dessins à la plume. Ex Nr. 587 - Paris: Sirenes, 1948, Nachdruck: Chatillon - sur Indre: Auclerc Frères, 1975
Zeichnung: Violette Lecoq: Federzeichnungen aus dem Frauen-KZ Ravensbrück; Erstausgabe: Temoignages:36 Dessins à la plume. Ex Nr. 587 – Paris: Sirenes, 1948, Nachdruck: Chatillon – sur Indre: Auclerc Frères, 1975

Valentin Unkelbach

Senefelderstraße 120

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Valentin Unkelbach wurde am 01. September 1904 in Bad Kreuznach geboren. Im Jahr 1914 zog die Familie nach Offenbach. Er erlernte den Beruf des Färbers. Im Alter von 20 Jahren wurde er Mitglied der SPD und Unterkassierer der Gewerkschaft. Im Mai 1931 heiratete er Marie Drescher.

Er engagierte sich in der Arbeitsgemeinschaft junger Sozialdemokraten. Nach der Machtübergabe an die Nazis wurden in Offenbach am 03.02.1933 alle Demonstrationen sowie die Verteilung partei- politischer Schriften polizeilich verboten. Trotzdem verbreitete er zusammen mit Genossen aus dem Ausland und aus Offenbach heimlich u.a. die Zeitungen „Der Funke“ und „Sozialistische Aktion“.

Unkelbach musste sich ab dem 30. Mai 1933 zweimal täglich bei der Polizei melden. Er nahm jedoch weiterhin an geheimen Versammlungen teil.

Am 7. Mai 1936 wurde er zusammen mit Friedrich Wagner verhaftet. Er wurde zunächst bei der Gestapo in Offenbach, später dann in Darmstadt verhört. In der Anklageschrift von September 1936 wurde ihm vorgeworfen, den organisatorischen Zusammenhang der verbotenen SPD wieder

herstellen zu wollen und ein hochverräterisches Unternehmen vorzubereiten. Am 20./21. November verurteilte das Gericht ihn wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu 4 Jahren Zuchthaus und der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte. Den Antrag seiner Frau von Anfang 1940, die Reststrafe zu erlassen, lehnten die Richter ab. Er wurde am 21. Juni 1940 entlassen.

Im Februar 1943 wurde Unkelbach zum Strafbataillon 999 eingezogen und in Griechenland eingesetzt. Ende Januar 1945 wurde er in Jugoslawien als vermisst gemeldet.

Erst nach 30 Jahren Ungewissheit erhielt seine Frau die Information des DRK-Suchdienstes, ihr Mann sei vermutlich am 12. April 1945 bei Lovas gefallen, 100 km von Belgrad entfernt. «


Hermann Strott

Sprendlinger Landstraße 122

Fotografie aus der Krankenakte in Hadamar
Fotografie aus der Krankenakte in Hadamar

Hermann Strott ist eines der 15.000 Euthanasieopfer, die in den Jahren 1941 bis 1945 wegen psychischer und körperlicher Behinderungen in der sogenannten Heilanstalt in Hadamar ermordet wurden.

Er wurde am 06.06.1912 als Sohn des Schreiners Martin Strott und seiner Ehefrau Elisabeth in Offenbach geboren. Nach eigenen Aussagen war er während seiner Kindheit und Schulzeit immer gesund, wenn auch schwächlich, habe nie an Sport oder lärmendem Treiben Interesse gehabt, sondern meist zurückgezogen über Büchern gesessen. Nach erfolgreichem, aber nervenaufreibendem Abitur an der Oberrealschule in Offenbach begann er 1931 in Frankfurt ein Philologiestudium.

Unsicherheit beim Studium und Ängste vor der Zukunft führten 1933 zu einem Zusammenbruch mit mehrmonatigem Klinikaufenthalt. Nach der Entlassung gab er das Studium auf und begann 1934, ohne gesundheitliche Schwierigkeiten beim Arbeitsdienst in Heppenheim zu arbeiten.

Im November 1934 trat er in Regensburg den Militärdienst an, wurde aber bereits im Juni 1935 wieder entlassen. Grund dafür war die Entscheidung des „Erbgesundheitsgerichts“ von Regensburg, das Hermann Strotts Sterilisation anordnete. Eine Begründung für den schwerwiegenden Eingriff findet sich nirgendwo in späteren Akten.

Die Grundlage für die Sterilisation dürfte das NS-Gesetz zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14.07.1933 gewesen sein, obwohl aus später angelegten Akten hervorgeht, dass bei H. Strott nur eine vorübergehende psychische Erkrankung vermutet wurde und bei Verwandten eine Geisteskrankheit nicht vorlag. Er hat nach eigener Aussage unter diesem Eingriff sehr gelitten.

Bis Ende 1939 blieb Hermann Strott noch bei der Heeresverwaltung in Regensburg als Angestellter tätig. Im Jahr 1940 kehrte er nach Offenbach zurück und arbeitete dort bis 1941 als kaufmännischer Angestellter, zuletzt im Büro eines Rüstungsbetriebs, was ihn gesundheitlich sehr belastete. Nach kurzem Klinikaufenthalt wurde er als arbeitsfähig entlassen und unmittelbar danach dienstverpflichtet. Wohl wegen seiner Französischkenntnisse arbeitete er im Büro des Luftgaukommandos in Paris. Nach drei Monaten brach er aus Krankheitsgründen diese Tätigkeit ab und nahm 1942 wieder eine Arbeit in Wiesbaden an. Wegen zunehmender psychischer Schwierigkeiten erfolgte im Juli 1943 die Einweisung in die Frankfurter Nervenklinik. Von dort wurde er im Oktober in die „Heilanstalt Weilmünster“ verlegt.

Gemäß der Weisung der Berliner NS-Zentrale in der Tiergartenstraße 4 (T4) wurde bereits in Weilmünster die Schwächung der Patienten durch Hungerkost gezielt betrieben, um die Anzahl der psychisch Kranken und körperlich Behinderten planmäßig zu verringern.

Trotz des Interesses an einer Tätigkeit blieb Hermann Strott in der Klinik ab Oktober 1943 ohne jede Therapie und Beschäftigung. Im August 1944 teilte die Direktion der Klinik auf Anfrage der Betriebskrankenkasse in einem ärztlichen Gutachten mit, dass eine Besserung des Zustandes möglich, aber letztendlich keine Heilung zu erreichen sei. Mit großer Wahrscheinlichkeit sei mit einer Arbeitsfähigkeit aber nicht mehr zu rechnen.

In der Akte vom September 1944 findet sich der Eintrag, dass Hermann Strott an Rippenfellentzündung erkrankt sei. Am 13. Oktober heißt es: „Nach Hadamar verlegt“.

Die Eltern wurden über den Zustand des Sohnes und die Abschiebung nach Hadamar erst im Nachhinein informiert. Der Vater bat die Direktion dringend um Informationen über den Gesundheitszustand seines Sohnes, worauf keine Antwort erfolgte. Zu einem von Hermann gewünschten Besuch des Vaters in der Klinik im Dezember 1944 kam es wegen ständiger Luftangriffe nicht mehr.

Am 4. Januar 1945 telegrafierte die Klinikleitung an den Vater, sein Sohn sei schwer erkrankt und sein Zustand habe sich lebensbedrohlich verschlechtert. Besuch sei gestattet. Das Telegramm ist aber nicht angekommen.

Am 05.01.1945 beurkundete das Standesamt der Landesheilanstalt Hadamar den Tod. Die Nachricht vom Tod des Sohnes erhielten die Eltern erst am 12.01.1945.

Die Annahme, dass Hermann Strott keines natürlichen Todes gestorben ist, stützt sich darauf, dass im Totenschein eine Diagnose angegeben ist, die verdächtig oft vorgetragen wurde: „Geisteskrankheit, Herz- schwäche, Rippenfellentzündung“. Mit großer Sicherheit ist Hermann Strott mit einer Überdosis von Medikamenten ermordet worden. Überzeugt von der NS- Ideologie, nämlich der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, und mit dem Vorwand, den „Gnadentod“ zu gewähren, folgten in Hadamar die meisten Schwestern und Pfleger den Anweisungen des Oberarztes widerspruchslos. Gehorsam verabreichten sie den kranken und nicht mehr arbeitsfähigen Menschen eine tödliche Giftdosis.

Überrascht vom plötzlichen Tod seines Sohnes bat der Vater um nähere Auskunft über die Todesursache, die Art der Bestattung und den Ort des Grabes. Am 17.01.1945 erhielt er folgende Nachricht:

„Ihr Sohn konnte sich von der Erkrankung nicht mehr erholen. Eine Herzschwäche führte den Tod herbei; er ist ruhig ohne Todeskampf gestorben. Die Beisetzung erfolgte in aller Stille auf unserem Anstaltsfriedhof.“

Hermann Strott wurde mit anderen Euthanasieopfern in einem Massengrab bestattet. Im Februar 1945 erhielten die Eltern auf Nachfrage die Kleidungsstücke ihres verstorbenen Sohnes, wofür sie sich in Unkenntnis der mörderischen Geschehnisse in Hadamar noch höflichst bedankten. «


Jenny Steigerwald, geb. Sündermann
Julius, Minna und Max Steigerwald

Sternstraße 12

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Im Adressbuch der Stadt Offenbach der Jahre 1937/38 sind als Bewohner in der Sternstraße 12 aufgeführt: Jenny Steigerwald, Wwe. geb. Sündermann, geb. am 13.07.1879 in Westheim, Kreis Haßfurt, und ihr Sohn Julius, geb. am 18.12.1909. Jennys

Ehemann, Jakob Steigerwald, geb. am 24.02.1877, war Viehhändler und verstarb bereits am 25.05.1935.

