Der vermisste Stolperstein – eine Spurensuche in Offenbach/Main

(von Thomas Hesse)

Die Geschichte begann bei einer Bildungsveranstaltung der Gewerkschaft ver.di in Offenbach mit dem Titel: „Lebensgeschichten gegen das Vergessen“. Stolpersteinführung am 6. Mai 2025. Die Organisatorinnen, Ellen Katusic und Brigitte Bach-Grass vom ver.di-Kreisvorstand Offenbach führten die Teilnehmenden an diesem Nachmittag an verschiedene Orte der Erinnerung im Stadtgebiet. Eine der letzten Stationen war der Stolperstein für EDITH GOLDSCHMIDT-WEIL in der Frankfurter Straße 80. Zu ihrer Biografie hier einige Informationen der Geschichtswerkstatt Offenbach:

Edith Goldschmidt-Weil, geb. am 04.09.1873 in Stuttgart, kam nach ihrer Heirat am 02.03.1893 mit dem jüdischen Offenbacher Fabrikanten Adolf Hermann Goldschmidt 1893 nach Offenbach. Der Ehemann (verst. 1921) führte zusammen mit seinen Brüdern im Haus Frankfurter Straße 80 die vom Vater Salomon Goldschmidt gegründete Posamentenfabrik (Borten und Besatz).
Sie war im Allgemeinen Deutschen Frauenverein in der Verbandsleitung aktiv und organisierte seit Mitte der 1920er Jahre dessen Tätigkeit: Vorträge, Beratung vor allen zu Schul-, Bildungs- und Berufsfragen sowie die Motivation von Frauen, sich ehrenamtlich sozial sowie in der Kommunalpolitik zu engagieren.
1918 trat sie in den Ortsvorstand der liberalen Deutschen Demokratischen Partei ein. Sie wurde u.a. in städtische Kommissionen für die Mädchenfortbildungsschule sowie die Versorgungs- und Krankenhausdeputation berufen und übernahm diese Aufgaben bis 1933.
Im Jahr 1933, nach der Machtübernahme durch die NSDAP, gehörte der überparteilich und pazifistisch ausgerichtete Allgemeine Deutschen Frauenverein zu den missliebigen Organisationen. Auch dessen Ortsgruppe in Offenbach löste sich unauffällig auf, ohne dass dies öffentlich kommuniziert wurde. Edith Goldschmidt-Weil verlor durch die Neubesetzung der städtischen Ehrenämter ihre langjährig betreuten Aufgaben, da sie sowohl als emanzipierte Frau, als auch wegen ihrer bekannten politisch-liberalen Einstellung und ihrer jüdischen Konfession für das NS-Regime inakzeptabel war.
Da die Erbengemeinschaft 1938 die Liegenschaft Frankfurter Straße 80 verkauften musste, um Goldschmidt-Weils Offenbacher Verwandten die Auswanderung zu finanzieren, zog auch sie aus dem Haus aus und verlegte ihren Wohnsitz nach Stuttgart.
Von dort aus wurde sie am 22.08.1942 nach Theresienstadt deportiert und ist im Ghetto bzw. KZ am 13.09.1942 verstorben.


Als die Teilnehmenden der ver.di-Bildungsveranstaltung am 6. Mai 2025 nachmittags am ehemaligen Wohnort von Edith Goldschmidt-Weil an der Frankfurter Straße 80 ankamen, fanden sie aber nur noch eine Abrissbaustelle vor.

als das Haus Frankfurter Str. 80 noch stand…

…und nach dem Hausabriss

Und hier begann die Spurensuche vor Ort, denn der vorher im Fußweg verlegte Stolperstein als Erinnerung an Edith Goldschmidt-Weil war weg, denn den Fußweg gab es an dieser Stelle nicht mehr! Offensichtlich wurden wegen des Stromverteilerkastens die Pflastersteine des Fußweges gerade an dieser Stelle entfernt. Die Suche in den angrenzenden Steinhaufen war aufgrund der schieren Masse an Steinen sinnlos.
Glücklicherweise trafen wir vor Ort noch einen Bauarbeiter, der uns die für die dortigen Tiefbauarbeiten beauftragte Offenbacher Firma nennen konnte. Damit begann der zweite Teil der Spurensuche.
In der nächsten Sitzung der Geschichtswerkstatt Offenbach erklärte sich Gisela Teichmann bereit, bei der Tiefbau-Firma in der Sprendlinger Landstraße weiter nach dem Verbleib des vermissten Stolpersteins nachzuforschen. Der einige Tage später erfolgte Anruf bei der Sekretärin löste dort Betroffenheit aus. Sie versprach, den Schichtleiter der für die Firma mittlerweile abgeschlossenen Baustelle zu kontaktieren. 10 Minuten später bekam Gisela Teichmann einen Rückruf. Die Sekretärin teilte ihr mit, dass der Stolperstein nach Aussage des Schichtleiters auf dem in Holz eingefassten Stromkasten in der Frankfurter Straße 80 abgelegt worden sei.
Gisela Teichmann machte sich auf den Weg zur abgesperrten Baustelle und fand tatsächlich auf dem verschalten Stromverteilerkasten ein kleines graues Etwas mit einer Metallseite aus Messing – der Stolperstein für Edith Goldschmidt-Weil war wieder da!

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