Das Ehepaar Steigerwald hatte noch zwei weitere Kinder:

Minna, geb. am 14.11.1912, und Max, geb. am 12.09.1920. Max Steigerwald konnte nach Berichten von Zeitzeugen aus Bürgel 1936 oder 1937 mit finanzieller Unterstützung der Familie und weiteren – nicht näher bekannten – Kreisen nach England emigrieren. In der Emigrationsliste der jüdischen Gemeinde wird er aber nicht genannt.

Julius Steigerwald verdiente seinen Lebensunterhalt als Manufakturwarenhändler von Handtüchern, Textilien und Kurzwaren, die er sich in den damals noch überwiegend in jüdischem Besitz befindlichen Kleiderfabriken in und bei Aschaffenburg besorgte. Nach der Offenbacher Gewerbekartei hat Julius Steigerwald am 23. März 1935 einen Manufakturhandel angemeldet, der am 1. Dezember 1938 wieder abgemeldet wurde. Das Datum ist kein Zufall, denn ab dem 01. Januar 1939 trat die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ in Kraft.

Seine Schwester Minna war Hausangestellte und lebte vom Eier- und Ölverkauf. Sie hatte deswegen in Bürgel auch den Spitznamen „die Eier-Minna“. Unterstützung erfuhr die Familie Steigerwald wohl immer wieder durch Nachbarn, insbesondere durch die Familie Fecher in der Sternstr. 11.

Laut Deportationsliste wurde die Mutter Jenny Steigerwald mit ihrer Tochter Minna am 30. September 1942 nach Polen, vermutlich nach Treblinka, deportiert. Auf den jeweiligen Offenbacher Meldekarten für Jenny und Minna Steigerwald ist dazu vermerkt: 9. Oktober 1942 „auf Reisen“ bzw. „unbekannt verreist“. Laut Gedenkbuch ist Jenny Steigerwald in Polen verschollen. In der Offenbacher Meldekarte ist als Todesdatum der 01.01.1944 angegeben.

Bei Julius Steigerwald ist in der Offenbacher Kartei eingetragen: „am 9. Oktober 1940 unbekannt verzogen“. Dieser Eintrag ist nicht richtig, denn laut Gedenkbuch wurde er am 10.02.1943 nach Theresienstadt und von dort aus am 28.09.1944 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert.

Julius Steigerwald und seine Schwester Minna wurden laut Gedenkbuch im KZ Auschwitz ermordet. «


Johanna Schüratzki, geb. Mannheim
Helene Schüratzki

Taunusstr. 30

Johanna Mannheim, geb. am 17.09.1871 in Posen, heiratete mit 22 Jahren den 37-jährigen Gustav Schüratzki. Als Beruf ist bei ihm „Reisender“ angegeben. In den folgenden vier Jahren wurden die Kinder Bernhard (25.01.1895), Helene (30.03.1897) und Adolf Elias (22.09.1898) geboren. Im Jahr 1911 kam die Familie nach Offenbach und wohnte in der Taunusstraße 30. Gustav Schüratzki starb 1914 im Alter von 57 Jahren. Am 23.07.1919 wurde die Familie eingebürgert.

Mit ihrer Tochter Helene wohnte Johanna Schüratzki noch in der Taunusstraße, als die Nazis sie im September 1942 als 70-jährige abholten. Sie wurde wie 99 andere Juden und Jüdinnen aus Offenbach nach Darmstadt zu einer zentralen Sammelstelle gebracht. Es handelte sich um einen Transport von überwiegend älteren Menschen, denen man ein gutes Leben im tschechischen Ort Theresienstadt versprach.

Die Deportationszüge vom Darmstädter Güterbahnhof fuhren am 27.09.1942 in das Lager Theresienstadt. Laut dem Sonderstandesamt Arolsen verstarb Johanna Schüratzki dort am 2. Dezember 1942.

Ihre Tochter Helene gehörte zu den Offenbacher Jüdinnen und Juden, die drei Tage später über Darmstadt nach Treblinka deportiert wurden. Über ihr Todesdatum ist nichts bekannt.

Auch ihr Bruder Bernhard, seine Frau Minna und deren Tochter Ruth wurden an diesem Tag verschleppt. (Mehr dazu unter der Adresse Mainstraße 17) «

Meldekarte der Witwe Johanna Schüratzki
Meldekarte der Witwe Johanna Schüratzki

Leybus Leo Sznicer
Lea Sznicer, geb. Stoffmacher
Jean und Gerda Sznicer

Taunusstr. 44

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Leybus L. Sznicer wurde am 20.12.1900 im polnischen Poremba geboren. Am 20.09.1926 heiratete er in Eger Lea Stoffmacher, geb. am 01.12.1899 in Berditschew, Russland.

Zunächst wohnten sie in Frankfurt und zogen dann 1927 nach Offenbach in die Feldstraße 13 um. Hier war Leybus Sznicer als Textilwarenhändler tätig. Am 20.02.1927 wurde der Sohn Jean und am 05.09.1929 die Tochter Gerda geboren. Im Juli 1936 erfolgte ein weiterer Umzug der Familie in die Taunusstraße 44.

Im Zusammenhang mit den Pogromen wurde Leybus Sznicer laut Gedenkbuch 1939 im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert.

Über 80 Juden aus Offenbach waren von den Nazis bereits im November 1938 nach Buchenwald deportiert und dort über Wochen oder Monate eingesperrt worden. Diese Haft war als Drohung und Einschüchterung gedacht, um die Ausreise zu erzwingen. Der Familie Sznicer war es allerdings aus finanziellen Gründen nicht möglich zu emigrieren.

Laut Offenbacher Meldekartei wurde Leybus Sznicer am 09.10.1942 erneut nach Buchenwald deportiert. Nach Angaben des Gedenkbuches kam er dort ums Leben, ohne dass ein genaues Todesdatum genannt wird.

Seine Frau Lea und die beiden Kinder Gerda (13 Jahre) und Jean (15 Jahre) wurden laut Deportationsliste am 30.9.1942 von Offenbach über Darmstadt in das Generalgouvernement (Polen) deportiert. Vermutlich kamen sie in Treblinka ums Leben. «

 

Meldekarte der Eheleute Sznicer
Meldekarte der Eheleute Sznicer

Berthold Kahn

Weinbergstr. 11

Wohnhaus und Aufenthaltsbescheinigung von Berthold Kahn
Wohnhaus und Aufenthaltsbescheinigung von Berthold Kahn

Berthold Kahn wurde am 13. März 1879 in Frankfurt geboren. 1913 heiratete er dort die evangelische Christin Hedwig Vulter, geb. am 22. Februar 1887 in Arnstadt, Thüringen. Von Beruf war Berthold Kahn Vertreter. Mit seiner Ehefrau wohnte er zunächst in Frankfurt, dann in Mühlheim.

Im Jahr 1937 zog er mit ihr nach Offenbach-Bieber in die Weinbergstraße 11, wo das Ehepaar zu dem sozialdemokratisch orientierten Hausbesitzer Hans Oskar Rothe und seiner Ehefrau Anna Rothe ein gutes Verhältnis hatte. Nach Aussagen von Frau Rothe aus dem Jahr 2016, stellte sich ihr Ehemann 1938 der Aufforderung eines Bieberer Polizisten und NSDAP-Mitglieds entgegen, das Ehepaar Kahn aus der Wohnung zu vertreiben.

Kurz nach der Pogromnacht wurde Berthold Kahn verhaftet und kam vom 16.11. – 21.12.1938 in das KZ Dachau. Nach der Entlassung wohnte das Ehepaar noch bis Februar 1939 in Bieber. Wegen Anfeindungen und Verfolgung von Seiten national- sozialistisch gesinnter Bieberer in der Weinbergstraße, verließ Berthold Kahn dann doch mit seiner Ehefrau die Wohnung und zog nach Frankfurt. Das Ehepaar Rothe hat danach nichts mehr von der Familie Kahn gehört. Wann genau Berthold Kahn von Frankfurt aus deportiert wurde, ist unbekannt.

Laut „Gedenkbuch der Opfer des Nationalsozialismus“ kam Berthold Kahn 1943 ins Vernichtungslager Auschwitz, in dem er am 21. November für tot erklärt wurde. «


 

Wilhelm Knöchel

Wilhelmstr. 26

Foto von Wilhelm Knöchel
Quelle: Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin

Wilhelm Knöchel wurde am 8. oder 18. November 1899 in Offenbach geboren. Sein Vater starb 1910 und hinterließ seine Frau mit acht Kindern. Wilhelm lernte den Beruf des Drehers. Mit 17 Jahren wurde er zum Militärdienst eingezogen und Ende 1917 an die Westfront geschickt. Die verbleibenden Monate des Krieges hatten einen prägenden Einfluss auf ihn. Zudem erlitt er eine Gasvergiftung, die ihn sein ganzes Leben lang schwer belastete.

Zunächst trat er der SPD bei, wechselte aber kurze Zeit später zur KPD. Da er in Offenbach keine Arbeit finden konnte, ging er 1920 ins Ruhrgebiet und arbeitete – auch hier mit Unterbrechungen wegen Arbeitslosigkeit – als Dreher und Grubenschlosser. Er heiratete eine Kriegerwitwe, die zwei Kinder mit in die Ehe brachte. 1921 wurde die gemeinsame Tochter Inge geboren. Wilhelm Knöchel betätigte sich in der dortigen Ortsgruppe der KPD, wo er als einsatzbereites Mitglied des Roten Front- kämpfer-Bundes (RFB) bekannt war.

1930 wurde er wieder arbeitslos und kehrte nach dem frühen Tod seiner Frau nach Offenbach zurück. Im Adressbuch der Stadt Offenbach von 1933 ist die Wilhelmstraße 26 als seine Adresse angegeben.

In Offenbach wurde er Ortsgruppenleiter seiner Partei, die ihn im Herbst 1932 zur Weiterbildung nach Berlin und anschließend nach Moskau schickte. Nach dieser Vorbereitungszeit kam er zur Untergrundarbeit nach Deutschland zurück. Er sollte von Amsterdam aus vorhandene Verbindungen stabilisieren, andere neu aufbauen und entsprechende Verantwortlichkeiten festlegen. Der Schwerpunkt seiner Arbeit lag im gewerkschaftlichen Bereich, in dem er auch illegale Zeitungen initiierte. Im Laufe der Jahre entstand unter Leitung Wilhelm Knöchels und anderer bekannter antifaschistischer Widerstandskämpfer, die im Untergrund lebten und wirkten, ein weitverzweigtes Netz von illegalen Parteigruppen, die ihre Stützpunkte vorwiegend im Westen Deutschlands hatten.

Gegen Ende 1942 gelang es den Gegnern, in die Organisation Knöchel einzudringen. Immer mehr Widerstandskämpfer wurden verhaftet und durch Folter zu Geständnissen erpresst. Anfang 1943 wurden engste Mitarbeiter von Wilhelm Knöchel verhaftet und am 30. Januar auch er selbst. Am 12.06.1944 verurteilte ihn der „Volksgerichtshof“, der gegen ihn allein verhandelte, nach nur zehnminütiger Sitzung wegen „Vorbereitung zum Hoch- und Landesverrat“ zum Tode. Am 24.07.1944 wurde Wilhelm Knöchel im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet. «


Heinrich Windecker
Frieda Windecker, geb. Löwenthal
Julie Windecker, geb. Kanthal
Sigrid Windecker

Wilhelmstr. 38

Die Familie Windecker war eine große Familie und wohnte im eigenen Haus in der Wilhelmstraße 38 in Offenbach. Josef, (Jahrgang 1862) und Karoline Windecker geb. Stiefel (Jahrgang 1859), hatten acht Kinder, von denen drei schon im Kindesalter starben.

Die überlebenden Kinder waren Adolf, geb. am 01.12.1884, Emmi, geb. am 08.04.1886, Margarete, geb. am 16.08.1887, Siegfried, geb. am 15.10.1894 und Heinrich, geb. am 15.11.1898.

Josef Windecker verdiente das Geld für seine Familie als Alteisenhändler und Fuhrmann. Seine Frau Karoline arbeitete bei ihm als Prokuristin und produzierte außerdem Obstwein in Bürgel. Als ihr Mann 1922 starb, führte sie das Metall- und Speditionsgeschäft zunächst alleine weiter. Sie starb im Februar 1941 mit 82 Jahren. Der älteste Sohn Adolf war bereits im August 1907 nach Hamburg gezogen. Über sein Schicksal und das der Töchter Emmi und Margarete ist nichts Näheres bekannt. Der zweite Sohn, Siegfried, heiratete im Dezember 1912 Julie Kanthal, geb. am 18.10.1896 in Langenselbold. Der Kaufmann Siegfried Windecker starb im Alter von nur 29 Jahren am 18.11.1923, nur zwei Monate vor der Geburt seiner Tochter Sigrid am 15.01.1924.

Meldekarte der Eheleute Heinrich und Frieda Windecker
Meldekarte der Eheleute Heinrich und Frieda Windecker

Der dritte Sohn, Heinrich Windecker, heiratete im Oktober 1929 Frieda Löwenthal, geb. am 12.6.1904 in Somborn. Sie hatten keine Kinder. Heinrich führte das elterliche Geschäft in der Wilhelmstraße 38 weiter, das im November 1938 zur Zielscheibe nationalsozialistischer Übergriffe wurde.

Am 30. September 1942 deportierten die Nazis Heinrich Windecker, seine Frau Frieda, die Schwägerin Julie Windecker und deren 18- jährige Tochter Sigrid über Darmstadt, vermutlich in das Vernichtungslager Treblinka.

In den Meldekarten von Heinrich, Frieda und Sigrid Windecker wurde vermerkt: 09.10.1942 unbekannt verzogen. Auf der Meldekarte von Julie Windecker steht der Vermerk: 09.10.1942 auf Reisen. Alle diese Personen wurden laut Beschluss des Amtsgerichts Offenbach seit dem 30.07.1949 für tot erklärt. «


Wilhelm Reuß

Ziegelstraße 45

Quelle: Artikel aus der Offenbacher Zeitung vom 28. Juli 1933
Quelle: Artikel aus der Offenbacher Zeitung vom 28. Juli 1933

Wilhelm Reuß wurde am 17.8.1912 in Offenbach geboren. Als er ermordet wurde, war er noch nicht einmal volljährig.

Wilhelm Reuß war gelernter Sattler, Kommunist und aktiver Arbeitersportler. Wie viele andere Männer und Frauen in Offenbach engagierte er sich in einem der vielen Sport- und Kulturvereine der Arbeiterbewegung. Reuß war als ruhiger Mensch im Kreis seiner Freunde bekannt. Er wohnte in der Ziegelstraße 45.

 Wilhelm Reuß gehörte zu einer Gruppe von 10 Personen, die am 27. Juli 1933 von zwei Angehörigen eines Sonderkommandos an der Straßenecke Ziegelstraße und Rohrstraße angetroffen wurden.

In einem Artikel der Offenbacher Zeitung vom 29. Juli 1933 heißt es: „Da es sich durchweg um Kommunisten handelte und derartige Ansammlungen verboten sind, forderten die beiden Hilfspolizisten die Personen auf, weiterzugehen.“ Doch Wilhelm Reuß kam dem nicht nach, machte sogar noch „abfällige Bemerkungen“. So wurde er festgenommen und zum Sonderkommando gebracht. Da er sich dort weiterhin „anmaßend“ benahm, wurde ein SS-Mitglied beauftragt, ihn zur Gestapo-Zentrale in der Ludwigstraße zu bringen.

Auf dem Weg dorthin wurde der 20-jährige Wilhelm Reuß von dem SS-Mann „auf der Flucht“ erschossen.

Von dem Todeszeugnis des Stadtkrankenhauses gibt es interessanterweise zwei verschiedene Versionen. In dem einen steht als Todesursache „tötliche Körperverletzung“, in dem anderen „Schußverletzung r. Oberschenkel“. Die Todeszeugnisse sind von zwei verschiedenen Ärzten unterschrieben.

Wilhelm Reuß gehörte in Offenbach zu den ersten Todesopfern des Schießbefehls von Hermann Göring vom 17. Februar 1933, wonach bei Zusammenstößen mit den Gegnern des NS-Systems rücksichtslos von der Waffe Gebrauch gemacht werden sollte. «


Dr. Bernhard Katz,
Antonie Katz
Walter und Wilhelm Katz

Kaiserstr. 82


Foto: Familienfoto (Renato Simoni: Walter Katz, Aviador al servicio de la Republica 1936-1938, Tarragona 2020)

Bernhard Katz wurde am 2. Februar 1879 in Herborn geboren. Er studierte Rechtswissenschaften an der Giessener Universität. Im Jahr 1905 ließ er sich als Notar und Rechtsanwalt in Offenbach nieder.

Er heiratete 1912 die Offenbacherin Antonie Strauss. Sie wurde hier am 5. Oktober 1892 geboren. Sie gehörten beide zur Jüdischen Gemeinde.

Am 27. April 1913 wurde ihr Sohn Walter, und am 9. Januar 1919 ihr Sohn Wilhelm geboren.

Dr. Bernhard Katz war neben seiner Arbeit als Anwalt und Notar von 1910 bis 1925 Stadtverordneter für die SPD, außerdem in verschiedenen städtischen Ausschüssen.

Dr. Bernhard Katz eröffnete im April 1933 eine gemeinsame Kanzlei mit Richard Heyne. Dieser erhielt öffentliche Kritik dafür, dass er eine gemeinsame Kanzlei mit einem jüdischen Anwalt betreibt. Kurz darauf wurde die Sozietät wieder aufgelöst. Wenig später wurde Dr. Richard Katz die Zulassung als Notar entzogen. Er musste seine Akten bis März 1934 an einen „arischen“ Kollegen übergeben. Später wurde ihm, wie allen jüdischen Anwälten, die gesamte Zulassung entzogen.

Spätestens 1938 versuchten Dr. Katz und seine Frau, nach einem Ort für ihr Exil zu finden. Dr. Katz fuhr dazu im April nach London. Dort erlag er am 27. April 1938 einem Herzinfarkt.

Antonie Katz engagierte sich, solange das unter den Nazis möglich war, im Jüdischen Frauenbund von Bertha Pappenheim.

Nach dem Tod ihres Mannes war das Geld der Familie durch die Behörden gesperrt und eine Ausreise schwerer geworden. Es gelang ihr jedoch, knapp den Schrecken der Pogromnacht zu entgehen und nach Frankreich zu reisen. Hier war sie in vielen Bereichen ehrenamtlich tätig und lebte in ärmlichen Verhältnissen. Kurz vor der Besetzung von Paris wurde sie verhaftet und in das Lager Gurs in den Pyrenäen gebracht. Nach ihrer Entlassung blieb sie noch bis 1942 in Frankreich, wo die Situation immer schwieriger wurde. Sie entschied sich zur Ausreise und konnte schließlich über Marokko mit einem Schiff nach Mexiko gelangen, wo sie ihr restliches Leben verbrachte und 1978 starb.


Foto: Antonie Katz, Montpellier 1941 (Renato Simoni: Walter Katz, Aviador al servicio de la Republica 1936-1938, Tarragona 2020)

Walter Katz besuchte das Lessing-Gymnasium in Frankfurt, und bei seinem Abitur 1931 gab er als Berufswunsch Rechtsanwalt an. Auch er studierte anschließend, wie sein Vater, Rechtswissenschaften an der Universität in Giessen. Doch schon wenige Wochen nach der Verkündung des „Gesetzes gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ , nach dem höchstens 1,5 % der Erstsemester „Nicht-Arier“ sein durften, wurde er am 5. Juli 1933 exmatrikuliert.

Die steigende Druck durch die antijüdischen Maßnahmen führte in der Familie Katz dazu, dass sie sich im Sommer 1933 entschied, ihre beiden Söhne ins Ausland zu schicken. Wilhelm kam als 14-Jähriger in ein Internat in der Nähe von Paris, wo er auch sein Abitur ablegte. Beide Söhne besuchten öfter ihre Eltern, die in Offenbach blieben.

Walter Katz setzte als 20-Jähriger sein Studium in Paris und später in Genf fort.

Auf Initiative eines spanischen Professors wechselte er 1934 nach Madrid und nahm 1935 die spanische Staatsbürgerschaft an.

In den folgenden Jahren traf er sich mehrmals mit seiner Familie zu gemeinsamen Urlauben in der Schweiz und in Italien.

Bei Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges meldete Walter Katz sich sofort als Freiwilliger zu den republikanischen Streitkräften. Er besaß bereits eine private Pilotenlizenz. Er wurde sofort aktiv und stieg auf zu einem geschätzten und erfolgreichen Flieger für die Republikaner.


Foto: Walter Katz 1938, (Renato Simoni: Walter Katz, Aviador al servicio de la Republica 1936-1938, Tarragona 2020)

Bei einem Flug mit einer Nachtflugstaffel am 11. November 1938 wurde er in der Ebro-Schlacht von einem Geschoss getroffen. Sein Copilot konnte das Flugzeug noch landen, Walter Katz war aber schon tot.

Wilhelm Katz nahm 1938 die französische Staatsbürgerschaft an. Während der NS-Zeit betreute er zusammen mit seiner Mutter eine Zeitlang ehrenamtlich geflüchtete jüdische Kinder im „Chateau de la Guette“ unweit von Paris, das der Baronin Germaine de Rothschild gehörte und von ihr unterhalten wurde. Er beteiligte sich außerdem bei den „Freien Franzosen“, die einen militärischen Teil der Résistance bildeten.

Kurz vor der deutschen Okkupation Frankreichs war Willy schon zur Armee eingezogen worden. Willy überlebte den Krieg, er war Mitglied des französischen Afrika-Corps und erhielt von General de Gaulle eine Ehrenurkunde. Nach dem Krieg kam er mit den französischen Besatzungstruppen nach Deutschland. Da er Deutsch, Französisch, Englisch und Spanisch sprach, wirkte er als Übersetzer.

Er blieb sein Leben lang in Paris, jahrelang hatte er ein Import-Export-Geschäft für Elektro-Haushaltsgeräte geführt.


Emanuel Gabriel
Amalie Gabriel geb. Seligmann
Ruth Gabriel

Tulpenhofstr. 24

 Emanuel Gabriel und sein Zwillingsbruder Gustav wurden am 12.02.1877 in Hillesheim geboren.

Ihre Mutter Babette Gabriel, geb. David, starb 1879, sein Vater Jakob Gabriel 1886. Der Vater stammte aus Alsheim.

Er und sein Zwillingsbruder Gustav wuchsen danach bei der zweiten Frau seines Vaters, die auch die Schwester der Mutter gewesen sei, auf, die sich um die Zwillinge wie um eigene Kinder gekümmert habe.

1897 zog die Familie nach Offenbach.

Emanuel arbeitete später als Bankbeamter in Frankfurt. Von 1897 bis 1942 war er an verschiedenen Adressen in Offenbach gemeldet.

Er heiratete am 08.06.1911 in Bingen Amalie Gabriel, geb. Seligmann, geb. am 24.06.1899 in Bingen, danach brach der Kontakt zur Familie ab. Seine Tochter Ruth Gabriel wurde am 05.04.1916 in Offenbach geboren.

Ab 1921 wohnte die Familie in der Tulpenhofstraße 24. Am 21.12.1938 zogen sie – vermutlich nicht freiwillig – in die Bahnhofstraße 26, wo schon weitere jüdische Menschen lebten.

Emanuel Gabriel wurde am 27.09.1942 von Darmstadt nach Theresienstadt deportiert, wo er am 01.11.1942 starb. Nach Daten aus Theresienstadt wurde Amalie Gabriel am 28.09.1942 nach Theresienstadt deportiert, es handelt sich aber wahrscheinlich um den gleichen Transport. Am 12.10.1944 wurde sie weiter nach Auschwitz deportiert, wo sich ihre Spur verliert.

Ihre Tochter Ruth Gabriel wurde ebenfalls am 27.9.1942 nach Theresienstadt deportiert und zusammen mit ihrer Mutter am 12.10.1944 nach Auschwitz. Zu diesem Zeitpunkt war sie 18 Jahre alt.


Gustav Gabriel
Johanna Gabriel
geb. Cohen

Buchrainweg 9


Foto: Gustav Gabriel und seine Kinder, um 1916 (Andrea Hansert: Offenbach am Main, Kultur im Sog des Nationalsozialismus, Offenbach 2019)

Gustav Gabriel, geboren am 12.02.1877 in Hillesheim, ist der Zwillingsbruder von Emanuel Gabriel.

Gustav Gabriel war Bauingenieur und studierte später an der Technischen Hochschule Darmstadt.

Ab Mai 1900 erteilte er Unterricht an den Technischen Lehranstalten in Offenbach.

Im Oktober 1903 wurde er Vollzeitdozent und damit Kommunalbeamter.

Am 06.10.1904 heiratete er Johanna geb. Cohen (05.11.1882-31.10.1972).

Am 29.08.1905 wurde die Tochter Elisabeth geboren. Am 03.10.1907 kam der Sohn Gerhard Ludwig Gabriel zur Welt. Dieser lebte ab 1929 in Bombay. Auch die Tochter Elisabeth wanderte mit ihrem Ehemann Ernst Feibusch 1933 nach Indien aus.

Von 1923 bis März 1933 war Gustav Gabriel Direktor der Maschinenbauschule der Technischen Lehranstalten in Offenbach.

Im März 1933 war er für acht Tage im Gefängnis. Ende 1933 wurde er nach einem Besuch bei seiner Schwägerin in London erneut verhaftet. Ihm wurde

vorgeworfen, in England eine gegen Deutschland gerichtete Kampagne in der Presse und im Unterhaus gesteuert zu haben. Wieder wurde er nach 8 Tagen entlassen.

Am 27. März 1933, endgültig am 26. Juni 1933 wurde Gustav Gabriel nach dem „Gesetz über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ aus dem Staatsdienst entlassen. Wegen des Frontkämpferprivilegs konnte der „Arierparagraph“ nicht auf ihn angewendet werden. Stattdessen wurde er, der im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und im Bund jüdischer Frontkämpfer aktiv war, nach §4 des Beamtengesetzes wegen politischer Unzuverlässigkeit entlassen.

1938 reisten Gustav und Johanna Gabriel nach Indien aus. Am 10.11.1938 kamen sie in Bombay an.

Sie folgten damit dem Rat ihres Sohnes Gerhard, der die britische Staatsbürgerschaft erworben hatte und in Bombay einen Metallhandel betrieb.

Gustav Gabriel arbeitete in der Firma seines Sohnes mit.

Im Jahr 1940 fand ein Verwaltungsverfahren statt, in dem geklärt werden sollte, ob Gustav Gabriel als feindlicher Ausländer interniert werden soll. Die britischen Kolonialbehörden entschieden zu seinen Gunsten.

Auch in der Nachkriegszeit blieb die Familie in Bombay.

Gustav Gabriel stellte von Indien aus einen Wiedergutmachungsantrag.

Im Jahr 1957 erhielt Gustav Gabriel die deutsche Staatsbürgerschaft zurück.

1960 kehrte er zurück nach Deutschland und lebte im Jüdische Altenheim in Neustadt/Weinstraße.

1970 feierte er in Landau seinen 93. Geburtstag. Am 27.06.1972 ist er in Neustadt an der Weinstraße verstorben.


Otto Ehrmann
Sophie Ehrmann, geb. Nussbaum

Bismarckstr. 159

Otto Ehrmann, geb. am 24.11.1898 in Germersheim, stammte aus einer jüdischen Familie.

Er lebte ab 1912 in Offenbach und war Schüler des Leibniz-Gymnasiums. 1915 meldete er sich zum freiwilligen Militärdienst.

Sein späterer Beruf war kaufmännischer Angestellter. Am 08.11.1936 heiratete er seine Frau Sophie, geborene Nussbaum, geboren am 08.04.1908. Das Ehepaar hatte keine Kinder.

Sie wohnten an verschiedenen Orten in Stadt und Kreis Offenbach. Im Juli 1932 zogen sie in die Bismarckstr. 159 in Offenbach. Ab dem 03.04.1941 wohnten sie – vermutlich nicht freiwillig – in der Domstraße 68.

Die Namen von Otto und Sophie Ehrmann befinden sich auf der Deportationsliste der Gestapo vom 30. September 1942. Sie wurden in das Generalgouvernement, vermutlich nach Treblinka, deportiert.

Auf der städtischen Meldekarte wurde vermerkt: „1.9.1942 n. unbekannt“.


Bernhard Meiberg
Lina Klara Meiberg, geb. Jacob

Kleiner Biergrund 31

Bernhard Meiberg wurde am 15. September 1876 als Sohn der jüdischen Eltern Samuel Meiberg und Lina Meiberg geb. Windecker in Offenbach am Main geboren.

Am 22. September 1902 heiratete Bernhard Meiberg die Jüdin Lina Klara Jacob, geb. am 25. Dezember 1869 in Niederaula, Kreis Hersfeld. Die beiden bekamen am 18.11.1903 einen Sohn, Siegfried Meiberg, welcher leider schon am 25.01.1904 verstarb. Sie hatten keine weiteren Kinder.

Bernhard war als Möbel- und Althändler in Offenbach tätig und lebte ab November 1909 mit seiner Frau Lina Klara im gemeinsamen Haus im kleinen Biergrund 31 in Offenbach.

Die Wohnung wurde, nach Augenzeugenberichten, im Rahmen der Pogrome vom 09. November 1938 von mehreren Männern mit Äxten und Beilen verwüstet.

Die Meibergs boten unter anderem der jüdischen Familie Schwarzwald aus Offenbach Unterschlupf, als diese nach dem Pogrom aus ihrer Wohnung vertrieben worden war.

Bernhard und Lina Klara Meiberg mussten sich gemäß der Aufforderung der Gestapo am 27. September 1942 auf dem Gelände neben der Synagoge in der Kaiserstraße einfinden. Von dort wurden sie beide mit über 100 anderen jüdischen, vorwiegend älteren Mitbürgern über Darmstadt nach Theresienstadt deportiert.

In der Meldekarte ist eine falsche Eintragung erfolgt:

„10.Oktober 1942: nach unbekannt“

Laut Information der Gedenkstätte Yad Vashem sind Bernhard und Lina Klara Meiberg in Theresienstadt umgekommen. Lina Klara wurde am 27.12.1943 ermordet und Bernhard am 13.01.1944.


Heinrich Lichtenstein
Regina Lichtenstein, geb. Stein

Hermannstr. 35

Heinrich Friedrich Lichtenstein wurde am 15. Dezember 1889 in Oberwesel am Rhein geboren.

Er hatte eine große Naturverbundenheit und wollte eigentlich gerne Zimmermann werden, ließ sich aber von einem Rabbiner und seinem Vater überreden, den Lehrerberuf zu wählen. 1909 schaffte er das Abschlussexamen. Obwohl die Aussichten für eine Anstellung im Staatsdienst in dieser Zeit nicht besonders gut waren, erhielt Heinrich Lichtenstein bereits drei Monate nach seinem Examen vom Hessischen Innenministerium die Berufung als Verwalter einer Lehrstelle in Grebenau, wo er nach seinem Staatsexamen, das er 1911 in Darmstadt ablegte, im Jahr 1914 die endgültige Bestellung zum Lehrer an der Volksschule in Grebenau erhielt. Er übernahm auch die Funktion des Vorbeters und Lehrers für Hebräisch; in Wirklichkeit war er damit der Geistliche der jüdischen Gemeinde.

Nach dem Krieg – Heinrich Lichtenstein war von August 1916 bis zum Ende des Krieges im Kampfeinsatz- nahm er seine Lehrertätigkeit schnell wieder auf und heiratete am 30. Juni 1920 Regina Stein, in deren Elternhaus er schon seit Beginn seiner Zeit in Grebenau verkehrte. Die beiden waren bereits seit mehreren Jahren ein Paar, hatten sich aber – nach eigener Aussage – im Krieg noch nicht fest binden wollen.

Wohnblock Hermannstr.

Obwohl das Ehepaar Lichtenstein einen festen Platz in der Gemeinde in Grebenau hatte, beschlossen sie Ende 1929 nach Offenbach zu ziehen. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass einige andere jüdische Familien aus Grebenau weggezogen seien, wodurch auch die Zahl der zu unterrichtenden Kinder deutlich zurückgegangen sei.

Am 3. Januar 1930 trat er eine Stelle als Lehrer an der Volksschule Wilhelmstraße an. Das kollegiale Verhältnis beschrieb er zunächst als angenehm. Der wachsende Antisemitismus habe aber – nach seinen eigenen Aussagen – stetig zugenommen. Wegen einer antisemitischen Beleidigung seines Rektors wechselte er noch im Jahr 1930 an eine andere Schule. Seit Ende 1932 kam es auch dort im Schulkollegium offen zu Agitation durch die Nationalsozialisten.

Vor allem nach der Machtergreifung am 30. Januar 1933 kam es zu einem deutlichen Wandel. Am 23. April 1933 erfolgte die sofortige Beurlaubung aus dem Staatsdienst. Alle Versuche, die Beurlaubung rückgängig zu machen, scheiterten. Am 26. Juni 1933 wurde Heinrich Lichtenstein mit der Begründung „dass in der nationalsozialistischen Schule kein Platz für jüdische Lehrkräfte sei“ auf Grund des § 4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums aus dem Hessischen Staatsdienst entlassen. In den folgenden Jahren übernahm Lichtenstein verschiedenste Aufgaben. So leitete er beispielsweise eine Beratungsstelle für entlassene Juden, half vielen bei den Vorbereitungen der Auswanderung und beteiligte sich maßgeblich an der Planung der jüdischen Bezirksschule in Offenbach, an der er anschließend auch unterrichtete.

Regina und Heinrich Lichtenstein wohnten in der Hermannstraße 35, wo sie sich anfangs sehr wohl fühlten. Im Laufe der Zeit nahmen Kontakte zu nichtjüdischen Hausbewohnern ab, einige blieben aber bestehen, auch wenn man sich nur „im Schutze der Nacht“ traf und auf der Straße nicht mehr grüßte. Die Kündigung der Wohnung in der Hermannstr. 35 erfolgte zum Dezember 1938, woraufhin Heinrich und Regina Lichtenstein für die letzte Zeit vor der Auswanderung in das „Judenhaus“ in der Louisenstr. 84 zogen.

Am Morgen des 10. November 1938 erlebte Heinrich Lichtenstein die überfallartige Zerstörung der Synagoge und versuchte noch zu retten, was zu retten war. Am selben Tag wurde er noch in der Hermannstraße wohnend verhaftet und auf das Polizeipräsidium gebracht. Am nächsten Tag wurden Heinrich Lichtenstein und andere jüdische Gefangene mit einem Bus in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Er wurde am 6. Dezember 1938 wieder entlassen.

In Offenbach kümmerte er sich sofort wieder um die jüdische Gemeinde, organisierte u.a. die Wohlfahrtspflege und die Winterhilfe und nahm im Januar 1939sogar den Unterricht in der jüdischen Schule wieder auf. Er war nach dem Fortgang des Rabbiners und des Kantors auch mit deren Funktionen in der jüdischen Gemeinde beauftragt und gehörte dann auch dem Vorstand an.

Zugleich konzentrierte er sich nun aber darauf, die Voraussetzungen für eine Auswanderung zu erfüllen. Am 20. Juli 1939 emigrierte Heinrich Lichtenstein mit seiner Frau Regina nach London. Vermutlich lebte er bereits Anfang 1940 in den USA, wo er 1961 Selbstmord beging. Seine Frau Regina starb 1974. Die beiden sind auf einem Friedhof in Brooklyn, New York, beigesetzt.


Dr. Siegfried Guggenheim,
Eugenie Guggenheim, geb. Bloch

Tulpenhofstraße 54

Siegfried Guggenheim wurde am 12. Oktober 1873 in Worms als Sohn des Kaufmanns und Vorstehers der dortigen Jüdischen Gemeinde, Samuel Guggenheim und dessen Ehefrau Berta, geboren. Durch seine Mutter, die eine geborene Merzbach aus Offenbach war, hatte er bereits als Jugendlicher gute Kontakte zu den Verwandten der bekannten Bankiersfamilie Merzbach in Offenbach. So war es kein Zufall, dass er sich nach erfolgreich abgeschlossenem Jurastudium in Gießen 1899 als Rechtsanwalt in Offenbach in der Kaiserstraße 63 niederließ.

Im Januar 1900 trat er als Sozius in die Kanzlei des Rechtsanwalts und Notars Dr. Otto von Brentano ein.

Im August 1901 heiratete Dr. Siegfried Guggenheim Eugenie Bloch, die Tochter des jüdischen Offenbacher Fabrikanten Jakob Bloch und seiner Frau Sofia.

Am 8. Mai 1902 wurde der Sohn Ernst , am 28. Januar 1909 die Tochter Bertha geboren.

Ab 1915 wohnte Siegfried Guggenheim mit seiner Familie im Haus seiner Schwiegereltern in der Tulpenhofstraße 54.

Als Dr. Brentano nach dem Ersten Weltkrieg aufgrund seiner Tätigkeit als hessischer Innen-und Justizminister aus der Kanzlei auschied, führte sie Dr. Guggenheim mit dem neuen Sozius Rechtsanwalt Eduard Lachmann und ab 1929 mit dem Anwalt Karl Kanka weiter. Im März 1919 wurde Dr. Guggenheim als Notar in Offenbach zugelassen. Zugleich war er in den Jahren 1927 bis 1932 als Mitglied im Diszi plinarhof für Notare und in verschiedenen Aufsichtsräten großer Firmen tätig.

Dr. Guggenheim nahm regen Anteil am öffentlichen Leben in der Stadt.

Er engagierte sich in der jüdischen Gemeinde und wurde 1906 erstmals in den Vorstand gewählt. In dieser Funktion machte er sich mit dem damaligen Vorsitzenden der Gemeinde für den Bau der neuen Synagoge in der Goethestraße stark. Er war Mitglied im „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“, Vorstandsmitglied im Geschichtsverein und Mitbegründer des Vereins für Kunstpflege in Offenbach. In diesen und noch anderen Funktionen förderte er die Künstler an den Techischen Lehranstalten und gab eine Reihe von Kunstwerken in Auftrag.

Dr. Guggenheim war mit Prof. Hugo Eberhardt, dem Leiter der Schule, freundschaftlich verbunden, und arbeitete dort jahrelang ehrenamtlich als Dozent für Gesetzeskunde und Kursleiter für jüdische Fragen.

Eine enge Freundschaft schloss der engagierte Jude Dr.Guggenheim besonders mit dem evangelischen Christen Rudolf Koch, der ab 1906 zunächst in der Schriftgießerei Klingspor und ab 1908 als Lehrer an den Technischen Lehranstalten tätig war.

Der Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft brachte enorme Veränderungen für das gesellschaftliche und berufliche Leben von Dr. Guggenheim.

Aus Vereinen, die nicht spezifisch jüdisch waren, wurde er ausgeschlossen.

Viele persönliche Beziehungen gingen unter den neuen Machtverhältnissen zu Bruch.

Als Notar durfte er ab dem 16. Juni 1933 nicht mehr tätig sein, was zur Auflösung der Praxisgemeinschaft mit Dr. Lachmann führte.

In den folgenden Jahren war er aber noch mit eigener Kanzlei als Rechtsanwalt für jüdische Klienten tätig.

1936 besuchte Dr. Guggenheimin in den USA seinen Sohn Ernst, der seit 1927 nach seinem Studium dort lebte.Trotz aller Ratschläge und Warnungen vor den Vorhaben des NS-Regimes kehrte Dr.Guggenheim wieder nach Offenbach zurück.

Erst nach dem Verlust seiner Anwaltspraxis im Jahr 1938 entschloss er sich mit seiner Frau, Deutschland zu verlassen. Er leitete den Verkauf seines Hauses in der Tulpenhofstraße 54 ein, aber von dem Erlös blieb ihm nach Zahlung der von den Nazis erhobenen Flucht- und Judensteuer und der Festlegung der Restsumme auf einem Sperrkonto so gut wie nichts.

Mit seinem Freund, dem Rabbiner Dr. Max Dienemann, und vielen anderen Offenbacher Juden wurde Dr. Guggenheim, der seit 1933 Vorsitzender der jüdischen Gemeinde war, im Zuge des Pogroms vom 9. November 1938 verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Aufgrund der mittlerweile vorliegenden Ausreisevisa in die USA wurde er nach drei Wochen wieder aus dem Lager entlassen. Nach kurzem Krankenhausaufenthalt konnte Dr. Siegfried Guggenheim mit seiner Ehefrau Eugenie am 26. November 1938 zu seinem Sohn in die USA flüchten. Die in Frankfurt verheiratete Tochter Bertha Mayer konnte erst im Januar 1939 emigrieren.

Im März 1941 ist Dr. Guggenheim die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt worden.

Er lebte bis zu seinem Tode am 31. Januar 1961 in Flushing im Staat New York.

Dr. Guggenheim erhielt für seine vielfältigen Verdienste im Oktober 1948 die Ehrenbürgerschaft der Stadt Offenbach. Eine Rückkehr nach Deutschland kam für ihn jedoch nicht in Frage.

Auf eigenen Wunsch wurde er im Januar 1961 in Offenbach bestattet.

Seine Ehefrau Eugenie im August 1984.


Ernst Kuppenheim
Josefine Kuppenheim geb. Funk
Erich Kuppenheim

Lützowstraße 4

Ernst Kuppenheim wurde am 8.Oktober 1873 als Sohn der jüdischen Eltern Louis und Bertha Kuppenheim, geb. Levinger, in Pforzheim geboren. Am 9. April 1898 trat er dort zum evangelischen Glauben über.

Am 18. 5.1898 heiratete er die evangelische Christin Josefine Funk, die am 20. September 1872 ebenfalls in Pforzheim geboren wurde.

Ernst Kuppenheim war in der Lederwarenbranche tätig. Er zog mit seiner Ehefrau im April 1900 von Köln nach Offenbach und lebte mit ihr und 2 Söhnen bis 1918 in der Kaiserstraße 84.

Sohn Walter war am 10.1.1900 noch in Köln geboren und Ernst Erich kam am 17.12.1902 in Offenbach zu Welt. Beide wurden evangelisch getauft,

Ernst Kuppenheim betrieb seit 1902 mit einem Kompagnon in der Ludwigstraße 68 die Lederwarenfabrik „Grünewald & Kuppenheim“. Nach dessen Ausscheiden führte Ernst Kuppenheim ab 1910 die Firma allein weiter und produzierte hochwertige Lederwaren.

Im September 1918 zog die Familie Kuppenheim in das eigene Haus in der Geleitsstraße 116.

Der Sohn Walter nahm ab Frühjahr 1918 am 1. Weltkrieg teil und wurde mit dem Eiserenen Kreuz ausgezeichnet. Im April 1919 wurde er im Baltikum bei den Kämpfen der Eisernen Division verletzt und erlag im Lazarett.

Der zweite Sohn Erich, der in der Firma tätig war, wurde von seinem Vater von Dezember 1923 bis 1926 nach Buenos Aires geschickt, um dort geschäftliche Kontakte zu knüpfen. 1926 nahm er dort die argentinische Staatsangehörigkeit an.

1929 heiratete er die Nichtjüdin Eleonore Linnemann und wohnte mit ihr in Frankfurt.

1931 wurde Erich persönlich haftender Gesellschafter und ab 1932 Teilhaber in der väterlichen Firma.

Ab 1931 litt die Firma unter der anhaltenden Wirtschaftskrise. Ernst Kuppenheim musste Arbeitskräfte entlassen und stellte die Produktion auf Heimarbeit um.

Ab 1933 stand das Unternehmen unter besonderer Kontrolle der Nationalsozialisten.

Im Mai 1937 wurde die Firma aufgelöst und aus dem Handelsregister gestrichen.

Bild des Hauses Lützowstraße 4

Im Oktober des gleichen Jahres zog Erich Kuppenheim nach der Scheidung wieder nach Offenbach zu seinen Eltern, die seit 1933 in der Lützowstraße 4 zur Miete wohnten.

Das Haus in der Geleitsstraße 116 war mittlerweile zu groß geworden und in das Eigentum von Gg. Funk übergegangen, der Prokurist in der Firma war.

Erich Kuppenheim arbeitete ab November 1938 als Vertreter für die Offenbacher Lederwarenfabrik Krumm / Goldpfeil in der Schweiz und in Italien und nahm dafüreinen zweiten Wohnsitz in Mailand an.

Ernst Kuppenheim wurde trotz seines Übertritts zum evangelischen Glauben von den Nazis als Jude betrachtet. Im Zuge des Novemberpogroms 1938 kam er für kurze Zeit mit anderen Offenbacher Juden in „Schutzhaft“. Wann er entlassen wurde, ist nicht bekannt.

Er blieb mit seiner Frau weiterhin in Offenbach wohnen, vielleicht in der Hoffnung, wegen des noch privilegierten „Mischehestatus“ von weiteren Verfolgungen verschont zu werden.

Trotz argentinischen Passes wurden Erich Kuppenheim 1941 von der Gestapo die Einreise und Geschäftstätigkeiten in Deutschland untersagt, wohl aufgrund des Vermerks in derOffenbacher Meldekarte: „Mischling 1. Grades“ / „Vater Jude“ .

Laut Gewerberegister meldete sich Erich Kuppenheim am 15.04.1941 nach Mailand /Italien ab. Da er auch dort seiner Handelstätigkeit nicht mehr nachgehen konnte, beschloss er 1942 nach Argentinien zu flüchten.

Ernst Kuppenheim entging in Offenbach noch den großangelegten Deportationen im September 1942 nach Theresienstadt und in das Generalgouvernement. 1943 wurde er dann Opfer der geheimen Maßnahmen des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) zur Beseitigung der jüdischen Partner in Mischehen.

Er wurde am 22. März 1943 ohne Angabe von Gründen zur Gestapo vorgeladen und verhaftet. 1950 sagte seine Frau Josefine im Spruchkammerverfahren gegen einen Gestapobeamten aus: „Ich habe meinen Mann nie mehr gesehen. Am 3. Juni 1943 wurde ich vom KZ-Heddernheim benachrichtigt, dass mein Mann gestorben sei“. Dort hatte Ernst Kuppenheim als alter Mann in den Kupferwerken Zwangsarbeit leisten müssen.

Nach dem Tod ihres Mannes und der Zerstörung des Wohnhauses durch Bomben im Dezember 1943 verließ Josefine Kuppenheim Offenbach und zog im Januar 1944 zu ihrem Bruder nach Baden-Baden.

Ende 1945 kam sie wieder nach Offenbach zurück und wohnte ab Februar 1946 im Seniorenheim „Schrammstift“ im Buchrainweg 135, wo sie am 9.2.1954 verstarb.


Rudolf Marx
Julius Marx
Friedrich Marx

Frankfurterstraße 25

Rudolf Marx wurde am 28.Januar 1867 als Sohn jüdischer Eltern in Grüsen/Frankenberg geboren.

Im März 1894 ließ er sich in Offenbach nieder und eröffnete als Einzelhandelskaufmann ein „Spezial-Restegeschäft“, das er einige Jahre später erweiterte und als „Offenbacher Bettenfabrik und Manufakturwarengeschäft“ in das Handelsregister eintragen ließ.

1896 heiratete er die Jüdin Ida Julia Bachmann, die am 22. November 1874 in Kassel geboren wurde. Er wohnte mit ihr in der Geleitsstraße 2, wo sich auch das erste Geschäft befand.

Das Ehepaar hatte zwei Söhne. Julius wurde am 15.7.1897 in Offenbach geboren und Paul Friedrich am 6.5.1903.

Haus Schwan

1908 erwarb Rudolf Marx in der Frankfurter Straße 25 das klassizistische Gebäude, in dem sich das alteingesessne Restaurant „Schwan“ befunden hatte, und baute es aufwändig um.

Er zog 1910 mit seiner Familie in die Frankfurter Straße um und eröffnete über zwei Geschosse das Ladengeschäft.

1912 eröffnete er im rückwärtigen Saal die „Lichtspiele zum Schwan“ mit 300 Sitzplätzen. Die Geschäfte liefen gut.

Der Sohn Julius war im 1. Weltkrieg Soldat und erhielt im September das Eiserne Kreuz.

Nach einem kurzen Aufenthalt in Düsseldorf im Jahr 1920 kehrte er nach Offenbach zurück und war im Geschäft des Vaters tätig.

1928 erweitete Rudolf Marx das Geschäft nochmals und machte sich in Offenbach als Möbelhändler für ganze Wohnungseinrichtungen einen Namen.

Die gute Geschäftslage änderte sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Die antisemitische Propaganda schädigte in kurzer Zeit die geschäftliche Lage.

Julius Marx, der seit 1924 mit der aus Klattau stammenden Jüdin Else Krauskopf ( geb. am 17.03.1903 ) verheiratet war, emigrierte wohl deshalb im Frühsommer 1933 mit seiner Frau und zwei Töchtern in die Tschechoslowakei. Er ist dort nach kurzer Zeit erkrankt . Am 24.8.1933 verstarb er und ist in Klattau beerdigt worden.

Anfang 1934 musste Rudolf Marx aufgrund zunehmender Repressionen das Geschäft verkleinern und den Verkauf von Möbeln nur noch auf die erste Etage beschränken.

Im April 1934 gab er dann das Geschäft ganz auf.

Das Parterre wurde nun an den Konkurrenzbetrieb Betten – Pelz abgetreten und die oberen Geschosse an andere Geschäftsinhaber vermietet .

Rudolfs 2. Sohn, Friedrich, der ebenfalls als Kaufmann ausgebildet und bisher im elterlichen Geschäft angestellt war, betätigte sich ab 1936 als Handelsvertreter, u.a in Prag.

Im Emigrantenverzeichnis ist vermerkt, dass er im Februar 1937 in die Tschechei emigrierte. Er kam aber im August 1937 wieder für kurze Zeit nach Offenbach zurück.

Laut Meldekarte emigrierte er dann endgültig im September 1937 nach Mailand.

Aus einer späteren Todesanzeige für seinen Vater ist zu ersehen, dass Friedrich Marx von Italien aus weiter in die USA ( Los Angeles, Californien) emigrierte. Wann, ist nicht bekannt.

Im September 1938 verstarb Rudolfs Ehefrau Ida Marx.

So erlebte er allein die Schrecken der Pogromnacht in der Frankfurter Straße 25.

1939 verkaufte Rudolf Marx das Grundstück der Frankfurter Straße 25, möglicherweise noch in der Hoffnung, emigrieren zu können. Dies ist ihm aber aufgrund seines Alters und einer fehlenden Bürgschaft für einen Aufenthalt im Ausland nicht mehr gelungen.

Rudolf Marx blieb bis 1942 in der Frankfurter Straße 25 wohnen. Am 27.9.1942 ist er von der Gestapo abgeholt und in das KZ Theresienstadt deportiert worden, wo er am 7. Februar 1943 verstorben ist.


Ernst Wild

Schlossstraße 31

Technischen Lehranstalten Offenbach
Technischen Lehranstalten Offenbach

Ernst Wild, geboren 1886 in Mainz, war jüdischer Herkunft, war aber katholisch getauft. Er war Ingenieur, kam 1921 als Hauptlehrer an die Maschinenbauschule der Technischen Lehranstalten Offenbach und lebte mit seiner Familie in einem Haus im Starkenburgring.

Deren Direktor seit 1907 war der sehr ambitionierte Hugo Eberhardt, der in Personalunion 1917 auch Gründer und Errichter des Deutschen Ledermuseums war. Eberhardt, der sehr auf seine Autorität als staatlicher Direktor der Schule und auf Loyalität gegenüber den vorgesetzten staatlichen Behörden bedacht war, suchte 1933 schnell den Anschluss an die neuen Machthaber, insbesondere an den neuen Regierungschef in Darmstadt, Gauleiter Jakob Sprenger. Ohne Bedenken setzte er gleich zu Beginn der NS-Herrschaft den am 7. April 1933 erlassenen Arierparagraphen des Berufsbeamtentums um, hatte in seiner Position dabei allerdings auch keinen Ermessensspielraum, es sei denn des Rücktritts. Zwei Lehrer an seiner Schule waren davon betroffen Gustav Gabriel und Ernst Wild. Beide wurden wegen ihrer jüdischen Abstammung bzw. politischer Unliebsamkeit entlassen.

In kühler Diktion behandelte Hugo Eberhardt die Entlassung von Wild in einem Bericht ans Kultusministerium in Berlin: „In allen Papieren lief Wild als Katholik. Seine nichtarische Abstammung war niemand – auch den Behörden und mir nicht – bekannt. Nach der nationalsozialistischen Erhebung fand er sich bei mir ein und gestand mir zu meinem Erstaunen – er hätte es immer bewußt geheimgehalten –, daß er getaufter Jude sei. Niemand an der Schule hätte je diesen Verdacht gehegt. Wie ich hörte, wußte selbst sein großer gut gewachsener nach der germanischen Mutter schlagender Sohn, der als starker Antisemit galt, nichts von der jüdischen Abstammung des Vaters.“

Meldekarte Ernst Wild
Meldekarte Ernst Wild

Der „Arierparagraph“ beendete Wilds Karriere an der Schule. Ernst Wild zog nach seiner Entlassung 1934 nach Wiesbaden, wo die Familie seiner Frau lebte. Diese verstarb dort kurze Zeit später. Wild heiratete 1938 ein zweites Mal, und zwar Ellen Schermann aus Holzminden, geboren 1906, eine gelernte Apothekerin, evangelisch-lutherisch, die wegen ihres jüdischen Vaters, eines angesehenen Stadtbaurats, jedoch als Halbjüdin galt. Dieses Paar zog im Januar 1939 nach Hannover, wo es in verschiedenen „Judenhäusern“ lebte. Wild musste sich als Arbeiter in der Hannoveraner Großdruckerei Leunis & Chapman, seine Frau als Wäscherin durchschlagen.

Der Sohn, Walther Heribert Wild, wanderte nach Südafrika aus.

Sein Vater und dessen zweite Ehefrau wurden am 31. März 1942 nach Warschau deportiert und kamen in einem Vernichtungslager des Ostens ums Leben. Ihr Name wird heute daher auf dem Mahnmal am Opernhaus in Hannover genannt.

( Text von Dr. Andrea C. Hansert)


Eugen Berg
Else Berg, geb. Lachmann
Ruth Berg

Bahnhofstraße 26

Wohnhaus Herrnstraße 9
Wohnhaus Herrnstraße 9

Eugen Berg wurde am 22. März 1886 als Sohn jüdischer Eltern in Offenbach geboren.

Bis 1935 – d.h. in seiner Kindheit, Jugend-und Ausbildungszeit – wohnte er im Elternhaus in der Herrnstraße 9.

Am 21. Juli 1921 heiratete Eugen Berg die Jüdin Else Lachmann , die am 20. Dezember 1893 in Flatow in Westpreußen geboren wurde.

Am 11.Mai 1922 kam ihre Tochter Ruth Bärbel in Offenbach zur Welt.

Ab 1922 betrieb Eugen Berg mit einem Kompagnon eine kleine Fabrik für feine Lederwaren. Nach dessen Ausscheiden im Februar 1926 wurde Else Berg Miteigentümerin im Unternehmen des Ehemannes.

Unter dem Namen ihres Mannes eröffnete sie zusätzlich im Mai 1932 ein Geschäft für Wolle und Wollwaren in der Herrnstraße 9.

Das Geschäft lief gut und war bei den Offenbacher Bürgerinnen auch in der NS-Zeit wohlbekannt.

Die Tochter Ruth besuchte nach der Grundschule ganz in der Nähe die Studienanstalt für Mädchen. Wegen des Ausschlusses jüdischer Schüler/innen aus öffentlichen Schulen musste sie 1934 das Mädchengymnasium verlassen und von nun an auf die neugegründete Jüdische Bezirksschule im Gebäude der Synagoge gehen. Wie lange sie dort die Schule besuchte und ob sie danach eine Ausbildung begann, ist nicht bekannt.

1935 zog die Familie wegen Umbauarbeiten in der Herrnstraße zunächst in die Kaiserstraße 88 und von da 1936 in das Haus des jüdischen Eigentümers Wallerstein in der Frankfurterstraße 114, wo noch die Witwe des namhaften Lederwarenunternehmers Wallerstein wohnte. Nach dem Konkurs der namhaften Lederwarenfirma in der Wirtschaftskrise war der Sohn Eugen bereits 1933 emigriert.

Über die Entwicklung der Firma von Eugen Berg gibt es keine genauen Informationen; es ist nicht bekannt , in welchem Umfang er unter dem Druck der NS – Einschränkungen für jüdische Unternehmen noch produzieren konnte. In der Gewerbekartei aus dem Jahr 1938 wird „Berg & Co“ aber noch als jüdisches Unternehmen aufgeführt.

Die finanzielle Situation der Familie spitzte sich im Oktober 1938 noch weiter zu.

Gewerbekarte Arisierung

Else Berg musste gezwungenermaßen ihr Geschäft aufgeben. Es wurde „arisiert“ und ging in das Eigentum von Margarete Nordquist über.

Am 10. November 1938 erlebte Eugen Berg mit seiner Familie noch in der Frankfurter Straße die Schrecken der Pogromnacht. Am 16. November wurde er verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Am 5. Dezember 1938 wurde er wieder entlassen. Nach der Rückkehr aus dem KZ war die Familie mittellos.

Sie musste aus der Wohnung in der Frankfurter Straße ausziehen und fand Unterschlupf im Haus der Jüdin Paula Simon in der Bahnhofstraße 26.

Mit Unterstützung eines Hausbewohners fertigte Herr Berg nun in Heimarbeit Brieftaschen und Geldbörsen an, um überleben zu können. Darüberhinaus nahmen Frau Berg und die Tochter Ruth Bärbel in der Klinik in Frankfurt-Niederad eine Arbeit als Wäscherinnen an.Bei der kümmerlichen Lebenssituation war die Familie bis 1942 immer wieder auf die Hilfe von nichtarischen Hausbewohnern angewiesen.

Am 30. September 1942 wurden Eugen, Else und Ruth Berg dann aufgefordert, Offenbach zu verlassen. Von dem Deportationssammelpunkt hinter der ehemaligen Synagoge in der Kaiserstraße wurden sie mit dem Zug nach Darmstadt gebracht und von dort in das Generalgouvernement Polen deportiert. Dort kamen sie ums Leben, wobei Tag und Ort ihrer Ermordung unbekannt ist.


Paula Simon

Bahnhofstraße 26

Paula Simon wurde am 21. Mai 1871 als Tochter der jüdischen Eltern Isaac und Emilie geb. Hirsch in Frankfurt geboren.

1874 zog die Familie Simon nach Offenbach in das Elternhaus von Emilie Hirsch in der Bahnhofstraße 26.

Paulas Eltern betrieben dort den Spezereiwarenhandel und die Leihbibliothek der Familie Hirsch.

Nach dem Tod des Ehemanns führte die Witwe Emilie Simon das Geschäft weiter.

Paula Simon war nach dem Tod der Mutter im Jahr 1910 die Alleinerbin des Hauses und des Geschäfts. In den Adressbüchern von 1927 und 1933 wird ihr Name noch unter dem Titel „Konfitürengeschäft“ und „Spezereihandel“ geführt. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten konnte sie die besonderen Waren aus dem Ausland nicht mehr anbieten und den Laden nur noch in einfacher Form weiterführen.

Bis in das Jahr 1937 taucht Paula Simons Name im Adressverzeichnis noch mit der Angabe „Lebensmittelhandlung“ auf. Spätestens Ende 1938 oder Anfang 1939 musste sie das Geschäft aufgrund der NS-Anordnung „ Juden aus Gewerben ausschalten“ schließen. Das Haus blieb in ihrem Eigentum. Nach der NS-Regelung sollte eigentlich auch jüdischer Hausbesitz „arisiert“ werden. Von dieser Anordnung wurde abgesehen, wenn jüdische Bürger/innen, die aus „arischen“ Häusern ausziehen mussten, in jüdische Häuser einquartiert werden konnten.

Das war im Haus von Paula Simon der Fall.

Ab April 1939 zogen eine Reihe jüdischer Mieter in das Haus ein, unter anderen die Familie von Eugen Berg und Emanuel Gabriel.

Haus in der Bahnhofstr. 26
Haus in der Bahnhofstr. 26

Nach der Schließung des Ladens war die Vermietung der Wohnungen für Paula Simon überlebenswichtig.

Paula Simon musste aufgrund der Verordnung zur Zwangsveräußerung jüdischen Vermögens im März 1939 für das Haus eine Sicherungshypothek zu Gunsten des Reichsfiskus aufnehmen.

Für Jüdinnen und Juden galt zudem ab Februar 1939 die Anordnung, alle Wertgegenstände und Geräte wie Schreibmaschinen und Fahrräder abzuliefern. Bei der Vergabe von Lebensmittelkarten wurden sie ab 1942 ausgeschlossen und durften in „arischen“ Geschäften nicht mehr einkaufen.

In dieser unausweglosen Situation waren die jüdischen Mitbürger/innen in der Bahnhofstraße 26 auf die Unterstützung von nichtjüdischen Bewohnern angewiesen.

Die geheime Hilfe für Paula Simon fand im September 1942 ein jähes Ende.

Paula Simon musste sich gemäß der Gestapo- Aufforderung am 27. September 1942 auf dem Gelände hinter der Synagoge in der Kaiserstraße einfinden. Von dort wurde sie mit über 100 anderen jüdischen, vorwiegend älteren Mitbürgern über Darmstadt nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 8. März 1943 ums Leben kam.


Siegfried Berney
Frieda Berney
Karola Berney
Elfriede Berney

Bismarckstr. 143

Siegfried Berney wurde am 29.2.1884 in Wörrstadt geboren. Sein Beruf war Bäckermeister.

Am 21.7.1911 heiratete er Frieda Berney, geb. Kirchhausen geboren am 14. November 1880 in Schlüchtern.

Sie zogen 1911 nach Offenbach. Ihre Tochter Elfriede wurde am 19.12.1912 geboren, und Karola am 21.11.1919.

Die Familie wohnte nach mehreren Umzügen ab August 1931 in der Bismarckstraße 143. Der Umzug in die Ludwigstraße 68 im April 1938 wird als schon nicht mehr freiwillig eingeschätzt.

Beide Töchter konnten im August 1938 nach London auswandern.

So wie über 80 andere jüdische Männer aus Offenbach wurde Siegfried Berney nach der Pogromnacht in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Er war hier vom 28. November bis 12. Dezember 1938.

Am 27.9.1941 musste das Ehepaar Berney in die Domstraße 79 umziehen, wo schon weitere jüdische Menschen lebten.

Am 30. September 1942 wurden Siegfried und Frieda Berney über Darmstadt in das Generalgouvernement deportiert.

Foto Treblinka
Diese Gleise führten in das Todeslager Treblinka
Quelle: http:/commons.wikimedia.org

Ihr Todesdatum 2.10.1942 ist in der Gedenkstätte Treblinka verzeichnet. In Treblinka wurden die deportierten Menschen direkt nach ihrer Ankunft ermordet.

Die Tochter Karola hat im Jahr 1985 im Archiv in Yad Vashem einen Eintrag gemacht, um das Schicksal ihrer Eltern zu bezeugen. Ihre letzte Adresse war ein jüdisches Pflegeheim in London.

An den Recherchen über die Familie Berney hat 2023 eine neunte Klasse der Geschwister-Scholl-Schule gearbeitet.


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